Das Leiden der Tiere – eine politische Philosophie der Tierrechte

Foto: Die Linde

Täglich müssen Millionen Tiere sterben, weil wir ihr Fleisch genießen wollen und es vor allem billig kaufen wollen. Dabei wird durch die Gülle, die die Tiere produzieren, unser Grundwasser geschädigt, Arzneimittel in den Ställen gefährden unsere Gesundheit Die industrielle Tierhaltung ist einer der wesentlichen Faktoren des Klimawandels. .Das ist die menschliche Perspektive auf das Problem Massentierhaltung und Massentötung. Doch welche Ansprüche haben die Tiere? „Die letzte politische Verantwortung für gerecht geregelte Beziehungen zu Tieren tragen einzig und allein wir“, sagt der Philosoph Bernd Ladwig in seinem Buch „Politische Philosophie der Tierrechte“.

Bernd Ladwig. Politische Philosophie der Tierrechte.
Suhrkamp Verlag 2020

Das deutsche Tierschutzgesetz verbietet es, Tieren „ ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden« zuzufügen, weil, so heißt es in der Begründung, der Mensch für das Tier als Mitgeschöpf Verantwortung trägt. Auch dürfe man Wirbeltiere nicht ohne vernünftigen Grund töten. Der Konsumentenwunsch nach billigem Fleisch ist also ein vernünftiger Grund. Der Wunsch der Fleischproduzenten, viel Geld zu verdienen, ebenfalls. Nicht erst seit den „Corona-Fällen“ wie etwa Tönnies, dem größten deutschen Schlachtbetrieb für Schweine, wissen wir,, da stimmt etwas nicht in der Befriedigung unseres täglichen Fleischbedarfes. Das öffentliche Interesse konzentrierte sich durchaus verständlich auf die unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der dort Beschäftigten. Doch was ist allein mit den rund 58 Millionen Schweinen, die jährlich in deutschen Schlachthöfen getötet werden? „Das Ende ihres Lebens beginnt mit dem Tiertransport. Dieser darf für Schweine bis zu 24 Stunden ohne Unterbrechung dauern. Einem 100 Kilogramm schweren Tier steht dabei ein halber Quadratmeter Platz zu. Im Schlachthof riechen Schweine das Blut ihrer Artgenossen, worauf sie offenbar panisch reagieren. Die Arbeit im Schlachthof erfolgt im Akkord. Von den über 58 Millionen Schweinen, die allein in Deutschland jährlich geschlachtet werden, wachen etwa 500000 im 60 Grad heißen Brühwasser wieder auf, weil sie nicht richtig ›abgestochen‹ wurden.“ (1)

Aber auch eine andere Methode, die CO2-Methode führt nicht zu einem „angenehmen“ Tod:
„Das zur Betäubung eingesetzte CO2 führt in der Einleitungsphase zu stark atemstimulierender Wirkung mit Hyperventilation, ausgeprägter Atemnot […] und Erstickungsgefühl. Dies beruht auf einen Anstieg von CO2 in der Atemluft der Schweine, der wiederum durch Anregung spezifischer Chemosensoren zur massiven Steigerung der Atemfrequenz führt […]. Zudem wirkt das Gas auf die Schleimhäute reizend. Beides führt vor Eintritt der Bewusstlosigkeit zu deutlichen Abwehrreaktionen der Schweine u. a. mit Lautäußerungen, Zurückdrängen, Kopfschütteln, Maulatmung, Sprüngen in die Luft, Fluchtversuchen.“ (2)(
Bis hierher war vom Sterben der Tiere die Rede. Das Leben sieht nicht besser aus. Wie Millionen von Hühnern in Mastställen gehalten werden, wie Zuchtsauen systematisch „ausgebeutet“ werden, das alles ist hinlänglich bekannt.

