Eckpunkte zur Waldstrategie 2050

Kommentierung der Positionen des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft

Foto: Die Linde

Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums (WBW) hat eine Stellungnahme zum Eckpunkte-Papier „Waldstrategie 2050“ der Bundesregierung vorgelegt, welche die Diagnostik und v.a. die vorgeschlagenen Strategien zum Umgang mit der Waldkrise in Deutschland konkretisiert. In dem vorliegenden Dokument erfolgt eine kritische Kommentierung des WBW-Papiers und einiger der dargelegten Positionen.

1. Das Dokument ignoriert relevante wissenschaftliche Befunde und kommt entsprechend zu einseitigen Positionen. Im Dokument wird nicht stringent zwischen methodischen Elementen mit zugrundeliegenden Annahmen, wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie subjektiv interpretierten Diskussionsteilen unterschieden. Dies impliziert eine teilweise deutlich zutage tretende Subjektivität, die einem vermeintlich wissenschaftlichen Dokument nicht zuträglich ist.

2. Die Stellungnahme lässt einen kompetenten Umgang mit Nichtwissen vermissen und kommuniziert Unsicherheiten unzulänglich oder gar nicht. Eine Waldstrategie 2050 ist, wenn sie sich auf die Zukunft in 30 Jahren bezieht, ihren Namen nicht wert, da derzeitig nicht einmal fünf Jahre in die Zukunft gesehen werden kann. Sie wäre vertretbar, wenn sie Heuristiken umfassen würde, die das Navigieren durch Neuland ermöglichten – welches allein schon aufgrund der unbekannten Klimaverhältnisse betreten wird.

3. Ein angemessener ‚Navigations‘-Ansatz ist derjenige des adaptiven Risikomanagements. Adaptives Management bedeutet eine fehlerfreundliche Arbeits- und Wissenskultur, die aber nur funktioniert, wenn die Bereitschaft besteht, eigenen Fehlern nachzuspüren, diese einzugestehen und aufzuarbeiten. Der WBW erwähnt zwar das Konzept des adaptiven Managements, versäumt aber, auf existierende Ansätze des adaptiven Managements und des Risikomanagements einzugehen.

4. Etwaige negative Auswirkungen der bisherigen Waldbewirtschaftung sowie ihre Beiträge zur derzeitigen Waldkrise werden nicht angesprochen oder aufgearbeitet. Eine fehlerunfreundliche Kultur, die zwar zu Fehlern bewusst steht, aber eben vergangene Fehler auch systematisch aufarbeitet, ist die Grundlage jeglichen adaptiven Managements.

5. Insbesondere werden Erfahrungen mit Monokulturen und nichtheimischen Baumarten nicht aufgearbeitet. Gleichzeitig werden Kalamitäten aller Art in einer Weise diskutiert, die nahelegt, dass nur heimische Baumarten betroffen sein können und das Einführen ökosystemfremder Arten das Mittel der Wahl darstelle.

6. Zukünftige Risiken, die sich aus der Umsetzung von empfohlenen Strategien ergeben könnten, werden vom WBW ignoriert – bzw. bleiben weitgehend unerwähnt. Die Position des WBW umfasst eine Erhöhung der stofflichen Holznutzung und des Holzbaus, die Förderung von Nadelbaumarten, das Anpflanzen von nichtheimischen Baumarten zur Klimawandelanpassung, eine Reduzierung der Erntezieldurchmesser und Senkung der lebenden Holzvorräte in den Wäldern und verstärkte waldbauliche Eingriffe, ohne dass Konsequenzen und Risiken für die Waldfunktionstüchtigkeit überhaupt angedacht oder hinreichend diskutiert werden.

7. Explizit wird eine Abkehr von Grundsätzen der naturnahen Waldbewirtschaftung nahegelegt; dies betrifft etwa die Verwendung heimischer Arten und die Naturverjüngung. Dies bedeutet konkret, dass der WBW eine stärkere Nutzung, das Arbeiten gegen natürliche ökologische Prozesse und die Reduktion von Funktionsschlüsselattributen wie das Alter der Bäume propagiert. Die Förderung bzw. Erhaltung von sich ergebnisoffen entwickelnden Wäldern jenseits der Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie gehört nicht zum strategischen Portfolio des WBW.

8. Der Wald wird nicht als Ökosystem verstanden und analysiert. Beispielsweise verdeutlicht der mit ‚Wald und Wild‘ überschriebene Abschnitt nicht, dass Wildtiere als Komponenten von Waldökosystemen angesehen werden. Es wird überhaupt nicht darauf eingegangen, wie etwa waldbauliche Praktiken, Naturnähe oder –ferne und Strukturvielfalt auf Wildtierpopulationen wirken. Der Abschnitt zu Waldnaturschutz und Biodiversität ist eher knapp gehalten und fokussiert auf Arten(vielfalt). Biodiversität wird nicht mit Funktionalität inkl. Produktivität und adaptiver Resilienz des Ökosystems in Verbindung gebracht. Es fehlen im Dokument Betrachtungen der für Ökosysteme zentrale Stoff- und Energieflüsse oder der mikro- bzw. mesoklimatischen Regulation.

