Planspiel zum strategischem Siedlungsrückzug

Handreichung für Kommunen informiert über Ergebnisse

Leerstand und wenig Entwicklungsperspektive - wann ist Siedlungsrückzug sinnvoll? B. Dittrich/IÖR-Media fotografiert: Juli 1997

In einem Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) haben sich das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und Partner mit einem häufig tabuisierten Thema der kommunalen Entwicklung beschäftigt: dem strategischen Rückzug aus kleinen Ortsteilen mit geringer Entwicklungsperspektive. In einem Planspiel wurde ergebnisoffen diskutiert, ob sich Kommunen aus abgelegenen Ortsteilen zurückziehen sollen und wie das funktionieren könnte. Die Ergebnisse sind in einer Handreichung für Kommunen, Heft 15/2020 der Schriftenreihe „MORO Praxis“, nachzulesen. Ein Fazit aus dem MORO „Anpassung peripherer Siedlungsstrukturen“ ist die Empfehlung an Kommunen, Möglichkeiten eines strategischen Rückzugs ergebnisoffen zu prüfen. Dabei können vier Handlungsoptionen als Starthilfe dienen, die im Rahmen des Modellvorhabens in einem Planspiel thematisiert wurden.

Mehr als 40 Teilnehmende aus dem gesamten Bundesgebiet, aus kommunaler Politik und Verwaltung, aus Regionalplanung und Kommunalberatung, hatten an dem Planspiel teilgenommen. Die Aufgabe bestand darin, in verteilten Rollen einen fiktiven Fall durchzuspielen und zu prüfen, ob und wie der strategische Rückzug aus einem Ortsteil gelingen kann. Das fiktive Areal stand dabei idealtypisch für viele kleine Ortsteile in der Bundesrepublik. Durch Alterung und Abwanderung der Bevölkerung weisen sie einen hohen Leerstand auf und haben zugleich kaum eine Entwicklungsperspektive.

Vor allem in ländlichen und strukturschwachen Gegenden in Ost wie West finden sich diese abgelegenen Ortsteile. Sie stellen Kommunen spätestens dann vor die Frage, wie mit ihnen umzugehen ist, wenn Investitionen in marode technische Infrastrukturen wie Straßen, Kanalisation oder Trinkwasserleitungen nicht mehr aufzuschieben sind. Hohe Kosten stehen dann den wenigen verbliebenen Einwohner*innen gegenüber. Wäre es in dieser Situation vorstellbar, dass die Gemeinde beschließt, sich aus dem Ortsteil „strategisch zurückzuziehen“?

Vier grundsätzliche Handlungsoptionen wurden herausgearbeitet

Im Planspiel zum strategischen Siedlungsrückzug standen drei Schwerpunkte im Fokus: das Bau- und Planungsrecht, die Kosten eines Rückzugs sowie die sozialen und emotionalen Aspekte in der Gemeinde. Vier grundsätzliche Handlungsoptionen wurden herausgearbeitet: kein strategischer Rückzug, also der Erhalt des Ortsteiles; ein sehr langsamer strategischer Rückzug; ein forcierter, vollständiger Rückzug sowie ein forcierter, aber nur teilweiser Rückzug. Letzterer würde voraussetzen, dass die verbleibenden Einwohner*innen die Infrastrukturen wie Straßen, Abwasseranlagen und Müllentsorgung in privater Trägerschaft, etwa in Form einer Genossenschaft, übernehmen.

Die Vor- und Nachteile der vier Optionen wurden im Planspiel und in einem Begleitkreis ausführlich diskutiert. Einige Spielgruppen entschieden sich tatsächlich für einen vollständigen Rückzug. Allerdings herrschte bei einzelnen Teilnehmenden auch Skepsis, ob sich ein solches Vorgehen in der Realität wirklich kommunalpolitisch umsetzen ließe.

Die Diskussionen zu den verschiedenen Rückzugsoptionen werden in einer Handreichung für Kommunen nun ausführlich dargestellt, Vor- und Nachteile sowie wichtige Voraussetzungen beleuchtet. Auch zu den Kosten eines strategischen Siedlungsrückzugs enthält die Broschüre Informationen. Sie spielen eine wichtige Rolle, sind doch hohe Pro-Kopf-Kosten für Infrastrukturen häufig Auslöser und wichtige Begründung eines strategischen Rückzugs. Doch das Planspiel hat auch gezeigt: Mittelfristig können die Kosten für den strategischen Rückzug diejenigen für den Erhalt des Ortsteiles sogar übersteigen.

Ein wichtiger Punkt in der Diskussion zum Thema ist deshalb auch die Frage nach geeigneten Rechts- und Förderinstrumenten vonseiten des Gesetzgebers. Das Projekt-Team empfiehlt, das vorhandene Instrumentarium hin zu einem Instrument „Ländlicher Umbau“ weiterzuentwickeln. Die namentliche Anlehnung an das Instrumentarium zum Stadtumbau sei dabei bewusst gewählt, denn viele Herausforderungen und Lösungspfade ähnelten sich in Stadt und Land. Bei der Entwicklung von Rechts- und Förderinstrumenten müssten aber auch die Besonderheiten der ländlichen Räume, etwa der hohe Anteil selbstgenutzten Eigentums, berücksichtigt werden. Weitere Erkenntnisse aus dem MORO-Planspiel, die es zu berücksichtigen gilt: Ein strategischer Rückzug ist keine Sofortmaßnahme, sondern braucht Zeit – im Vorlauf, in der Vorbereitung und in der Umsetzung. Das Thema ist äußerst komplex, betroffene Kommunen benötigen daher oft umfassende fachliche Unterstützung. Nicht zuletzt handelt es sich um ein hochemotionales Thema. Eine umfassende Beteiligung der Betroffenen vor Ort und eine transparente Gestaltung des Prozesses sind daher äußerst wichtig.