Biologische Vielfalt statt Subventionen mit der Gießkanne

Foto: Die Linde

Die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucher-schutz (WBAE) und für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBB) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) haben heute ihre Stellungnahmen „Für eine gemein-wohlorientierte Gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020: Grundsatzfragen und Empfehlungen“ und „Für eine Gemeinsame Agrarpolitik, die konsequent zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei-trägt“ an Bundesministerin Julia Klöckner (BMEL) übergeben. Übereinstimmend stellen beide Bei-räte fest: Die EU-Agrarpolitik wird den heutigen Herausforderungen im Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz nicht gerecht. Die Beiräte sprechen sich daher für eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hin zu einer konsequent am Gemeinwohl orientierten Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume aus.
Voraussetzung für eine Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik ist, dass die derzeit bestehen-de Fokussierung auf pauschale Flächensubventionierung überwunden wird. Gegenwärtig werden EU-weit etwa 73 % der Mittel der EU-Agrarpolitik (40 Mrd. € jährlich) als Subventionen für landwirt-schaftliche Flächen gezahlt. Ihre Höhe und Verteilung sind historisch bedingt und heute nicht mehr zu rechtfertigen: Sie sind weder an der Bedürftigkeit der Landwirte noch an deren Leistungen orien-tiert. Diese Mittel kommen zu einem wesentlichen Teil Bodeneigentümern zugute und fehlen für die dringend erforderliche gezielte Honorierung von Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft. Mit der Betonung einer ergebnisorientierten Politikgestaltung hat die Europäische Kommission nun ein be-grüßenswertes Grundprinzip für die EU-Agrarpolitik nach 2020 vorgeschlagen. Die darin vorgesehe-ne Konzentration des Budgets auf Subventionen mit geringem öffentlichen Mehrwert würde jedoch die undifferenzierte Auszahlung von Steuergeldern fortsetzen, während die gravierenden Heraus-forderungen im Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz sowie der Entwicklung ländlicher Räume nur am Rande adressiert werden.

Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) und für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBB) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Prof. Dr. Volkmar Wolters, Professor für Tierökologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, stellvertretender Vorsitzender des WBB (2. Reihe links), und Prof. Dr. Peter Feindt, HU Berlin, Vorsitzender des WBB (1. Reihe, vierter von rechts). Foto: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)

Die Beiräte empfehlen der Bundesregierung daher, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, die euro-päische Agrarpolitik zu einer konsequent gemeinwohlorientierten Politik weiterzuentwickeln. Der damit verbundene Abbau pauschaler Flächensubventionen sollte schrittweise erfolgen. Die Beiräte empfehlen zudem, den heute schon bestehenden nationalen Handlungsspielraum für die Stärkung einer umwelt-, klima-, biodiversitäts- und tierfreundlichen Landwirtschaft zu nutzen.

Die Beiräte betonen, dass die jeweiligen Stellungnahmen unabhängig voneinander erstellt wurden und sich entsprechend der unterschiedlichen Ausrichtung ergänzen. Der WBAE orientiert sich am gesamten Zielspektrum der europäischen Agrarpolitik und formuliert Grundsätze einer gemein-wohlorientierten Agrarpolitik und Empfehlungen für einen mittelfristigen Umbau. Der WBB fokus-siert auf das Ziel der biologischen Vielfalt. Er zeigt Optionen auf, wie – auch bei Fortsetzung der flä-chenorientierten Direktzahlungen – eine notwendige Umorientierung der EU-Agrarpolitik eingeleitet werden kann. Der WBAE diskutiert zunächst die Ziele der EU-Agrarpolitik vor dem Hintergrund der wirtschaft-lichen und gesellschaftlichen Entwicklung. „Es ist aus Sicht des Beirats dringend erforderlich, die EU-Agrarpolitik stärker an heute prioritären Zielen wie dem Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz auszu-richten“, so Prof. Britta Renner, die stellvertretende Vorsitzende des WBAE. Der WBAE empfiehlt unter anderem, i) den von der Europäischen Kommission skizzierten Weg einer stärkeren Ergebnis-orientierung und Dezentralisierung der EU-Agrarpolitik zu unterstützen, ii) langfristig nur noch die Marktordnungen und Teile des Klima- und Biodiversitätsschutzes vollständig durch die EU zu finan-zieren, iii) das Angebot von Maßnahmen zur Honorierung umwelt-, klima- und tierwohlbezogener Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft auszubauen und konsequent durch die Mitgliedstaaten kozufinanzieren, iv) den Verwaltungsaufwand auf ein angemessenes Maß zu reduzieren und v) die Agrar- und Ernährungspolitik aufeinander abzustimmen sowie in Deutschland das verbraucherorien-tierte ernährungspolitische Instrumentarium wesentlich stärker als bisher für Umwelt-, Klima- und Tierwohlziele einzusetzen.
Der WBB gibt zunächst einen Überblick über den Verlust der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaf-ten und anderen von der Landwirtschaft betroffenen Ökosystemen. Dazu der stellvertretende Vor-sitzende des WBB, der Ökologe Prof. Volkmar Wolters: „Ob wir uns Vögel, Insekten oder Amphibien ansehen – die Lage ist bei allen Lebensformen und Lebensräumen dramatisch und verschlechtert sich weiter. Die Umweltmaßnahmen der letzten 30 Jahre waren offenbar ungenügend.“ Der WBB empfiehlt i) die Verknüpfung der flächenbezogenen Zahlungen mit wirksamen Beiträgen der Emp-fängerbetriebe zum Erhalt der biologischen Vielfalt, ii) eine ausreichende Finanzierung von standort-spezifischen Agrarumwelt- und Agrarklimaschutzmaßnahmen und iii) die Entwicklung von integrier-ten Plänen zum Landschafts- und Ressourcenmanagement durch die betroffenen Gruppen im länd-lichen Raum. Der WBB zeigt auf, wie die flächenbezogenen Agrarzahlungen in der neuen, ergebnis-orientierten GAP mit einem ökologischen Punktesystem verknüpft werden können, das bei schritt-weiser Einführung den Betrieben hinreichend Zeit zum Lernen und für Anpassungen gibt.
Bei der Übergabe betonte der Vorsitzende des WBB, Prof. Peter Feindt: „Deutschland und die EU sind rechtlich verpflichtet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Dazu muss die GAP beitra-gen. Wenn man die Agrarzahlungen an ein Punktesystem für Leistungen zur biologischen Vielfalt knüpft, kann das auf marktkonforme Weise die volkswirtschaftliche Effizienz erhöhen und die um-weltfreundlichen Betriebe belohnen.“ „Eine konsequent am Tierwohl, Umwelt-, Klima- und Biodiver-sitätsschutz ausgerichtete EU-Agrarpolitik würde die Landwirtschaft bei der Bewältigung ihrer Her-ausforderungen unterstützen und langfristig gesellschaftliche Akzeptanz finden“, so Prof. Harald Grethe, Vorsitzender des WBAE, „damit würden verlässliche agrarpolitische Rahmenbedingungen für das nächste Jahrzehnt geschaffen“.