„Besser in Zukunft investieren als auf Reshoring zu setzen“

Prof. Dr. Andreas Goldthau ist Leiter des ISIGET-Projekts am IASS, das die systemischen Auswirkungen der globalen Energiewende für Länder im Globalen Süden erforscht. Er hat den Franz Haniel Lehrstuhl für Public Policy an der Universität Erfurt. Daniel Vegel

Der wirtschaftliche Absturz von COVID-19 bedroht die internationalen Handelsnetze und damit saubere Energieprodukte. Prof. Andreas Goldthau über die Gefahr, die daraus fürs Klima entsteht und welche Maßnahmen nun sinnvoll wären.


IASS: Covid-19 bedroht internationale Handelsnetze: Was kann die aktuelle Lage Ihrer Einschätzung nach noch mit sich bringen?

Andreas Goldthau: Bei der Diskussion um Covid-19 und den Welthandel gilt es zwei Dinge zu unterscheiden: Zum einen sind da Warenströme von Zwischenprodukten und Rohstoffen, die durch die Pandemie schlicht unterbrochen waren. Hier sind primär unternehmerische Strategien gefragt, um Puffer im globalen Zulieferersystem zu schaffen. Das wird sicherlich auch eine Rekalibrierung von Lieferketten bedeuten. Zum anderen nehmen Regierungen die Engpässe nun zum Anlass, ein „Reshoring“ zu fordern, also eine Rückverlagerung von Produktionskapazitäten, nah an den Verbraucher und am besten gleich ins eigene Land. Dies sind politisch motivierte Veränderungen von Lieferketten, die jedoch die Lage noch verschlimmern gerade in Bereichen wie den Klimatechnologien, wo sie potentiell negative Nebenwirkungen haben.

Die US-Regierung hat im Mai 2020 mit Steueranreizen, Subventionen und zuvor schon mit Schutzzöllen eine neue Form des Protektionismus losgetreten, um die US-Industrien von ihren Produktionsstätten in China abzubringen – ist das eine mögliche Lösung?

Erfolgreiche Produktionskapazitäten werden über Jahre hinweg aufgebaut. Es steckt eine Menge Prozessinnovation dahinter und der richtige Mix an lokalem Knowhow sowie spezialisierten Zulieferern. Es ist also schwer, mit Anreizen allein eine schnelle Verlagerung zu erzielen. Auch protektionistische Ansätze sind nur selten von Erfolg gekrönt. Erinnern wir uns doch beispielsweise an den Versuch der Bundesregierung, die deutsche Solarwirtschaft über Importbarrieren vor Chinas Photovoltaikindustrie zu schützen. Dies ist letzten Endes gescheitert. Was aber auch gern in Vergessenheit gerät: Die weltweite Spezialisierung bringt auch Jobs zu Hause. Solarpanele die in China gefertigt werden, müssen in den USA oder Europa installiert und gewartet werden. Es bilden sich dort zudem neue Service-Businessmodelle um Erneuerbare Energien – denken wir an den Bereich Smart Homes. Sie können also durchaus mit einer Reshoring-Agenda Arbeitsplätze vernichten, statt sie aufzubauen. So geht die US-Solarwirtschaft davon aus, dass die Zölle der US-Administration auf chinesische Photovoltaik-Anlagen Zehntausende von inländischen Jobs kosten werden.

Ist es denn nicht positiv zu bewerten, wenn Nationen wie die USA Sicherheit für ihr Land mit solchen Maßnahmen erreichen wollen?

Das ist absolut legitim. Versorgungssicherheit ist in der Tat die genuine Aufgabe eines Staates. Genau deshalb halten Industriestaaten beispielsweise 90 Tage an Ölverbrauch vor. Diese Bevorratung kann aktiviert werden, sollte sich das Angebot drastisch verknappen wie beispielsweise bei der Ölkrise in den 1970ern. Allerdings verlassen sich Staaten ansonsten auf den Ölmarkt.

Inwieweit hat das mit der jetzigen Situation zu tun?

