Warum nehmen Zugvögel die Strapazen eines mitunter langen Fluges auf sich? Während sie beim Flug ins Winterquartier ihren klimatischen Vorlieben folgen, ist das beim Rückflug in die sommerlichen Brutgebiete wohl nicht der Fall. Bei dieser Reise spielen für Zugvögel stattdessen Faktoren, die vom Klima unabhängig sind, eine wichtigere Rolle. Zu diesem Ergebnis kommen Senckenberg-Wissenschaftler in einer soeben im Fachjournal „Ecology & Evolution“ veröffentlichten Studie. Die Autorinnen sprechen sich darin dafür aus, mehr Augenmerk auf den Erhalt von Lebensräumen in Brutgebieten zu legen, um Zugvogelbestände zu erhalten.
Im Herbst machen sich in Deutschland heimische Zugvögel auf ihre oftmals weite Reise, um den Winter im wärmeren Süden zu verbringen. Sie sind in guter Gesellschaft: 20 Prozent aller Vogelarten weltweit machen sich jährlich auf den Weg in neue Gebiete, um dort einen Teil des Jahres zu verbringen. Dabei legen manche Arten in wenigen Tagen oder Wochen tausende von Kilometern zurück, während bei anderen zwischen Brut- und Winterquartieren nur kurze Strecken liegen oder auch nicht alle Individuen ziehen. Doch was manche Vögel dazu antreibt, zeitweise auszuwandern, ist im Detail immer noch unklar.
Antworten auf diese Frage liefert jetzt eine neue Studie unter der Leitung von Dr. Alison Eyres. „Wir haben bei 437 Sperlingsvogel-Arten aus aller Welt getestet, ob sie ziehen und wenn ja, ob sie damit ihrem bevorzugten Klima folgen. Dazu haben wir neu bewertet, welche dieser Arten Zug- oder Standvögel sind und verglichen, wie gut das Klima und die klimatischen Vorlieben der Zugvögel an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten zusammenpassen“, erklärt Eyres, Nachwuchswissenschaftlerin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Für Zugvögel lohnt es sich laut der Studie zu ziehen, anstatt an Ort und Stelle zu bleiben, weil sie damit ihren klimatischen Vorlieben besser gerecht werden. „Das gilt jedoch interessanterweise nur für den Hinflug. Der Rückflug in die Brutgebiete lohnt sich für diese Vogelarten nicht, wenn man davon ausgeht, dass es ihr Ziel ist, möglichst innerhalb der klimatischen Präferenzen zu leben“, so die Ko-Autorin der Studie, Dr. Susanne Fritz, Leiterin einer Emmy-Noether Nachwuchsgruppe am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Die Autorinnen folgern, dass das Klima in der kalten Jahreszeit die herbstliche Auswanderung der Zugvögel bestimmt. Eyres dazu: „Der Wegzug lohnt sich deshalb insbesondere für Zugvögel aus den gemäßigten und arktischen Breiten und weniger für Zugvögel in den tropischen Breiten, in denen die Temperatur im Jahresverlauf geringer schwankt. Der Rückflug muss aber andere Gründe haben, beispielsweise eine bessere Verfügbarkeit von Brutplätzen und Nahrung oder weniger Nesträuber, die der Brut gefährlich werden können“.
Dass Zugvögel nicht allein klimabedingt ziehen, zeigt auch ein Vergleich mit nah verwandten Standvögeln, der ebenfalls Teil der Studie war. Er belegt, dass die untersuchten ziehenden Sperlingsvögel trotz ihres Wanderverhaltens und der damit verbundenen Anstrengungen weniger in Übereinstimmung mit ihren klimatischen Vorlieben leben als nah verwandte Standvögel. Das Zugverhalten mancher Vogelarten hat sich im Lauf der Evolution daher vermutlich nicht entwickelt, um dem Klima zu folgen, sondern eher um die nahrungsreichen Sommer der höheren Breiten zum Brüten zu nutzen.
„Viele neuere Studien befassen sich damit, wie sich der Klimawandel auf Zugvögel und deren Wanderverhalten auswirkt. Unsere Studie zeigt, dass Klima nicht der einzig entscheidende Treiber des Vogelzugs sein kann. Um die Zukunft von Zugvögeln vorherzusagen und sie zu schützen, ist es daher wichtig, die Veränderungen des Lebensraums in den Brutgebieten zu verstehen und nahrungsreiche Habitate zu erhalten. Diese Habitate werden unter anderem durch intensive Landnutzung und das Insektensterben besonders bedroht“, so Fritz abschließend.