Klick-Tagebuch für afrikanische Bauern

Time Tracker App | Bild: Hannes Buchwald

Entwicklungsforschung per Smartphone: Mit 60 Symbolen wie Sähen, Pflügen aber auch Freizeit oder Essen erfasst die „Time-Tracker-App“ den Alltag von Kleinbauern in Sambia, auch ohne Lesen oder Schreiben können zu müssen. Wissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart erforschen mithilfe der App, wie das Einkommen von Kleinbauern in Sambia gesteigert und die Arbeitsbelastung gleichzeitig verringert werden könnte. Entwickelt wurde die App von der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM). Unter dem Jahresmotto „Welten verbinden – Zusammenhalt stärken“ zeichnet die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ 2018 und die Deutsche Bank das Projekt am heutigen Montag als „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ 2018 aus.

2.790 Tage, 62 Familien, 60 Symbole, jeweils 1 Klick: Während einer Farmsaison ließen Wissenschaftler der Universität Hohenheim Kleinbauern in Sambia ihren Alltag dokumentieren – alles mit Hilfe einer bilderbasierten Smartphone App der Hochschule der Medien. Ziel war es, durch die Dokumentation herauszufinden, ob und wie sich das Einkommen von Kleinbauern durch Mechanisierung steigern ließe, wie die Arbeitsbelastung verringert werden kann und wie sich das auf das soziale Leben der Kleinbauern auswirken könnte. Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ und die Deutsche Bank zeichnete die Smartphone-App nun im Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ aus. Unter dem diesjährigen Motto „Welten verbinden – Zusammenhalt stärken“ zählt das Projekt damit zu den 100 innovativen Preisträgern unter knapp 1.500 eingereichten Bewerbungen.

Bildergebnis für Universität Hohenheim
Universität Hohenheim

Etwa 80 Prozent der Landwirte in Afrika bestellen laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO ihre Felder nur mit Handarbeit ohne die Hilfe von Zugtieren oder Traktoren. Daher können sie nur kleine Flächen bewirtschaften, die Erträge sind gering. Die Folge: „Landwirtschaftliche Einkommen sind niedrig, und gerade junge Menschen finden Landwirtschaft kaum attraktiv und wandern ab“, erklärt Prof. Dr. Regina Birner, Agrarexpertin an der Universität Hohenheim und Leiterin des Forschungsprojektes. Gerade zu den kritischen Zeiten seien oft zu wenige Hände zum Anpacken da. Diesen saisonalen Arbeitskräftemangel und seine Folgen könnte Mechanisierung ausgleichen. Ziel des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts war es deshalb herauszufinden, welche Voraussetzungen für eine Mechanisierung gegeben sein müssen und welche gesellschaftlichen Folgen zu erwarten sind.

Einflüsse auf die Arbeitsteilung

Dabei stand besonders die Arbeitsteilung innerhalb der Haushalte im Fokus der Wissenschaftler. „Männer pflügen, Frauen jäten Unkraut – das ist laut Literatur die klassische Aufteilung in den Familien“, berichtet Thomas Daum, Doktorand in dem Projekt. „Die Männer-Tätigkeit wird oft zuerst mechanisiert. Uns stellte sich deshalb die Frage, wie die Männer die frei gewordenen Zeit nutzen und wie sich Mechanisierung auf die Zeitnutzung von Frauen auswirkt“.
Um Antworten auf die Fragen zu finden und festzustellen, wann, wie und wo der Einsatz von Traktoren ihnen die Arbeit auf den Feldern erleichtern und damit ihre Erträge steigern könnte, nutzen die Forscher eine „Time Tracker App“ fürs Smartphone, entwickelt von Hannes Buchwald, Absolvent des HdM-Masterstudiengangs Computer Science and Media. Dabei bestand die Aufgabe auch darin, die App für Menschen zugänglich zu machen, die weder lesen noch schreiben können. „Eine App zu entwickeln, die allein durch ihre Grafik funktioniert und sofort begreifbar ist, war die größte Herausforderung meines Projektes“, sagt Hannes Buchwald.