In der Tat wurden mit Covid-19 einige Güter knapp wie etwa Atemschutzmasken. Auch bei medizinischer Ausrüstung wie Beatmungsgeräten zeigte sich Unterversorgung. Hier ist der Staat gefragt, ausreichend Vorrat anzulegen als auch Kapazitäten zu schaffen. Schnell jedoch wurden Parallelen zu anderen Sektoren gezogen, in denen China ebenfalls einen starken Marktanteil besitzt. Der Vorwurf: China habe mit unlauteren Mitteln – staatlichen Subventionen oder Arbeitsstandards – seinen Firmen Wettbewerbsvorteile verschafft und diese so in eine dominante Position gebracht. Zudem kontrollieren chinesische Firmen wichtige Rohstoffflüsse wie beispielsweise die für E-Autos oder Windrotoren benötigten Seltenen Erden. Es wurden Forderungen laut, diese Vormachtstellung zu brechen.

Welche Lektion kann daraus abgeleitet werden?

Keiner käme aufgrund von Covid-19 auf die Idee, eine heimische Atemschutzmaskenindustrie aufzubauen. Stattdessen halten Staaten Vorräte vor und profitieren ansonsten von Preisvorteilen, die sich aus der globalen Arbeitsteilung ergeben, was zu enormen Kostensenkungen bei den Erneuerbaren Technologien geführt hat. Erst die weltweite Spezialisierung hat Erneuerbare wie Solar oder Wind billig genug gemacht, um mit fossilen Energieträgern konkurrieren zu können. China hat dabei eine zentrale Rolle in der Produktion eingenommen. Deutschland fokussiert dafür auf ein anderes Ende der Wertschöpfungskette, nämlich die Fertigungsmaschinen. Wird das Prinzip der Arbeitsteilung angefasst, wird zugleich eine Abflachung der Kostensenkung riskiert. Im Ergebnis werden weniger Solarpanele und Windrotoren verbaut. …und das schadet dem Klimaschutz. Gleichzeitig wird gefordert, die Einhaltung der Menschenrechte in der internationalen Arbeitsteilung zu berücksichtigen.

Wie geht mit diesem Zielkonflikt umgehen?

Der Gerechtigkeitsaspekt ist bei Lieferketten in der Tat ein wichtiges Thema. Allerdings hat sich gezeigt, dass selbst große Wirtschaftsschocks wie die Finanzkrise oder COVID-19 Emissionen nicht annähernd die CO2 Reduktionen bringen, die benötigt wären. Weniger Globalisierung kann also nicht die Antwort sein. Sondern ein Supply Chain Management, das gezielt Zulieferer ausschließt, wenn sie den Menschenrechten oder Umweltstandards nicht Genüge tun. Immer mehr Länder – Deutschland bald eingeschlossen – versuchen über Lieferketten-Gesetze, die Einhaltung der Menschenrechte in Drittländern zu sichern.

Was ist das größte Problem an dieser Lage, die sich durch die Corona-Pandemie verschärft hat?

Corona verzögert bereits den Kapazitätsausbau von Erneuerbaren. Im Rahmen von Stimulusprogrammen kann davon eventuell etwas aufgefangen werden. Fatal wäre nun aber, Länder wie China aus Lieferketten bei Klimatechnologien herauszuschneiden. Es kostet nicht nur unnötig Geld, sondern vor allem kostbare Zeit im Kampf gegen den Klimawandel.

Was wären – nach Ihrem Stand der Forschung – die geeigneteren Wege, um durch die globale Pandemie nicht auf anderen Ebenen das entscheidende Zeitfenster zu vergeuden?

Anstatt aufs Reshoring von etablierten Technologien zu setzen, sollte in die Zukunft investiert werden. Das bedeutet, Innovationsprozesse staatlich zu fördern, Technologieentwicklung zu betreiben und so die Wertschöpfungskette von morgen zu besetzen. Das ist im Übrigen im Sinne der Klimapolitik: Je größer der Wettbewerb um technologische Lösungen für eine dekarbonisierte Weltwirtschaft, desto steiler ist für diese die Lernkurve, und desto schneller gelangen sie zur Marktreife.

Das Interview führte Sabine Letz