Prof. Dr. Bernd Ladwig ist Professor für politische Theorie und Philosophie. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Fragen der Menschenrechte, Menschenwürde und Gerechtigkeit im Rahmen einer normativen politischen Theorie. Aktuell arbeitet er an einer Monographie zu Menschenrechten und Tierrechten. Foto: FU Berlin

Biobetriebe müssen sich an strengere Bestimmungen halten und unterliegen strengeren Kontrollen. Die Tiere müssen ausreichend Platz erhalten, sie müssen sich hinlegen, umdrehen, stehen, strecken und säubern dürfen. Tieren in Biobetrieben geht es also besser. „Das ist allerdings relativ zu sehen, denn auch Bio-Betriebe unterliegen der wirtschaftlichen Konkurrenz, auch ihre Tierhaltung muss sich rechnen. Die Milchwirtschaft etwa würde sich kommerziell kaum rentieren, wenn die Kühe mit allen ihren Kälbern zusammenleben könnten und wir keines dieser Tiere töten dürften.“

Veganer werden noch lange eine kleine Minderheit bleiben

Dies alles sind nach Auffassung von Ludwig Ladwig „systemische Übel“. Resultat der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dies führt zu seiner Grundannahme, Tierethik und poltische Philosophie zusammenzuführen. Unser Umgang mit Tieren ist keine Privatsache allein, sondern eine Angelegenheit der Öffentlichkeit. Mit Bezug auf den Philosophen John Rawls ( Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 1975) formuliert Ladwig seine Ansicht, dass das Unrecht, das wir den Tieren antun, Ergebnis der institutionellen Ordnung ist, die die Menschen gemeinsam verantworten. Individueller Fleischverzicht ist gewiss löblich, ändert aber nichts an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. „ Konsequente Veganer werden noch lange eine kleine Minderheit bleiben, zumal weltweit die nach Fleisch verlangenden Mittelschichten wachsen.“

Was aber ist gerechtes Verhalten gegenüber Tieren?

Beim Fleischverzehr ist die Antwort noch relativ einfach. Wer ein Tier tötet, obwohl er sich auch anders ernähren könnte, zum Beispiel vegan, begeht ein Unrecht. Schwieriger ist es bei der Frage, ob wir überhaupt Haustiere halten, Tiere also domestizieren dürfen? Werden sie ungerecht behandelt, weil sie ihr Leben nicht so gestalten dürfen, wie es ihrer natürlichen Prägung entspräche? Jeder Zoobesucher, jede Zoobesucherin (die großen, menschlichen Augen der Gorillas) wird sich das schon mal gefragt haben. Das Problem besteht natürlich auch darin, dass Tiere keine gleichberechtigten „Diskurspartner“ sind. Sie können ihre Bedürfnisse nicht artikulieren. Das Problem besteht eben auch darin, ethische und politische Argumente, um Tieren gerecht zu werden, so zu formulieren, dass die Tiere nicht vermenschlicht werden.

Ladwig weiß, dass moralisches Argumentieren auf wenig Gegenliebe in der Gesellschaft stößt. Als die Grünen vor einiger Zeit vorschlugen, einmal in der Woche einen „Veggie-Day“ einzuführen, ernteten sie vehemente Empörung, so als hätten sie Tempo 130 auf Autobahnen gefordert. Was aber tun, wenn man realistischerweise davon ausgehen muss, dass sich moralische Forderungen in unserer Gesellschaft nicht verwirklichen lassen? Es bleibe nichts anderes als die Gesellschaft immer wieder daran erinnern muss, dass sie Unrecht begeht.
Schlussendlich könne man für die Tierrechte nur streiten, so Ladwig, indem man den „ernsthaft nachdenkenden Mitbürgern weder respektlos noch sektiererisch“ daher komme. Rigorismus und Pessimismus sind nicht Bernd Ladwigs Sache.


1) Ladwig bezieht sich hier auf:
Gail Eisnitz, Slaughterhouse. The Shocking Story of Greed, Neglect, and Inhumane Treatment Inside the U.S. Meat Industry, Amherst, NY 1997, S. 68. und Hilal Sezgin, Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen, München 2014, S.120
2) Ladwig zitiert hier Ulrike Machold, »Kohlendioxyd-Betäubung beim Schwein – gibt es eine tierschutzgerechtere Gasbetäubung?«, in: Mitteilungsblatt Fleischforschung Kulmbach 54/208 (2015), S. 87-94, hier S. 88)