Die Corona-Pandemie offenbart: Menschen kümmern sich zunächst um die eigene Sicherheit, bevor sie andere schützen. So lautet das zentrale Studienergebnis eines Teams im Institut für Psychologie der Universität Bamberg. Untersucht wurde, welche Schutzmaßnahmen die Befragten umsetzen. Und: Wie beeinflussen die wahrgenommene Schutzwirkung für sich selbst und für andere, der Aufwand und der Konflikt zwischen Selbst- und Fremdschutz diese Umsetzung? „Überraschend für uns war, dass sogar für prosoziale Menschen der Schutz anderer Personen zweitrangig ist“, sagt Erstautor Dr. Johannes Leder, der die Studie mit Dr. Alexander Pastukhov und Prof. Dr. Astrid Schütz durchführte.
Sie führten zwei Online-Befragungen durch und werteten diese aus. Die erste Befragung mit 419 Personen fand im März während des Lockdowns statt, die zweite mit 253 Personen nach dem Lockdown im Mai und Juni 2020. In den Umfragen bewerteten die Teilnehmenden 17 verschiedene Schutzmaßnahmen, unter anderem: eine Gesichtsmaske zu tragen, Abstand zu halten und Corona-Partys zu vermeiden. Die Forschenden wollten wissen, wie die Befragten diese Schutzmaßnahmen wahrnehmen und nutzen. Außerdem erhoben sie die soziale Wertorientierung, die widerspiegelt, wie kooperativ Personen sind und wie stark sie sich an ihrem eigenen Vorteil orientieren. 92 Prozent der Stichprobe erwiesen sich als prosozial. „Prosoziale Menschen kooperieren mit anderen und versuchen, eine faire Lösung zu finden“, erklärt Johannes Leder. „Das Gegenteil sind selbstorientierte Menschen, die egoistisch handeln.“
Im Lockdown haben die Befragten die Schutzmaßnahmen meist genutzt
Insgesamt beobachtete das Forschungsteam, dass die Teilnehmenden die Schutzmaßnahmen zu Beginn des Lockdowns häufig als wirksam wahrnahmen und meist nutzten. „Dagegen zeigte sich nach der Aufhebung des Lockdowns ein sehr differenziertes Bild“, fährt Johannes Leder fort. „Die Nutzung und auch die angenommene Wirksamkeit von fast allen Maßnahmen nahm ab.“ Nur die Gesichtsmasken nutzten die Befragten nach dem Lockdown mehr, weil sie verfügbar waren und als wirksam wahrgenommen wurden.
Vor allem eine Beobachtung bereitet Johannes Leder Sorgen: „Im März haben viele Personen das Abstandhalten noch für wirksam gehalten, im Mai waren es hingegen deutlich weniger. Diese Einstellung ist problematisch: Die steigenden Infektionszahlen zeigen, wie wichtig es ist, Abstand zu halten.“ Er ergänzt: „Die Erfahrung, dass die Pandemie im Mai so glimpflich verlaufen ist, hat offensichtlich nicht zu der Einsicht geführt, dass Social Distancing wirksam ist. Viele nehmen irrtümlich an, dass Covid-19 nicht so gefährlich ist.“
Der Schutz anderer Personen ist zweitrangig
In einem Punkt waren die Ergebnisse der Studie vor und nach dem Lockdown identisch: „Menschen sind motiviert, Maßnahmen umzusetzen, die vor allem sie selbst schützen und wenig aufwendig sind, zum Beispiel, Hände zu waschen“, fasst Johannes Leder zusammen. Aus diesem Ergebnis leitet er ab: „Personen, die in der Politik, der Forschung und im Gesundheitswesen tätig sind, sollten in Interviews mit Medien den Selbstschutz-Aspekt stärker betonen. Sie sollten also deutlich machen, dass es langfristig jedem und jeder Einzelnen hilft, wenn man andere schützt und so die Ausbreitung von Covid-19 reduziert.“ Dann würden vermutlich mehr Menschen die Maßnahmen umsetzen.
Die zweite Befragung belegte außerdem, dass persönliche Erfahrungen den Umgang mit der Pandemie stark beeinflussen. „Wer eine Person kannte, die sich von einer Covid-19-Erkrankung erholt hatte, hielt sich seltener an Schutzmaßnahmen“, sagt Johannes Leder. „Wer dagegen eine Person kannte, die an der Krankheit gestorben war, schützte sich und andere häufiger. Insofern ist es in der öffentlichen Kommunikation auch wichtig, über Schicksale von Betroffenen zu informieren.“