Biodiversitätsversuchsflächen auf dem Prüfstand

Luftaufnahme des „Jena Experiments“ in Thüringen. Copyright: Jena Experiment

Ein Großteil der Erkenntnisse darüber, wie die Menschheit von biologischer Vielfalt profitiert, stammt aus Biodiversitätsversuchsflächen. Kritiker*innen bemängeln seit langem, dass dort Artengemeinschaften wachsen, die in der Natur nicht vorkommen. Senckenberg-Forschende haben daher in einer Studie zum Zusammenhang zwischen biologischer Vielfalt und Ökosystem-Leistungen unrealistische Versuchsflächen identifiziert und in der Analyse ausgespart. Trotzdem änderten sich die Ergebnisse kaum. Dies belege, dass die aus den Versuchsflächen erlangten Erkenntnisse zur biologischen Vielfalt als essentielle Lebensgrundlage der Menschheit valide seien, schreibt das Team in „Nature Ecology & Evolution“.

Ob eine Handtasche nun ein teures Original oder eine erschwingliche Nachahmung ist, ist für die meisten wahrscheinlich unwichtig. Wenn es aber um Natur geht, ist der Unterschied zwischen echt und nachgemacht durchaus relevant, denn vieles, was wir über die Zusammenhänge zwischen dem Verlust biologischer Vielfalt und den verringerten Leistungen der Ökosysteme wissen, wurde in Biodiversitätsexperimenten festgestellt. Dabei werden auf Versuchsflächen Pflanzengemeinschaften angesät, um Natur nachzuahmen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sind nicht unumstritten, denn auf den Versuchsflächen wachsen auch Artengemeinschaften, die in der Natur entweder sehr selten sind oder gar nicht vorkommen. Dies wurde wiederholt von Kritiker*innen bemängelt.

Luftaufnahme des „BioDIV Experiments“ in Minnesota, USA, das im Rahmen der Studie erforscht wurde.Copyright: Forest Isbell

Ökologen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums haben gemeinsam mit Forschenden des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Bern die Nachahmungen der Natur auf die Probe gestellt. Das Team verglich dazu die Vegetation in zwei der größten und ältesten Grasland-Versuchsflächen mit der Vegetation äquivalenter Standorte in der echten Natur. Eines der untersuchten Biodiversitätsexperimente ist das „Jena Experiment“ in Thüringen. Zum Vergleich zogen die Wissenschaftlern naturnahe, benachbarte Graslandschaften und wissenschaftlich überwachte, landwirtschaftlich genutzte Flächen, die sogenannten „Biodiversitäts-Exploratorien“, heran.

Foto: BIK-F

„Wir haben zunächst untersucht, inwieweit sich die Pflanzengemeinschaften der Versuchsflächen und der echten Natur hinsichtlich der Artenzahl, der verwandtschaftlichen Nähe der Arten und der funktionalen Eigenschaften unterscheiden. Dabei zeigte sich, dass die Versuchsflächen vielfältiger als die echte Natur sind und es dort Pflanzengemeinschaften gibt, die man in der realen Welt nicht vorfindet. Im „Jena Experiment“ beispielsweise ähneln nur 28 Prozent der Parzellen der echten Natur so stark, dass wir sie als realistisch eingestuft haben”, erklärt der Ko-Autor Dr. Peter Manning, Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Überraschenderweise änderte sich kaum etwas

Im nächsten Schritt verglich das Team die Ergebnisse aller Versuchsparzellen mit Ergebnissen, die nur aus realistischen Parzellen stammen. „Überraschenderweise änderte sich kaum etwas. Bei zehn von zwölf Zusammenhängen zwischen dem Artenreichtum und einer Funktion des Ökosystems unterscheiden sich die Ergebnisse zwischen den gesamten und den ‚realistischen‘ Versuchsparzellen nicht signifikant. Das deutet darauf hin, dass die Abhängigkeit der Ökosystemfunktionen von biologischer Vielfalt, die solche Biodiversitätsexperimente zeigen, sehr wahrscheinlich auch in der weitaus komplexeren Natur besteht“, erklärt Dr. Malte Jochum, Erstautor der Studie vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig.

Foto: IDIV

Die Autoren folgern, dass die Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Artensterbens, die auf Versuchsflächen gewonnen wurden, valide sind. „Der Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren zunehmend bewusst geworden, dass die biologische Vielfalt unsere Lebensgrundlage ist und das Artensterben deshalb die Menschheit bedroht. Weniger bekannt ist, dass in der wissenschaftlichen Gemeinschaft debattiert wird, wie wichtig genau biologische Vielfalt ist. Wir beantworten diese langjährige Frage und belegen, dass biologische Vielfalt wirklich eine entscheidende Rolle spielt.  Es ist darum äußerst wichtig, sie zu schützen, damit wir auch in Zukunft gut leben können“, so Manning.