Hülsenfrüchte vom heimischen Acker, Fische aus nachhaltiger Aquakultur und Insekten aus professionellen Zuchtanlagen bieten ein großes Potential, den Eiweißbedarf der Zukunft gesundheitsförderlich und zugleich klimafreundlich zu decken. Trotzdem werden wertvolle Eiweißalternativen bisher kaum ausgeschöpft und zu wenig politisch unterstützt. Das DIfE und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben jetzt gemeinsam mit weiteren Mitgliedsinstituten des Leibniz-Forschungsverbundes „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“ ein Positionspapier zum Umgang mit dem wachsenden Eiweißbedarf der Weltbevölkerung veröffentlicht.
„Was und wie viel wir essen, beeinflusst unsere Gesundheit enorm. Zugleich trägt Ernährung aber auch entscheidend zum Klimawandel bei“, sagt Professorin Susanne Klaus, Leiterin der Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Dabei schaden bestimmte Lebensmittel Mensch und Umwelt mehr als andere. So gilt Rindfleisch beispielsweise als krebserregender „Klimakiller“. Andererseits punkten tierische Eiweiße im Vergleich zu pflanzlichen mit einer höheren Qualität. Auf der Suche nach Lösungen für die Vereinbarkeit von gesundem Eiweißkonsum und nachhaltiger Eiweißproduktion lud der Leibniz-Forschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“ zu einem Konsensus-Workshop nach Potsdam ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben Instituten der Leibniz-Gemeinschaft, der Universität Potsdam sowie der Georg-August-Universität Göttingen diskutierten, wie der Eiweißbedarf der wachsenden Weltbevölkerung so gedeckt werden kann, dass die Gesundheit von Menschen und Ökosystemen gleichermaßen profitieren.
Einheit in der Vielfalt: Systematische Diskussion alternativer Eiweißquellen
Ihre Ergebnisse fassten die Forschenden aus Ernährungs-, Agrar- und Pflanzenwissenschaften, Marine- und Süßwasserökologie sowie Insekten- und Erdsystemforschung im vorliegenden Positionspapier zusammen. Darin geht es um die Qualität, die Verwertbarkeit und die gesundheitliche Wirkung von verschiedenen pflanzlichen und tierischen Eiweißquellen. Da bei der Produktion eiweißreicher Nahrung oft hohe Emissionen anfallen, thematisieren die Autorinnen und Autoren auch mögliche Alternativen für gängige Nahrungsproteinquellen und Produktionssysteme. Darunter Insekten als Eiweißquellen oder nachhaltigere Aquakultursysteme, in denen Nährstoffe recycelt werden.
Lehren und Forschungslücken
Doch Forschungsbedarf bleibt: „Grundsätzlich müssen wir nicht nur die gesundheitlichen Auswirkungen unserer Ernährung betrachten, sondern auch die indirekten gesundheitlichen Folgen, die durch die Nahrungsmittelproduktion entstehen – von der Übernutzung von Wasserressourcen bis zum Verlust von Artenvielfalt“, so die Erstautorin Dr. Isabelle Weindl vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Unsicherheiten gibt es auch bezüglich einer optimalen Proteinzufuhr für die Gesundheit. „Interventionsstudien weisen zwar unter bestimmten Bedingungen auf eine gesundheitsfördernde Wirkung von proteinreichen Diäten hin, etwa bei der Therapie von Fettleibigkeit. Epidemiologische Studien legen jedoch nah, dass sich eine proteinarme Ernährung positiv auf die Lebenserwartung und das Erkrankungsrisiko auswirkt“, so Klaus. Die Forschenden kritisieren, dass vielversprechende Alternativen zu tierischen Eiweißquellen bisher unzureichend ausgeschöpft werden. Gerade seitens der Politik gäbe es bisher zu wenig Unterstützung, um die Entwicklung anzukurbeln. „Zum Beispiel mit Blick auf Hülsenfrüchte oder auch Insekten als Eiweißquellen könnte die Politik viel bewirken, etwa über die EU Agrarpolitik“, sagt Weindl.
„Unser Austausch verdeutlicht, dass zukünftige Strategien für eine gesundheitsförderliche Ernährungssicherung immer den Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigen müssen. Das bedeutet auch, dass wir uns an einen größeren Anteil pflanzlicher Nahrungsmittel und an alternative Eiweißquellen gewöhnen und somit unser Ernährungsverhalten ändern müssen“, sagt Klaus. Mögliche Wege dorthin seien noch längst nicht ausgereizt. „Generell ist aber ein Umdenken erforderlich. Tierische Produkte sind nicht die einzige Möglichkeit, eine hohe Qualität von Proteinen sicherzustellen. Man kann sich auch durch kluges Kombinieren pflanzlicher Proteinquellen sehr gut ernähren“, ergänzt Weindl.
Forschung vertiefen – Stakeholder gewinnen
Das in dem Workshop entstandene Positionspapier soll wissenschaftliche Basis und Ausgangspunkt sein, um wichtige offene Fragen interdisziplinär zu erforschen und zu beantworten. „Es ist noch viel zu tun! Gern würden wir dieses Format zu Themen rund um den Einfluss der Ernährung auf die Gesellschaft und die Umwelt weiter ausbauen. Unser Ziel ist es, gesellschaftlich relevante Forschungsfragen zu formulieren und wissenschaftspolitische und gesellschaftliche Stakeholder als Unterstützer für die Forschung zu gewinnen“, sagt Professor Tilman Grune, wissenschaftlicher Vorstand des DIfE.
Drei Lösungsansätze für eine zukunftsgerechte Eiweißversorgung:
- Besser Huhn statt Rind: Umstellung auf nachhaltigere tierische Lebensmittel. Während die Qualität tierischer Eiweißquellen kaum variiert, gibt es große Unterschiede hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks.
- Sinnvoll paaren: Eiweißanteil aus verschiedenen pflanzlichen Quellen erhöhen und geschickt kombinieren. Grund: Durch eine gezielte Kombination kann die biologische Wertigkeit – also die Eiweißqualität – verbessert werden.
- Gesamte Palette nutzen: Es gibt zahlreiche ausbaufähige Möglichkeiten zur nachhaltigen Eiweißproduktion für Lebensmittel und Futter, darunter:
- Heimischer Anbau von Hülsenfrüchten
- Umwandlung der derzeitigen Mono-Aquakulturen in multitrophische und integrierte Produktionssysteme, die Nährstoffe recyceln (Stichwort Aquaponik)
- Alternative Proteinquellen wie Insekten, die eine günstige Eiweißzusammensetzung haben und die Umwelt schonen.