Ähnlich wie genetische Mutationen entstehen epigenetische Veränderungen, also Umbauten der Gene, welche nicht auf der primären DNA-Sequenz geschehen, bei Pflanzen manchmal zufällig und können über Generationen hinweg übertragen werden. Ein Forschungsteam zeigt nun erstmals am Beispiel von Bäumen, dass solche „Epimutationen“ über die Lebenszeit einer Pflanze hinweg kontinuierlich zunehmen und als molekulare Uhr genutzt werden können, um das Alter eines Baumes zu bestimmen. In der Epigenetik werden vererbbare Änderungen der Aktivität von Genen untersucht, die nicht auf Veränderungen der primären DNA-Sequenz beruhen. „Während bei Säugetieren epigenetische Markierungen normalerweise bei jeder Generation zurückgesetzt werden, ist dies bei Pflanzen nicht immer der Fall. Epigenetische Veränderungen innerhalb einer Generation können bei Pflanzen stabil an die nächste Generation weitergegeben und sogar über viele Generationen hinweg vererbt werden“, sagt Frank Johannes, Professor für Populationsepigenetik und Epigenomik an der Technischen Universität München (TUM). Sein Forschungsteam ist daran interessiert, wie oft Epimutationen in Pflanzengenomen auftreten, wie stabil sie über Generationen hinweg sind und ob sie wichtige Pflanzenmerkmale beeinflussen können.
Bäume tragen viele Epimutationen in sich
„Aufgrund ihrer Langlebigkeit können Bäume uns epigenetische Erkenntnisse über große Zeiträume hinweg liefern“, sagt Prof. Johannes. Zusammen mit Robert J. Schmitz, Professor an der University of Georgia (USA) und Hans Fisher Fellow am Institute for Advanced Study der TUM (TUM-IAS), hat er jetzt zwei Studien dazu veröffentlicht. Dabei konzentrierte sich das Team auf einen 330 Jahre alten Pappelbaum. Es verglich die DNA-Methylierung, einen Mechanismus bei Pflanzen, der eine chemische Veränderung der DNA darstellt, bei Blättern verschiedener Äste des Baumes. Dabei konnten sie zeigen, dass epigenetische Veränderungen in Abhängigkeit vom Baumalter kontinuierlich zunehmen. Je weiter zwei Blätter in Bezug auf die Entwicklungszeit des Astes voneinander entfernt waren, desto unähnlicher waren sie sich auf der Ebene der DNA-Methylierung. Daraus schlossen die Forscher, dass die Rate der Epimutationen pro Jahr circa 10.000 Mal höher ist als die genetische Mutationsrate bei demselben Baum.
Buchen im Steigerwald ,Michele Serra / TUM
Baumalter mit Epigenetik datierbar
Aus dieser Entdeckung ergab sich die Einsicht, dass Epimutationen auch als eine Art molekulare Uhr zur Bestimmung des Alters des Baumes dienen können. „Nur einige Äste waren durch das Zählen von Jahrringen datiert worden, aber leider nicht der Hauptstamm. Diese Information brauchten wir aber für unsere Analyse. Also haben wir das Gesamtalter des Baumes als einen unbekannten Parameter behandelt und uns anhand der DNA-Methylierungsdaten der Blätter sagen lassen, wie alt der Baum ist. Dies ergab eine Schätzung von etwa 330 Jahren“, berichtet Prof. Johannes. Später stellte sich heraus, dass diese Schätzung mit der auf dem Durchmesser basierenden Datierung des Hauptstammes und mit anderen Informationen über die Lebensgeschichte dieses speziellen Baumes übereinstimmte. „Das war der erste Hinweis, dass es so was wie eine epigenetischen Uhr in Bäumen gibt“.
Ein Fenster in die Vergangenheit
Das Team von Prof. Johannes geht nun der Frage nach, ob Umweltveränderungen, die die Bäume im Laufe ihres langen Lebens erfahren, epigenetische Signaturen hinterlassen, die gelesen werden können, um etwas über ihre Vergangenheit zu erfahren. „Unser Ziel ist es, historische Umweltdaten mit unserer epigenetischen Arbeit zusammenzuführen um zu verstehen, ob Bäume spezifische Umweltherausforderungen wie Dürren oder Temperaturschwankungen epigenetisch ‚aufzeichnen‘. Diese Art von Informationen kann für den Blick in die Zukunft nützlich sein, insbesondere angesichts des globalen Klimawandels.“