Marktwirtschaft, so bekräftigen es Ökonomen, ist auf Wachstum angewiesen. Mehr Geld, mehr Investitionen, mehr Konsum. Die Erde aber hat ihre Grenzen. Wie können wir wirtschaftlich wachsen und zugleich unsere Umwelt schonen? Was wir brauchen, ist ein Blick auf das große Ganze und größere Zeitzusammenhänge, sagt Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. René Fahr von der Universität Paderborn: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ – Diese Worte sind im sogenannten Bruntland-Bericht „Our Common Future“ zu lesen. Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen hat diesen Bericht im Jahr 1987 veröffentlicht. Auch wenn es keine ökonomische Definition von Nachhaltigkeit im engeren Sinne gibt, so Fahr, wird in entsprechenden Diskursen heute oft auf diese Auffassung verwiesen: „Auf der Grundlage des ökonomischen Präferenz- und Nutzenkonzeptes bedeutet es das, was allgemein unter „schwacher Nachhaltigkeit“ verstanden wird: Ressourcen können ersetzt werden, solange die Präferenzen künftiger Generationen befriedigt werden.“ Doch das Konzept bringt laut Fahr auch eine Gefahr mit sich. Allzu leichtfertig könnte die Gesellschaft auf den technischen Fortschritt vertrauen und dabei wertvolle Ressourcen aufbrauchen.
Unendliches Wachstum, endliche Ressourcen
Wie stark ist also Nachhaltigkeit in unserem wirtschaftlichen Denken verankert? „In der volkswirtschaftlichen Lehre ist Nachhaltigkeit bis heute kein Thema“, erklärt der Paderborner Wirtschaftswissenschaftler. So ginge die makroökonomische Wachstumstheorie weiterhin von der Möglichkeit eines unendlichen Wachstums aus, das keine „planetaren Grenzen“ kenne. Anders sähe es in Teilen der Betriebswirtschaft aus: „Die Orientierung hin zur Nachhaltigkeit kam hier durch die Besinnung auf die Verantwortung des Unternehmens mit den Ansätzen zur Corporate Social Responsibility (CSR). Viele Unternehmen wurden vor allem durch Initiativen zu nachhaltigen Investments wachgerüttelt. Wenn die Anlagerichtlinien eines riesigen Investors, wie die des norwegischen Staatsfonds, ethische Investments vorsehen, dann hat das einen starken Einfluss auf das Denken und Handeln der Konzernvorstände.“
Umdenken in größeren Zusammenhängen
Ansätze zu nachhaltigerem Wirtschaften setzen allerdings auch ein grundsätzliches Umdenken voraus – und da sind sich Ökonomen und Konsumenten durchaus ähnlich, wie Fahr feststellt: „Es gibt da eine gewisse Trägheit, liebgewonnene Gewohnheiten zu ändern. Ökonomen müssten grundsätzliche Annahmen infrage stellen, um Nachhaltigkeit allgemein in ökonomischen Modellen zu berücksichtigen.“ Zudem sei ökonomische Theorie heute vor allem durch mikroökonomische Ansätze geprägt, die sich mit individuellen ökonomischen Entscheidungen auf Teilmärkten beschäftigten. „Ansätze wie diese sind meist statisch oder berücksichtigen nur zwei bis drei Perioden. Letzteres liegt daran, dass die mathematische Komplexität sonst enorm zunehmen würde. Wenn man sich aber nicht das große Ganze anschaut und keine großen Zeitzusammenhänge analysiert, wird Nachhaltigkeit keinen Platz in der ökonomischen Analyse finden. Es fehlen die Visionäre aus den eigenen Reihen der Wirtschaftswissenschaften und der Konzerne.“ Einen wichtigen Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit sieht der Wirtschaftswissenschaftler in der Realisierung eines Lieferkettengesetzes: „Auch, wenn es hier primär um die Sicherstellung der Menschenrechte entlang der vorgelagerten Lieferkette geht, also zu den Lieferanten, würde so ein Gesetz Unternehmen dazu bewegen, ihre Lieferkette nachhaltiger auszugestalten. Aber auch zur nachgelagerten Lieferkette, die zum Kunden geht, bedarf es strengerer Regelungen. So hat etwa das bisherige Gesetz zur Rücknahme von Elektronikgeräten die gewünschten Sammelziele verfehlt. Hier ist auch bereits eine Novelle des Gesetzes in Vorbereitung. Die strengeren Regeln bewegen die Hersteller zur Herstellung von langlebigeren und reparaturfähigen Produkten.“
Ideenwandel gegen Klimawandel
Wie erfolgreich hingegen nachhaltige Konzepte in Geschäftsmodelle integriert werden können, zeige sich vor allem in der heutigen Start-up-Kultur. Fahr: „Man kann es ein wenig mit Biolebensmittelläden vergleichen, da sie aufzeigen, was möglich ist. Der Umbruch bei der nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln kommt jedoch erst, wenn die großen Supermärkte ihr Sortiment umstellen, da der Hebel dort eben deutlich größer ist.“ Der Wille zum Umdenken sei allerdings da – zumindest bei der jüngeren Bevölkerung. So habe auch die „Fridays for Future“-Bewegung dazu beigetragen, dass insbesondere Entscheidungsträger das existenzielle Problem dahinter erkennen würden: „Der Klimawandel ist kein Modethema, über das sich nur Wissenschaftler ereifern. Er beeinflusst unser künftiges Leben und Wirtschaften in einem erheblichen Ausmaß.“