Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Nature Astronomy befassen sich Astronom*innen, darunter Direktoren und Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Astronomie, mit den Wechselwirkungen zwischen Astronomie und anthropogenem Klimawandel. Sie untersuchten dabei zum einen die Menge der Emissionen fossiler Brennstoffe, die im Forschungsbetrieb des Instituts, aber auch bei Konferenzen und in Observatorien entstehen. Auch die negativen Folgen des menschengemachten Klimawandels für den astronomischen Beobachtungsbetrieb haben sich die Astronom*innen näher angesehen.
Klimawandel ist ein wichtiges Forschungsthema der Astronomie. Unser Schwesterplanet Venus ist ein deutliches Beispiel für einen extrem starken Treibhauseffekt, in jenem Falle mit lebensfeindlichen Oberflächentemperaturen von mehr als 460 Grad Celsius. Und die Suche nach Planeten, die andere Sterne als die Sonne umkreisen, in Verbindung mit den unvorstellbar großen Abstandsskalen in der Astronomie, unterstreichen, dass es für uns Menschen „keinen Planeten B“ gibt.
Aber die Astronomen haben noch einen direkteren eigenen Bezug zum irdischen Klimawandel: Ihre Beobachtungen werden durch die Klimakrise beeinflusst, und die Astronom*innen wiederum sind für CO2-Emissionen verantwortlich, die zur Klimakrise beitragen. Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen sich diese direkte Verbindung zwischen astronomischer Forschung und Klimakrise näher angeschaut. Die Ergebnisse erscheinen in sechs Artikeln in der Zeitschrift Nature Astronomy. Die Idee für die Artikelserie entstand aus Diskussionen aus Anlass des Treffens „Astronomy for Future“ auf der diesjährigen (virtuellen) Jahreskonferenz der Europäischen Astronomischen Gesellschaft.
Die Emissionen eines astronomischen Instituts
Wer Emissionen reduzieren will, muss als erstes wissen, wo sie konkret in welchen Mengen anfallen. In einem der Artikel hat ein Team von Astronom*innen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg für das MPIA genau solch eine Zusammenstellung vorgenommen und die CO2-Emissionen für das Jahr 2018 erfasst. Sie stellten fest, dass Interkontinentalflüge – zur Teilnahme an Konferenzen oder zur Durchführung von Beobachtungsprogrammen an Observatorien in Nord- und Südamerika – und der Stromverbrauch von Supercomputern den weitaus größten Beitrag zu den Emissionen leisten.
Alles in allem kamen sie auf 18 Tonnen Kohlendioxid pro Wissenschaftler*in allein für Forschungsaktivitäten. Zum Vergleich: Das ist fast doppelt so viel wie die pro-Kopf-Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland und mehr als zweieinhalb Mal soviel wie das deutsche Klimaziel 2030 mit 6,8 Tonnen pro Person und Jahr.
Knud Jahnke, Gruppenleiter am MPIA und Hauptautor des Artikels, sagt: „Auch wir Astronomen sind für unsere Emissionen durch fossile Brennstoffe verantwortlich. Aber durch persönliche Entscheidungen allein können wir nur einen geringen Beitrag zur Verringerung leisten. Wir müssen daher erst einmal herausfinden, woher die Emissionen stammen. Dann ergibt sich, wie wir auf Institutsebene, auf der Ebene der Gemeinschaft der Astronom*innen insgesamt oder auf gesamtgesellschaftlicher Ebene Maßnahmen ergreifen können, die zu einer wesentlichen Verminderung führen.“
Der Artikel liefert auch Empfehlungen, wie astronomische Institute wie das MPIA ihre Emissionen reduzieren könnten. Eine davon ist die Verlagerung von Supercomputern an Standorte, an denen Strom überwiegend aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird und die Kühlung einfacher ist – Island ist eine mögliche Wahl. Die andere ist eine drastische Beschränkung der forschungsbezogenen Flüge.
Virtuelle versus herkömmliche Konferenzen
Der Frage astronomischer Fachkonferenzen, zu denen üblicherweise zahlreiche Teilnehmer mit dem Flugzeug zu ein und demselben Veranstaltungsort anreisen, behandelt ein weiterer der sechs Artikel, bei dem Jahnke Mitautor ist. Der Artikel vergleicht die beiden letzten Jahrestagungen der Europäischen Astronomischen Gesellschaft: Das Treffen 2019 in Lyon, Frankreich, eine herkömmliche Vor-Ort-Konferenz mit mehr als 1200 Teilnehmern, und das Treffen 2020, das aufgrund der weltweiten Pandemie als virtuelle Veranstaltung mit fast 1800 Teilnehmern stattfand.
