Für Leistung & Wohlbefinden: Projekt erforscht warum manche Milchkühe robuster sind

Forschungsteams der Uni Hohenheim vermuten den Schlüssel für Krankheitsanfälligkeit von Milchkühen in den Kraftwerken der Zelle / Ergebnisse könnten Zucht verbessern

Forschende untersuchen, welchen Einfluss Darmbakterien auf die Gesundheit von Milchkühen haben. | Bildquelle: Universität Hohenheim / Oskar Eyb

Manche sind von Natur aus robuster, andere zeigen sich krankheitsanfällig: in ein und derselben Herde reagieren Milchkühe ganz unterschiedlich auf körperliche Belastungen, wie sie die Geburt eines Kalbes, die anschließende Milchproduktion oder auch Infektionen mit sich bringen. Der Grund dafür ist, wie anpassungsfähig ihr Stoffwechsel an die veränderten Anforderungen an den Körper ist. Die Ursache für die unterschiedliche individuelle Anpassungsfähigkeit ist allerdings noch unklar. Der Schlüssel dazu könnte im Innenleben ihrer Zellen zu finden sein, genauer gesagt in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Aber auch die Interaktion zwischen Kuh und Darmbakterien spielt eine Rolle. Details dazu untersuchen derzeit zwei Arbeitsgruppen der Universität Hohenheim in Stuttgart. Die Ergebnisse könnten helfen, durch Zucht vor allem Tiere zu gewinnen, bei denen sich Leistung mit Wohlbefinden kombiniert. 

Um ausreichend Milch bilden zu können, muss sich der Stoffwechsel von Kühen während der Trächtigkeit und nach der Geburt des Kalbes drastisch umstellen. Für die Milchproduktion muss in kurzer Zeit viel Energie bereitgestellt werden. Zugleich müssen aber auch die lebenswichtigen physiologischen Prozesse weiterhin aufrechterhalten werden. Die dafür erforderliche Energie wird in speziellen Organellen der Zelle, den Mitochondrien, erzeugt. Diese „Zellkraftwerke“ wandeln über komplexe Kettenreaktionen Sauerstoff und Zucker oder Fettsäuren in energiereiche Moleküle um, die von der Zelle für andere Stoffwechselvorgänge, wie z. B. die Produktion von Milchbestandteilen, genutzt werden können.

Einfluss von Mitochondrien auf die Stoffwechselstabilität

Allerdings kann sich nicht bei allen Kühen der Stoffwechsel ausreichend an die veränderte Situation anpassen, was oftmals zu Gesundheitsstörungen führt. Dabei gibt es von Natur aus sowohl robuste als auch anfällige Tiere in einer Herde. Das Kooperationsprojekt „Mitochondriale Funktionalität bei der Milchkuh“ geht jetzt der Frage nach, inwieweit die Mitochondrien für die Stoffwechselstabilität verantwortlich sind.  Am FLI lebt eine Herde mit ca. 60 Holstein-Rindern, die für das Projekt untersucht wurden.

Wechselwirkungen zwischen Mikrobiom und Mitochondrien

In ihrem Teilprojekt widmet sich Prof. Dr. Seifert unter anderem der Frage, welche Rolle die Bakterienbesiedlung, das Mikrobiom, des Magen-Darm-Traktes auf die Funktion der Mitochondrien hat: „Wir wissen, dass es Wechselwirkungen gibt. Aber wir wissen noch nicht, ob das Mikrobiom die Mitochondrienfunktion beeinflusst oder umgekehrt.“

Foto: R.Meyer

Aus Pansen, Dünndarm und Kot wurden mehrfach Proben genommen, um Veränderungen in der Bakterienzusammensetzung erfassen zu können. Dank eines fixen Zugangs bei den Kühen des FLI in Braunschweig ist es für die Wissenschaftlerinnen einfach, an den benötigten Pansen- und Dünndarminhalt heranzukommen. „Im Gegensatz zu anderen Methoden zur Probenentnahme, wie z. B. mit Hilfe einer Schlundsonde, verursacht dies den Kühen keinen Stress“, ist Prof. Dr. Seifert wichtig. Erste Ergebnisse zeigen laut Prof. Dr. Seifert, dass „vor allem die Kühe die größten gesundheitlichen Probleme aufwiesen, deren Mikrobiom sich über den Untersuchungszeitraum hinweg am wenigsten veränderte, während diejenigen am besten mit den Belastungen zurechtkamen, deren Bakterienbesiedlung flexibel reagierte.“

Auch Konsequenzen für die Humanmedizin

Das Teilprojekt von Prof. Dr. Huber untersucht unter anderem, ob sich geeignete Biomarker identifizieren lassen, die auf einen stabilen und anpassungsfähigen Stoffwechsel hindeuten. Dazu wird z. B. die Veränderung von über 180 verschiedenen Metaboliten (gerichteter Metabolomics-Ansatz) im Blut und Milch der Kühe analysiert, nachdem eine künstliche Entzündung gesetzt wurde. Verwendung findet dabei ein Set, dass auch für die Erfassung des Entzündungsgeschehens beim Menschen eingesetzt wird. „Auch wenn die Auswertungen noch laufen, zeichnet sich jetzt schon ab, dass eine Handvoll Metabolite als Indikatoren für Entzündung fungieren, die bisher bei der Milchkuh noch nicht betrachtet wurden und die sich anders als beim Menschen verhalten“, sagt Prof. Dr. Huber und verweist auf die Konsequenzen, die sich daraus für die Humanmedizin ableiten lassen: „Wahrscheinlich wird man sich die Abläufe beim Menschen auch nochmal genau anschauen müssen.“

Suche nach Kriterien für eine gezielte Selektion bei der Zucht

Ein weiterer Aspekt des Teilprojektes von Prof. Dr. Huber beschäftigt sich mit dem Einfluss des mitochondrialen Erbgutes auf den Stoffwechsel. Mitochondrien verfügen über eigenes Genmaterial, das ausschließlich über die mütterliche Keimbahn weitergegeben wird. Die Proteine, die aus diesem mitochondrialen Genmaterial abgelesen werden, stehen in engem Wechselspiel mit den Proteinen, die aus dem Erbgut des Kernes abgelesen werden, das von beiden Elterntieren stammt. Damit tragen Erbmaterial des Bullen und der Kuh dazu bei, eine optimale Zellumgebung für leistungsfähige Mitochondrien zu schaffen, so die Arbeitshypothese des Projektes.

Foto: Wikipedia

Die Wissenschaftler erhoffen sich, dass sich aus diesen Erkenntnissen einmal Vorgaben für die Selektion von Bullen und Kühen bei der Milchviehzucht ableiten lassen: „Es könnte sein, dass wir bei der Milchviehzucht in Zukunft verstärkt auch darauf achten müssen, dass die genetischen Eigenschaften des Bullen zum mitochondrialen Erbgut der Kuh passen“, meint Prof. Dr. Huber. Solche Zuchtprogramme sollten nicht nur auf die Milchleistung, sondern auch auf das Wohlergehen der Tiere abzielen. Denn „viel Milchleistung heißt nicht automatisch, dass das Tier gesund ist. Wir vergessen viel zu oft, dass das Wohlbefinden der Tiere nicht nur von den Haltungsbedingungen abhängt, sondern auch von ihrer Stoffwechselgesundheit“, betont Prof. Dr. Huber.