In den Weltmeeren schwimmen Millionen Tonnen Plastik, die zunehmend das maritime Ökosystem und den Menschen bedrohen. Vor allem die Länder Südostasiens kämpfen mit Unmengen an Abfall, der vom Land in die Flüsse und von dort ins offene Meer gelangt. Um nationale Regierungen bei ihrem Kampf gegen den Plastikmüll zu unterstützen, ist das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in mehreren Projekten aktiv. In der aktuellen Ausgabe des renommierten IOP Science Journal „Environmental Research Letters“ stellen die Forschenden einen innovativen Machine-Learning-Algorithmus vor, der lokalen Entscheidungsträgern wichtige Erkenntnisse über die Plastikverschmutzung liefert.
Die großen Flüsse in südostasiatischen Ländern wie Kambodscha, Myanmar oder den Philippinen sind zugleich Sammelpunkt und Transportweg für den meisten Plastikmüll. Die Gründe dafür sind vielfältig: neben einer unzureichenden Müllsammlung und -entsorgung, die längst nicht alle Teile der Bevölkerung erreicht, und fehlenden Recyclingprogrammen sorgen auch die oft direkt an Flüssen gelegenen Mülldeponien dafür, dass große Mengen Abfall ungefiltert in die Gewässer und schließlich ins Meer gelangen. Um dieses Problem anzugehen, hat die Weltbank in Zusammenarbeit mit nationalen Regierungen mehrere Projekte ausgeschrieben, welche die Abfallwirtschaft in diesen Ländern verbessern und die Plastikbelastung in Flüssen, Kanälen und an Stränden reduzieren sollen. Unterstützung erhalten sie dabei vom DFKI: Der von Prof. Dr. Oliver Zielinski geleitete Oldenburger Forschungsbereich Marine Perception entwickelt im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte intelligente Sensoren und Analysemethoden, die lokalen Behörden und Entscheidungsträgern wichtige Informationen zur Verfügung stellen, um effektive Maßnahmen im Kampf gegen die Plastikflut zu ergreifen.
APLASTIC-Q – Machine-Learning-Algorithmus zur Bilderkennung mit hoher Präzision
Den nun im IOP Science Journal „Environmental Research Letters“ vorgestellten Machine-Learning-Algorithmus APLASTIC-Q („aquatic plastic litter detector and quantifier system“) entwickelten die DFKI-Forschenden im Rahmen eines Weltbank-Projekts, das auf die Bekämpfung der Plastikverschmutzung rund um die kambodschanischen Städte Phnom Penh, Siem Reap und Sihanoukville abzielt. Darin erarbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Konzept für den Einsatz multispektraler Kameras auf Drohnen sowie Verfahren zur Bestimmung des Plastikmülls auf Flüssen und an Stränden. Trainingsgrundlage für den entwickelten Algorithmus bilden zunächst räumlich sehr hochaufgelöste RGB-Bilder, die bei Luftaufnahmen in Kambodscha aus einer Höhe von sechs Metern entstanden. Die Aufnahmen zeigen schwimmendes, in der Vegetation eingeschlossenes und an Stränden angeschwemmtes Plastik sowie große Ansammlungen von Abfall, die Müllteppiche auf den Flüssen bilden.
APLASTIC-Q basiert auf sogenannten Convolutional Neural Networks, einer Klasse künstlicher neuronaler Netze, die sich besonders gut für das maschinelle Lernen im Bereich der Bilderkennung eignet. Er besteht aus zwei unterschiedlichen Machine-Learning-Komponenten, dem Plastikmüll-Detektor und dem Plastikmüll-Quantifizierer, welche die in viele kleinere Bildbereiche unterteilten Aufnahmen nacheinander analysieren. Dem Plastikmüll-Detektor gelingt es dabei, mit einer Genauigkeit von etwa 83 Prozent zwischen Wasser, Sand, Vegetation und Plastikmüll zu unterscheiden. Für die Bildbereiche, die als Plastikmüll erkannt werden, gibt APLASTIC-Q zudem eine Schätzung über die Mülldichte aus. Im zweiten Schritt analysiert der Plastikmüll-Quantifizierer die als Plastikmüll klassifizierten Bereiche und unterteilt die darin gefundenen Objekte in weitere Unterkategorien – u.a. Plastikflaschen, Plastiktaschen, Styropor, Kanister, Polystyrol-Verpackungen, Plastikbecher, Schnüre, Textilien – und ermittelt deren Anzahl. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Insbesondere was das Erkennen von in Flüssen treibendenden und an Land gespülten Plastikmüll betrifft, ist APLASTIC-Q vergleichbaren Verfahren voraus. Zudem lässt sich der Algorithmus an verschiedene Anwendungen anpassen, sei es zur Verarbeitung von mit dem Smartphone aufgenommenen Bildern oder der Analyse satellitengestützter Überwachung.
Wie Künstliche Intelligenz beim Kampf gegen die Plastikverschmutzung hilft
Damit erweist sich der von den DFKI-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickelte Machine-Learning-Algorithmus als wertvolles Monitoring-Tool, das aus Müllsammelstudien, Schleppnetzfischerei und Aufräumaktionen gewonnene Erkenntnisse um wissenschaftliche und evidenzbasierte Informationen ergänzt. Für politische Entscheidungsträger und Interessengruppen ist dieses Wissen fundamental, um effektive Maßnahmen gegen die Verschmutzung beschließen zu können. So lassen sich hieraus z.B. besonders problematische Kunststoffarten und Plastik-Hotspots identifizieren sowie Rückschlüsse ziehen, woher der Müll kommt und wer die Verursacher sind. Langfristig soll dies in einer deutlichen Verbesserung des Abfallmanagements in diesen Ländern resultieren, etwa durch die Etablierung von Recyclingprogrammen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.
Auch in aktuelle Projekte mit der Weltbank bringt der Forschungsbereich Marine Perception sein Knowhow zur Bekämpfung der Plastikflut ein: So hilft das DFKI lokalen Firmen in Kambodscha, Myanmar, Vietnam und auf den Philippinen bei der Durchführung von Vermessungen mit Multispektralsensoren und schult und berät diese in technischen Fragestellungen. Die gewonnenen Bilddaten nutzen die Oldenburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiederum, um APLASTIC-Q weiterzuentwickeln und dessen Präzision bei der Erkennung und Bestimmung von Plastikmüll zu erhöhen.