Dass die Emissionen des Online-Meetings ungleich geringer sind, dürfte niemanden überraschen. Die Zahl selbst vielleicht doch: Die Astronom*innen fanden heraus, dass das Online-Meeting weniger als ein Tausendstel der Kohlendioxidemissionen des herkömmlichen Vor-Ort-Treffens produzierte.Auch Astronomen hat die Pandemie dazu gezwungen, mit Online-Formaten zu experimentieren. Und während sich für einige Konferenzformate, wie etwa Plenarvorträge, problemlos Online-Versionen organisieren lassen, gibt es leider noch keinen effektiven Ersatz für die persönliche Vernetzung, die persönlichen Kontakte, die eine traditionelle Konferenz ermöglicht. Leonard Burtscher von der Universität Leiden, Erstautor des Artikels, sagt: „Eine klimafreundliche Lösung könnte darin bestehen, eine Konferenz an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden zu lassen, so dass alle Teilnehmer*innen mit dem Zug reisen können. Die Plenarvorträge würden online stattfinden. Aber an jedem der separaten Konferenz-Orte wären persönliche Kontakte zwischen den Wissenschaftler*innen möglich.“
Der Einfluss der Klimakrise auf astronomische Beobachtungen
Während sich die beiden bereits beschriebenen Artikel auf die Auswirkungen der astronomischen Forschungstätigkeiten auf den Klimawandel konzentrieren, betrachtet ein dritter Artikel das Thema von der anderen Seite: Dort haben die Astronomen das Ausmaß untersucht, in dem der menschengemachte Klimawandel die Astronomie beeinträchtigt, genauer gesagt die Qualität der astronomischen Beobachtungen.
Als Untersuchungsgegenstand wählten sie einen der wissenschaftlich erfolgreichsten modernen Beobachtungsstandorte: das Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Für den Paranal liegt ein umfangreicher Satz von Wetterdaten vor, der in den letzten drei Jahrzehnten von entsprechenden Messgeräten gesammelt wurde. Der Standort Paranal hat dem in den letzten vier Jahrzehnten einen Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1,5º C verzeichnet, was leicht über dem weltweiten Durchschnittswert eines Anstiegs von 1º C seit der vorindustriellen Ära liegt.
Auf technischer Ebene hat der Anstieg zu Schwierigkeiten bei der Kühlung der Teleskope geführt. Die Kuppeln des Very Large Telescope (VLT) am Paranal werden tagsüber auf die zu erwartenden Nachttemperaturen gekühlt, um Luft-Turbulenzen beim Öffnen der Kuppel bei Sonnenuntergang zu vermeiden. Solche Turbulenzen würden die Beobachtungen stören. Sind die Temperaturen bei Sonnenuntergang wärmer als 16º C, ist eine vollständige Kühlung unmöglich. Das Kühlsystem stößt dann an seine Grenzen. Eine Beeinträchtigung der Beobachtungsqualität ist in diesen Fällen unvermeidbar. Solche wärmeren Tage sind mit steigender Durchschnittstemperatur häufiger geworden.
Nicht zuletzt hängt die Beobachtungsqualität auch von allgemeineren Eigenschaften der Atmosphäre ab. Geringe Luftfeuchtigkeit beispielsweise ist für Infrarotbeobachtungen entscheidend. Paranal ist derzeit einer der trockensten Orte der Erde. Für andere Arten von Beobachtungen spielen Luftturbulenzen eine Rolle, die das aus dem Weltraum einfallende Licht mittelbar ein wenig ablenken. Paranal liegt unter einer Jetstream-Schicht, deren Stärke mit der Ausprägung von El-Niño-Ereignissen zusammenhängt. Während die verfügbaren Daten bisher keine signifikanten Entwicklungstrends zeigen, wird erwartet, dass die Stärke von El-Niño-Ereignissen in den nächsten Jahrzehnten mit dem Fortschreiten der Klimakrise zunehmen wird.
Wie geht es weiter?
Für zukünftige Teleskope wie das Extremely Large Telescope (ELT) mit seinem 39-Meter-Spiegel, das derzeit in Sichtweite vom Paranal gebaut wird, werden die Astronomen diese und andere Effekte berücksichtigen müssen. Vorsichtshalber sollten sie darauf achten, dass auch ungünstigere Entwicklungen wie ein Anstieg um rund 4º C im nächsten Jahrhundert, mit entsprechenden Auswirkungen auf El-Niño-Ereignisse und Wetterlagen mit höherer Luftfeuchtigkeit, bei den Planungen als mögliche Szenarien berücksichtigt werden.
Mit den jetzt veröffentlichten Artikeln hoffen die Astronomen, innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft nötige Veränderungen anzustoßen. Faustine Cantalloube vom MPIA, Hauptautorin des Artikels über die Auswirkungen der Klimakrise auf astronomische Beobachtungen, sagt: „Als Astronomen haben wir das große Glück, auf einem faszinierenden Forschungsgebiet zu arbeiten. Aber mit unserer einzigartigen Perspektive auf das Universum haben wir auch eine Verantwortung dafür, sowohl unsere Kolleg*innen als auch die breite Bevölkerung auf die katastrophalen Folgen des anthropogenen Klimawandels für unseren Planeten und unsere Gesellschaft hinzuweisen.“
Handeln sollten jetzt anhand der veröffentlichten Informationen sowohl die Wissenschaftler*innen als auch all jene, die das Umfeld für wissenschaftliche Forschung schaffen. Die Artikel weisen einen Weg für die nächsten Schritte, wie wir einerseits die astronomische Forschung weiterführen können, die mit ihren einzigartigen Möglichkeiten den Planeten Erde und unsere Umwelt in einem größeren Zusammenhang betrachtet. Gleichzeitig zeigen sie, wie wir die damit verbundenen Emissionen deutlich reduzieren können.