Binnengewässer wie Flüsse, Seen oder Talsperren spielen im globalen Kohlenstoffkreislauf eine wichtige Rolle. In Hochrechnungen zum Kohlendioxidausstoß von Land- und Wasserflächen werden zeitweise trockenfallende Bereiche von Gewässern in der Regel nicht einbezogen. Die tatsächlichen Emissionen von Binnengewässern werden dadurch deutlich unterschätzt – das zeigen die aktuellen Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts unter der Leitung von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) am Standort Magdeburg sowie des Katalanischen Instituts für Wasserforschung (ICRA).
„Alles begann 2013 während einer Messkampagne im spanischen Katalonien“, sagt Dr. Matthias Koschorreck, Biologe im Department Seenforschung des UFZ. Gemeinsam mit einem spanischen Team untersuchte er dort die Freisetzung von Treibhausgasen im Einzugsgebiet eines kleinen Flusses. „Es war Sommer und Teile des Flussbettes waren ausgetrocknet. Aus einem spontanen Impuls heraus haben wir auch dort gemessen“, sagt Matthias Koschorreck.
„Mit überraschendem Ergebnis – diese ausgetrockneten, kiesigen Bereiche des Flussbettes setzten unerwartet hohe Mengen an Kohlendioxid frei.“ Dem ging Koschorreck gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Rafael Marcé vom ICRA im spanischen Girona in weiteren Studien nach. Die Ergebnisse an verschiedenen Messpunkten in Spanien und Deutschland zeigten denselben Befund: Trockengefallene Gewässerbereiche setzten deutlich messbare und zum Teil erhebliche Mengen an Kohlendioxid frei. „Wir fragten uns, ob dies womöglich auch in anderen Gebieten der Erde der Fall sein könnte, und ob Treibhausgasemissionen von Binnengewässern grundsätzlich unterschätzt werden“, sagt Koschorreck. „Denn in Studien, die Emissionen von Treibhausgasen von Land- und Wasserflächen hochrechnen, werden Gewässerbereiche, die von Zeit zu Zeit trockenfallen, bislang überhaupt nicht berücksichtigt.“
Um diesen Fragen nachzugehen, hoben Koschorreck und Marcé zusammen mit einem Kernteam von sechs deutschen und spanischen Wissenschaftler*innen im Jahr 2016 das Forschungsprojekt „dryflux“ aus der Taufe, das sich mit dem Ausstoß von Treibhausgasen aus trockenen Gewässerzonen beschäftigt. Auf einem Workshop am UFZ in Magdeburg entwickelten sie für ihre aktuelle Studie ein Mess- und Probenahmekonzept und aktivierten ihre internationalen Netzwerke. „Jeder Workshopteilnehmer fragte bei rund um den Globus verteilten kooperierenden Forschergruppen an, ob diese sich mit Messkampagnen an Gewässern in ihrer Nähe an unserer Studie beteiligen möchten“, erklärt Koschorreck. „Die Rückmeldungen waren überwältigend. 24 Forscherteams aus aller Welt nahmen teil, so dass wir Daten aus insgesamt 196 Untersuchungsgebieten auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis gewinnen konnten.“ Jedes Forscherteam führte in seiner Region an trockenliegenden Bereichen von mindestens drei Gewässern – Fluss, See, Talsperre oder Teich – jeweils drei sogenannte Kammermessungen durch. Bei dieser Art der Messung wird ein spezieller Messbehälter mit seiner offenen Seite luftdicht auf den Boden gesetzt, so dass der Luftraum im Behälter von der Umgebungsluft getrennt ist. Mit einem Analysegerät wird dann die Veränderung des Kohlendioxidgehalts in der Behälterkammer gemessen. Zudem nahmen die Kooperationspartner am selben Ort auch Proben des trockenen Gewässersediments und bestimmten seinen Gehalt an Wasser, organischer Substanz und Salzen sowie die Temperatur und den pH-Wert.
Kohlendioxidemissionen von Binnengewässern wurden bislang signifikant unterschätzt
Die Auswertung des umfangreichen und komplexen Datensatzes führte Philipp Keller, Doktorand am Department Seenforschung des UFZ und Erstautor der Studie durch – und kam zu interessanten Ergebnissen: „Über alle Klimazonen hinweg konnten wir deutliche Kohlendioxidemissionen aus trockenen Bereichen von Gewässern ausmachen“, sagt Keller. „Das Phänomen ist also tatsächlich ein globales.“ Die Forscher fanden weiterhin heraus, dass diese Emissionen häufig sogar höher liegen als die Emissionen durchschnittlicher Wasseroberflächen der gleichen Größe. „Wir konnten zeigen, dass trockenliegende Bereiche von Gewässern tatsächlich einen signifikanten Anteil an der Gesamtkohlendioxidemission von Gewässern haben“, sagt Koschorreck.
„Werden sie in globalen Bilanzen von Gewässern berücksichtigt, erhöht sich die Kohlendioxidemission um insgesamt sechs Prozent.“ Doch welche Mechanismen stecken überhaupt hinter der Freisetzung von Kohlendioxid aus trockengefallenen Gewässersedimenten? „Atmungsprozesse von Mikroorganismen“, sagt Philipp Keller.
„Je größer das Nahrungsangebot – die organische Substanz im Boden – und je besser die Bedingungen wie Temperatur und Bodenfeuchte, desto aktiver sind sie und umso mehr Kohlendioxid wird freigesetzt.“ Aus den Studienergebnissen konnten die Forscher ableiten, dass die verantwortlichen Einflussfaktoren für die Kohlendioxidfreisetzung auch weltweit grundsätzlich dieselben sind. „Vor allem das Zusammenspiel der lokalen Standortbedingungen wie Temperatur, Durchfeuchtung und organischem Gehalt der Sedimente ist maßgeblich und hat einen größeren Einfluss als die regionalen Klimabedingungen“, erklärt Keller.
Und was bedeuten die Ergebnisse der Studie für die zukünftige Beurteilung der Kohlendioxid-Emissionen von Gewässern? „Unsere Studie zeigt, dass die Kohlendioxidemissionen von Binnengewässern bislang signifikant unterschätzt werden“, sagt Koschorreck. „Wir hoffen, dass wir dazu beitragen konnten, dass trockenliegende Bereiche von Gewässern in künftige Bilanzierungen einbezogen werden. Denn durch den fortschreitenden Klimawandel werden sie höchstwahrscheinlich an Fläche und somit auch an Bedeutung zunehmen.“