Hochschule der Medien (HdM), a University of Applied Sciences in Stuttgart

Mit der rein bilderbasierten App konnten die Kleinbauern auf dem Feld nun direkt ein „Klick-Tagebuch“ führen: Der erste Klick auf ein Bild startet eine Zeituhr, mit einem weiteren Klick nach Beendigung der Tätigkeit wurde sie wieder gestoppt. Insgesamt 60 Symbole wie Sähen, Pflügen aber auch Freizeit oder Essen konnten dabei ausgewählt werden.  „Die App hat dabei geholfen, ein möglichst genaues und unvoreingenommenes Bild über den Alltag der Kleinbauern zu erhalten und ist somit eine ideale Ergänzung für die Datenerfassung im Allgemeinen“, so das Fazit von Hannes Buchwald. „Bisher waren Haushaltsbefragungen immer eine eher unsichere Informationsquelle. Eine Studie aus den USA zeigte zum Beispiel, dass Männer ihre Arbeit im Haushalt zu 70 Prozent überbewerten.“
Auch eine deutlich aufwendigere zeitbasierte Tagebuchführung ist nicht immer eine Alternative, sagt Thomas Daum weiter, wenn die Befragten beispielsweise nicht lesen oder schreiben können. „Es gab mangels verlässlicher Methoden kaum Daten über den Zeitaufwand in kleinbäuerlichen Anbausystemen. Das machte es schwierig, gute Entwicklungsprojekte zu gestalten und deren Auswirkungen zu messen.“

Spannend und einfach zu benutzen

62 Haushalte nahmen mit Hilfe der App an der Untersuchung Teil, insgesamt 2.790 Tage Datenmaterial kamen so zusammen. „Die App kam auch bei den Kleinbauern toll an“, freut sich Hannes Buchwald. „Sie fanden sie spannend und einfach zu benutzen. Das zeigt sich vor allem auch darin, dass die Teilnehmer ihre Daten sehr diszipliniert aufgenommen haben.“ Auch andere Forschergruppen haben bereits ihr Interesse an der App angemeldet, erzählt Thomas Daum. „Wir werden die App auch noch auf der ‚The International Consortium on Applied Bioeconomy Research Conference‘ in Washington und der ‚International Conference of Agricultural Economists‘ in Vancouver vorstellen. Wir hoffen so noch weitere Wissenschaftler für die App zu gewinnen, um mehr und vor allem genauere Daten zu sammeln. Das soll helfen die Entwicklungsforschung und -politik auf eine solidere Datengrundlage zu stellen.“

Zusammenhalt als Mehrwert für alle

Karl von Rohr, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, gratuliert den Preisträgern: „Viele sagen unsere Gesellschaft drifte auseinander. Umso wichtiger wird die Idee der starken Gemeinschaft. Unsere 100 Preisträger stehen dafür. Ihre ausgezeichneten Ideen und Initiativen belegen eindrucksvoll: Wir sind ein sehr innovatives Land. Und wir halten zusammen – trotz aller Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.“

Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), erkennt vor allem an, wie sehr die Gesellschaft von denen profitiert, die vorbildhaft vorangehen: „Eine Gesellschaft braucht Zusammenhalt und Chancen für die Teilhabe seiner Bürgerinnen und Bürger. Sonst ist sie kein lebenswerter Ort. Die ‚Ausgezeichneten Orte‘ sind in diesem Jahr Leuchttürme für Gemeinsinn. Die Preisträger verbinden dank ihrer innovativen Ideen Welten – Jung mit Alt, Starke mit Schwachen, Stadt mit Land, Sozialprojekte mit Hightech. Sie beweisen, dass es uns allen Mehrwert bringt, wenn mutige Ideen gefördert und geteilt werden. Ihre 100 Innovationen machen die Gesellschaft ein Stück besser.“

Innovationen bekommen eine Bühne

Die 100 Preisträger erwartet ein Wettbewerbsjahr voller Höhepunkte und professioneller Unterstützung: Ab September werden die Preisträger in den Staatskanzleien ihrer Bundesländer empfangen. „Deutschland – Land der Ideen“ und die Deutsche Bank lassen die Preisträger von ihrem Netzwerk profitieren. Sie werden zu exklusiven Veranstaltungen eingeladen, dürfen mit dem Gütesiegel „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ für sich werben und so neue Kunden, Partner, Sponsoren oder Mitglieder gewinnen. Wie im Vorjahr können sich Preisträger im Rahmen des Deutsche Bank „Made for Good“-Chancenprogramms von Experten und in Seminaren beraten lassen.

HINTERGRUND „Deutschland – Land der Ideen“

„Deutschland – Land der Ideen“ ist die gemeinsame Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, vertreten durch den BDI. Die Deutsche Bank ist seit 2006 Partner und Nationaler Förderer des Wettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“. Ziel ist Innovationen aus Deutschland im In- und Ausland sichtbar zu machen und die Leistungskraft und Zukunftsfähigkeit des Standorts zu stärken.