Der Digitaltag 2020 will am 19. Juni Menschen aus ganz Deutschland virtuell zusammenbringen. Dabei soll die Aktion die Digitalisierung mit zahlreichen Online-Formaten erklären, erlebbar machen, Wege zu digitaler Teilhabe aufzeigen und auch Raum für Debatten schaffen. So beteiligt sich unter anderem das Zukunftslabor Agrar, ein Kooperationsprojekt von unterschiedlichen Hochschulen wie der Universität Vechta sowie Praxispartnern, am Digitaltag 2020.
Mit der Einführung von Computern und Sensoren um 1980 in der Landwirtschaft, haben diese sich rasant bis zum derzeitigen „Precision Farming“ und „Precision Livestock Farming“ weiterentwickelt. Eine Vielzahl unterschiedlicher Sensoren erheben kontinuierlich Daten, die auf verschiedenen Plattformen gespeichert und mit unterschiedlichen Softwaresystemen verarbeitet werden. Neben den innerbetrieblichen Sensorsystemen in der Nutztierhaltung und im Pflanzenbau zur nachhaltigen Betriebsoptimierung, sind landwirtschaftliche Betriebe gesetzlich zur Aufzeichnung und Weiterleitung einer Vielzahl von Daten an staatliche Institutionen und Verbänden verpflichtet. Das Datenmanagement der umfangreich zur Verfügung stehenden, aber nicht einheitlich erhobenen und bearbeitbaren Daten, stellt zahlreiche Herausforderungen und bisher ungenutzte Chance dar. Diesen widmet sich das Zukunftslabor Agrar.
„Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Digitalisierung im Agrarsektor und untersucht zwei konkrete Fragestellungen“, erklärt Prof.in Dr. Jantje Halberstadt, die das Vorhaben auf Seiten der Universität Vechta leitet. „Die erste Fragestellung zielt darauf ab, wie eine ,Geschützte Transparenz‘ in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten technisch und rechtlich realisierbar ist“. Um die Voraussetzungen für eine durchgängige Digitalisierung zu schaffen, müssten Daten zwischen den einzelnen Akteuren der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette so vernetzt sein, dass Datentransparenz als auch der Schutz der Datenhoheit berücksichtigt würden. „Die zweite zentrale Frage analysiert, ob und inwiefern eine digitalisierte Landwirtschaft nachhaltig ist“, ergänzt Desiree Heijne, die das Zukunftslabor von der Universität Osnabrück aus koordiniert. „Digitalisierung hat neben der Hoffnung auf höhere Effektivität und weniger Arbeitsbelastung auch die Erwartung, nachhaltiger zu sein in der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte.“
An der Universität Vechta arbeitet derzeit Dr.in Anne-Kathrin Schwab in einem Teilprojekt des Zukunftslabors Agrar: „Bei der ,Analyse der Datenaufzeichnungen und Datenflüsse in der Landwirtschaft‘ beschäftigen wir uns im Kern damit, den Status Quo der Digitalisierung der Landwirtschaft mit einer gesamtbetrieblichen Betrachtungsweise in ausgewählten Betrieben zu bestimmen“, erklärt Schwab. „Derzeit konzentrieren wir uns auf drei Wertschöpfungsketten: Masthähnchen, Milchvieh und Zuckerrüben. Da seit Jahren bereits digitale Technologien in der Agrarwirtschaft eingesetzt werden, hat dies dazu geführt, dass sehr unterschiedliche und proprietäre – also in der Weiterverwendung stark eingeschränkte – Datenmanagement-Lösungen existieren“, sagt Schwab, „Fehlende Standards und der Einsatz verschiedener Datenmanagement-Lösungen, die untereinander zum Teil inkompatibel sind, erschweren die internen und externen Datenflüsse zusätzlich.“ Die Entwicklung entsprechender Standards und die Optimierung der Datenflüsse im gesetzlichen Meldewesen sind daher wichtige Aufgaben für die Forschung in der Landwirtschaft. Zukünftig sei davon auszugehen, dass mit voranschreitenden technischen Möglichkeiten noch mehr Daten generiert und gespeichert werden müssen.
Damit ergeben sich Herausforderungen an die Digitalisierung der Landwirtschaft: „Es existieren noch keine technischen und rechtlichen Lösungen für eine ,Geschützte Transparenz‘, sodass die Daten bedarfsorientiert vernetzt werden könnten“, erklärt Schwab. Zudem seien die sich zum Teil widersprechenden Interessen der verschiedenen Akteure eine Herausforderung für die Vernetzung von Daten entlang der Wertschöpfungsketten. Auch bedürfe es einer umfangreichen Einarbeitung der Landwirte in die Thematik an sich“, ist sich die Wissenschaftlerin sicher. „Gerade kleinere Betriebe könnten Gefahr laufen, zunehmend vom Stand der Technik abgehängt zu werden, während Großbetriebe sich damit noch effektiver professionalisieren können.“ Auch ändere sich die Art und Weise der Arbeit des Landwirtes durch die Digitalisierung, da immer mehr Prozesse, sowie Planung oder Dokumentationen vor dem Bildschirm, als im Stall oder auf dem Feld stattfinden.
Es liegt aber auch enormes Potenzial in der Digitalisierung der Landwirtschaft: So könne unter Umständen effizienter, aber auch tierwohlorientierter und in einigen Bereichen sogar nachhaltiger gearbeitet werden, als es die konventionelle Landwirtschaft bisher umsetzte, gehen die Wissenschaftlerinnen genauer auf das Forschungsvorhaben ein. Bisher gebe es dafür aber noch nicht ausreichend wissenschaftlichen Belege. „Mit den Nachhaltigkeitsanalysen digitaler Technologien und digitaler Prozesse im Rahmen des Zukunftslabor Agrar können wir dann wissenschaftlich fundiert Aussagen darüber treffen, ob die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte durch Digitalisierung nachhaltiger geworden ist“, sagt Prof.in Dr. Halberstadt, die zusammen mit Dr.in Anne-Kathrin Schwab unter anderem am Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten (ISPA), Abteilung Ökonomie der Nachhaltigkeit, der Universität Vechta tätig ist.