Die Biber in Alaska profitieren vom Klimawandel und breiten sich in rasantem Tempo aus. In nur wenigen Jahren haben sie nicht nur viele Tundra-Regionen besiedelt, in denen sie früher nicht vorkamen. Sie errichten in ihrer neuen Heimat auch immer mehr Dämme und schaffen damit zahlreiche neue Seen. Das könnte das Auftauen des Dauerfrostbodens beschleunigen und damit den Klimawandel weiter ankurbeln, berichtet ein deutsch-amerikanisches Forscherteam im Fachjournal Environmental Research Letters. Wenn es darum geht, eine Landschaft komplett umzukrempeln, macht einem Biber so schnell niemand etwas vor. Nur wenige andere Tiere sind in der Lage, ihren Lebensraum so gezielt umzugestalten, wie diese bis zu 30 Kilogramm schweren Nager im braunen Pelz. Mit scharfen Zähnen fällen sie Bäume und Sträucher und legen Staudämme an. Auf diese Weise setzen sie kleine Täler unter Wasser und schaffen neue Seen, die durchaus ein paar Hektar groß werden können. „Dabei gehen sie äußerst effektiv vor“, sagt Dr. Ingmar Nitze vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Oft bauen sie ihre Dämme genau an den Stellen, an denen sich mit wenig Aufwand ein großer Effekt erzielen lässt.
Schon häufig hat Ingmar Nitze das in den arktischen Regionen Alaskas gesehen, wo der Nordamerikanische Biber am Werk ist. Der Forscher ist Experte für Fernerkundung und interessiert sich besonders für jene Gebiete der Erde, in denen der Boden dauerhaft gefroren bleibt. Klimaforscher befürchten, dass dieser sogenannte Permafrost mit steigenden Temperaturen verstärkt auftauen und instabil werden könnte. Dann könnte er große Mengen Treibhausgase freisetzen, die den Klimawandel weiter ankurbeln.
Ingmar Nitze und seine Kollegen beobachten daher die Entwicklung solcher Landschaften mithilfe von Satellitenbildern. Interessant ist dabei zum Beispiel, wie sich die Seen und andere Wasserflächen dort verteilen. Denn da deren Wasser etwas wärmer ist als der Boden ringsum, können sie das Auftauen weiter beschleunigen. Und an diesem Prozess arbeiten die Biber offenbar kräftig mit. Schon 2018 hatten Ingmar Nitze und Guido Grosse vom AWI gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen festgestellt, dass die Nager in einem gut 18.000 Quadratkilometer großen Gebiet im Nordwesten Alaskas in nur fünf Jahren insgesamt 56 neue Seen geschaffen hatten. Für seine neue Studie ist das Team vom AWI, von der University of Alaska in Fairbanks und der University of Minnesota in Minneapolis der Sache nun genauer nachgegangen. Mit detaillierteren Satellitendaten und längeren Zeitreihen haben sich die Wissenschaftler in zwei anderen Regionen Alaskas auf die Spuren der Nager gesetzt – und waren von den Ergebnissen selbst überrascht.
„Wir wussten natürlich, dass sich die Biber dort in den letzten Jahrzehnten kräftig ausgebreitet haben“, sagt Ingmar Nitze. Das liegt wohl zum einen am Klimawandel. Denn die steigenden Temperaturen lassen inzwischen in immer mehr kleinen Tälern Büsche wachsen, die den Tieren Nahrung und Baumaterial liefern. Auch die Seen, die früher im Winter bis dicht über den Grund zugefroren waren, bieten inzwischen biberfreundlichere Bedingungen mit dünneren Eisdecken. Dazu kommt, dass die Nager längst nicht mehr so intensiv gejagt werden wie früher. Die Zeiten für Biber in der Arktis sind also günstig.
„Wir hätten aber nicht erwartet, dass sie diese Chance so intensiv nutzen würden“, sagt Ingmar Nitze. So zeigt der Blick auf die hochauflösenden Satellitenaufnahmen des etwa hundert Quadratkilometer großen Studiengebietes in der Nähe der Stadt Kotzebue, welch gewaltiges Werk die Tiere dort geschaffen haben. Von nur zwei Dämmen im Jahr 2002 ist die Zahl der tierischen Bauwerke bis 2019 auf 98 angestiegen – ein Zuwachs von 5000 Prozent. Auch das größere Untersuchungsareal, das die gesamte nördliche Baldwin Halbinsel umfasst, erlebte einen Boom an Biberdämmen. „Wir sehen da ein exponentielles Wachstum“, erklärt der Forscher. „Ungefähr alle vier Jahre verdoppelt sich die Zahl dieser Strukturen.“
Das aber hat bereits Folgen für den Wasserhaushalt. Denn die Nager arbeiten offenbar gezielt in jenen Bereichen der Landschaft, die sie besonders leicht unter Wasser setzen können. Mal stauen sie dazu kleinere Bäche auf, mal den Ablauf schon bestehender Seen, deren Wasserfläche sie dadurch vergrößern. „Vor allem aber nehmen sie sich gern ehemalige Seebecken vor, die inzwischen ausgetrocknet sind“, berichten Benjamin Jones, Erstautor der Studie und Ingmar Nitze. In vielen Fällen sind die Böden dieser ehemaligen Seen erstklassige Standorte für Biberaktivitäten. Oft ist deren Grund noch feucht und mit Sumpfgebieten bedeckt, Schmelzwasser und Bäche fließen hier entlang. „Die Tiere haben intuitiv herausgefunden, dass das Aufstauen der Abflusskanäle an den Stellen der ehemaligen Seen eine effiziente Methode ist, um Lebensraum zu schaffen. So entsteht ein neuer See, der den eisreichen Permafrost im Becken abbaut, was zusätzlich dazu führt, dass die Tiefe des künstlichen Wasserkörpers zunimmt“, fügt Jones hinzu.
Das aber bleibt nicht ohne Folgen. So hat sich die Wasserfläche in der Region Kotzebue in den 17 untersuchten Jahren um 8,3 Prozent vergrößert. Und zwei Drittel dieses Zuwachses gehen auf das Konto von Bibern.
Die Forscher vermuten, dass es einen ähnlichen Bauboom auch in anderen Regionen der Arktis gibt. So wollen sie ihre Biber-Fahndung demnächst auch auf die komplette Arktis ausdehnen. „In Kanada zum Beispiel sind die Zuwächse wahrscheinlich noch größer“, sagt Ingmar Nitze. Und jeder zusätzliche See taut den Permafrost an seinen Ufern und an seinem Grund ein wenig an. Zwar kann sich der gefrorene Boden theoretisch auch wieder erholen, wenn die Biberdämme nach einigen Jahren brechen. Ob es dann noch kalt genug dafür sein wird, weiß allerdings niemand. Für Ingmar Nitze ist das alles Grund genug, die Landschaftsbauer auf vier Pfoten weiter im Auge zu behalten: „Wer die Zukunft des Permafrost abschätzen will, sollte auch an Biber denken.“