Zahlreiche Populationen von auf dem Fischmarkt beliebten Fischen wie Kabeljau, Hering, Seelachs oder Wolfsbarsch gehen zurück. Gleiches gilt für die Populationen von Wirbellosen wie bestimmten Krebs- und Oktopusarten, die ebenfalls für die Fischerei interessant sind. Das geht aus einer Bewertung von mehr als 1300 Fisch- und Wirbellosenpopulationen hervor, die von Forschern der University of British Columbia (UBC; Kanada), des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der University of Western Australia (Australien) durchgeführt wurde.
Mit einer neuen, am GEOMAR Helmholtz-Zentrum entwickelten Methode haben nun Forscher eine erste globale Abschätzung von Populationen wichtiger Speisefische und anderer kommerziell genutzter Arten im Meer erstellt. Die Studie weist weltweit deutliche Rückgänge in den vergangenen 60 Jahren nach. Eine zweite Studie, die ebenfalls diese Woche unter Beteiligung des GEOMAR veröffentlicht wurde, zeigt gleichzeitig am Beispiel von britischen Fischbeständen, dass die COVID-19-Pandemie Chancen bietet, den Kurs beim Fischereimanagement in Richtung Nachhaltigkeit zu ändern.
„Dies ist die erste globale Studie über langfristige Trends in der Populationsbiomasse befischter Meeresorganismen inklusive wirbelloser Tiere für alle Küstengebiete der Erde“, sagt Maria ‚Deng‘ Palomares, Managerin der „Sea Around Us“ Initiative am Institut für Ozeane und Fischerei der UBC. Sie ist Hauptautorin der Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Estuarine, Coastal and Shelf Science erschienen ist. Co-Autor Dr. Rainer Froese vom GEOMAR ergänzt: „Wir haben uns angesehen, wie sich die Populationen der wichtigsten Arten in den vergangenen 60 Jahren entwickelt haben. Die Biomasse der meisten liegt gegenwärtig weit unter dem Niveau, das optimale Fänge ermöglicht.“ Biomasse bedeutet in diesem Zusammenhang das Gewicht der Fische und wirbellosen Meerestiere einer bestimmten Population, die sich noch im Wasser befinden und die mit üblichen Gerätschaften gefangen werden können. Von den in dieser Studie analysierten Populationen liegen 82 Prozent unterhalb des Niveaus, das maximale nachhaltige Erträge hervorbringen kann. „Das liegt daran, dass mehr Tiere gefangen werden als nachwachsen können. Infolgedessen fangen die Fischer im Laufe der Zeit immer weniger, auch wenn sie länger und härter fischen“, betont Dr. Froese.
Das internationale Team nutzte für die Studie eine neue, computerbasierte Methode zur Bestandsabschätzung, die am GEOMAR entwickelt wurde und die Anfang 2020 mit dem Ocean Award für die einflussreichste Wissenschaft zur Erhaltung der Ozeane ausgezeichnet wurde. Sie ermöglicht erstmals Aussagen über Bestände, für die nur wenige Daten vorliegen. Die Studie zeigt nur vereinzelt Ausnahmen von dem allgemeinen rückläufigen Trend. So nahm die Populationsbiomasse in der subpolaren Zone des nördlichen Pazifik um etwa 800 Prozent zu, in der gemäßigten Zone um etwa 150 Prozent. „Hier spielt die globale Erwärmung eine Rolle, die das Verbreitungsgebiet mehrerer kommerziell wichtiger Arten in die Polarmeere ausdehnt“, sagt Rainer Froese.
Empfehlung: Zukünftig geringere Fangquoten
In einer zweiten Studie, die diese Woche in der Fachzeitschrift Marine Policy erschienen ist, haben sich die Autoren speziell die für die Fischerei wichtigen Populationen rund um die britischen Inseln angesehen. Auch hier sind viele Bestände überfischt. Allerdings sorgt die COVID-19-Pandemie – wie in vielen anderen Meeresregionen auch – für einen deutlichen Rückgang der Fischereiaktivitäten. Vor diesem Hintergrund schlagen die Forscher zukünftige Fangquoten vor, die etwas niedriger liegen als der maximale nachhaltige Ertrag.
„Maximaler nachhaltiger Ertrag ist definiert als der höchste Fang, der einem Bestand unter den bestehenden Umweltbedingungen kontinuierlich entnommen werden kann“, sagt Rainer Froese, der auch bei dieser Studie Co-Autor ist. „Intelligentes Fischereimanagement, wie es in Australien angewandt wird, zielt auf etwas weniger ab. Das verringert das Risiko einer unbeabsichtigten Überfischung. Außerdem werden die Populationen resistenter gegen Umweltveränderungen“.
„Die COVID-19-Pandemie bietet jetzt die Gelegenheit, dieses Ziel im Fischereimanagement umzusetzen. Dann könnte Großbritannien nach dem Brexit in seinen Verhandlungen mit der EU darauf bestehen, dass die von der Wissenschaft empfohlenen Fangquoten nicht überschritten werden“, sagt Daniel Pauly, Mitverfasser der Studie und Leiter der Sea Around Us Initiative an der UBC.
„Auch wenn diese Studie sich speziell um Populationen in der britischen Wirtschaftszone kümmert, zeigt sie doch, dass ein Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit möglich ist. Die ohnehin gebremsten Fischerei-Aktivitäten während der COVID-19-Pandemie wären eine gute Gelegenheit dazu. Wie die globale Populationsabschätzung zeigt, ist dieses Umsteuern dringend notwendig, damit auch kommende Generationen noch reichhaltige Nahrung aus dem Meer gewinnen können“, fasst Dr. Rainer Froese zusammen.