9. Die vermehrte stoffliche Nutzung von Laubholz, insbesondere zur Deckung des Bedarfs, der sich aus der Bioraffinerienutzung im Zuge des Ausbaus der Bioökonomie ergeben soll, wird als gegeben hingenommen, ohne dass die Grenzen der Erntefähigkeit der Wälder diskutiert werden. Damit reflektiert die Stellungnahme einen zutiefst produktivistischen Ansatz, dem ökosystemare Kompetenz und Vorsicht weitgehend fehlt.

10. Ausmaß und Dynamik des Klimawandels scheinen eher unterschätzt zu werden, wenn leichtfertig von Baumarten gesprochen wird, die an zukünftige Klimabedingungen besser angepasst sein sollen.

11. Am Beispiel von Klimaschutz und Klimawandelanpassung wird aufgezeigt, wie einseitig der Wissenschaftliche Beirat argumentiert bzw. wie relevante Sachverhalte ausgeblendet werden.

  • Bei der Bilanzierung der Klimaschutzwirkung der Forstwirtschaft treten Unklarheiten auf. Es fehlt eine Beschäftigung mit den Stoffflüssen sowie den Gesamtbilanzen von Energieaufwand und Emissionen, die mit Gewinnung, Transport und Verarbeitung in Verbindung stehen. Deutschland importiert mehr Holz, als es selbst durch Einschlag gewinnt. Dies gilt insbesondere für Nadelholz, welches besonders für den sogenannten Produkt-Kohlenstoffspeicher und den Klimaschutz relevant sein soll.
  • Die entgangene Kohlenstoffspeicherung in den genutzten Wäldern wird nicht angemessen bilanziert (u.a. Festlegung von Kohlenstoff bei ungestörtem Wachstum, gerade auch angesichts des jungen Baumalters in den Wäldern Deutschlands; Baumwachstum auf für Wege und Rückegassen baumfrei gehaltenen Flächen; stabilisierte Produktivität in älteren und biomassereicheren Wäldern).
  • Die in internationalen Studien dargelegte Tatsache, dass ältere bzw. reifere Wälder fortgesetzt Kohlenstoff speichern, wird nicht thematisiert.
  • Die Befunde zur Schwächung des Waldökosystems durch Biomasseentnahme und die Auflichtung des Kronendachs sowie zur entsprechend erhöhten Mortalität der Bäume werden nicht reflektiert.
  • Ebenso fehlt eine Reflektion des Risikos, dass die Räumung der großflächigen Kalamitätsflächen erhebliche mikro- und lokalklimatische Folgen haben wird, welche das Risiko für die verbleibenden Bestände erhöhen wird.
  • Ausdrücklich ist der Abschnitt zu Böden und Wasser in der Stellungnahme als positiv hervorzuheben. Leider fällt auf, dass die entsprechenden Autoren keinen Einfluss auf andere Abschnitte erzielen konnten bzw. dass ihre Befunde im WBW nicht wirklich rezipiert wurden. Dies ist insbesondere angesichts der aktuellen Waldkrise und den sich rasch ausweitenden Räumungshieben mit schweren Bodenbeeinträchtigungen überaus beklagenswert.
  • Die methodische Schwäche, dass zukünftiges Waldwachstum auf der Grundlage von Daten aus der Vergangenheit berechnet wird, ist nicht reflektiert.
  • Internationale Befunde zur energetischen Nutzung von Holz als Netto-Quelle von Treibhausgasemissionen werden nicht erwähnt.
  • Überlegungen und Studien, die die geforderte Substitutionswirkung von Holz als vermeintlich klimaneutraler Baustoff in Frage stellen, werden nicht berücksichtigt.

12. Als ein Ergebnis dieses Kommentars wird die bereits an anderer Stelle vorgeschlagene Erarbeitung eines ‚Nationalen Waldgutachtens‘ unter Einbeziehung aller relevanter wissenschaftlicher Disziplinen gefordert, welches eine ausgewogene Entscheidungsgrundlage für den Umgang mit der Waldkrise bereitstellen soll. Es geht dabei um eine aktuelle Darstellung von wissenschaftlichem Konsens und Dissens zum Zustand der Waldökosysteme und künftiger Risiken als Entscheidungsgrundlage für das kurzfristige Management, für die Orientierung der Waldpolitik sowie für die Diskussion einer langfristigen Waldstrategie mit Akteur*innen und Bürger*innen.

13. Der Aspekt der Bürger*innenbeteiligung auf Grundlage des Abwägens aller Ökosystemleistungen wird vom WBW nicht dargestellt. Die Stellungnahme wurde deutlich von einer produktionsorientierten Perspektive angetrieben.

14. Ohne Zweifel sind nunmehr Zivilgesellschaft und andere Bereiche von Wissenschaft und Politik aufgerufen, sich stärker in den Diskurs zur Waldentwicklung einzubringen.

Das gesamte Dokument finden Sie hier:

https://naturwald-akademie.org/forschung/positionen/kommentar-zur-waldstrategie-2050/

oder als pdf: https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2020/08/ePaper_Eckpunkte-zur-Waldstrategie-2050_Kommentierung-der-Positionen-des-Wissenschaftlichen-Beirat-f%C3%BCr-Waldpolitik-des-BMEL_18Aug2020.pdf