Europa hat einige der am stärksten zerstückelten Flüsse der Welt. Im Durchschnitt gibt es etwa eine Barriere pro 1,4 Kilometer Fluss, in Deutschland sogar zwei Hindernisse pro Kilometer. Kleine Querbauwerke mit bis zu zwei Metern Aufstauhöhe machen dabei den Löwenanteil aus. Die Studie die das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) vorgestellt hat, zeigt auch Lösungen auf, um die Durchgängigkeit vieler Bäche und Flüsse wiederherzustellen. Die von Forschenden der Universität Swansea am Zentrum für Nachhaltige Aquatische Forschung (CSAR) in Großbritannien geleitete Studie offenbart, dass Europas Flüsse insgesamt mindestens 1,2 Millionen Querbauwerke innerhalb ihres Laufs aufweisen, darunter große Staudämme, aber vor allem eine Vielzahl niedriger Wasserbauwerke wie Wehre, Durchlässe, Furten, Schleusen und Rampen.
Mithilfe von mathematischen Modellen und umfangreichen Feldforschungen zeigte das Forschungsteam, dass im Durchschnitt eine Barriere pro 1,4 Kilometer den Fluss und seine Lebewesen in der Bewegung einschränkt; in Deutschland sind es in Flüssen und großen Bächen sogar zwei Hindernisse pro Flusskilometer. 85 Prozent der Querbauwerke haben weniger als zwei Meter Aufstauhöhe.
Erste gesamteuropäische Bewertung der Zerstückelung von Flüssen:
Die Studie fand im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „Adaptive Management of Barriers in European Rivers (AMBER)“ statt. Die Forschenden kartierten Flüsse-zerschneidende Querbauwerke in ganz Europa und erstellten das erste umfassende Barriereninventar, den AMBER-Barrierenatlas.
„Das Ausmaß der Fragmentierung von Flüssen in Europa ist viel höher, als alle erwartet hatten“, sagt Barbara Belletti, eine Flussgeomorphologin, die die Studie am italienischen Politecnico di Milano leitete und jetzt am CNRS, dem französischen nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung, tätig ist.
Die IGB-Doktorandin Helena Hudek hat zusammen mit weiteren IGB-Kolleg*innen die behördlichen Statistiken zu Querbauwerken durch Kartierungen in 15 europäischen Ländern überprüft. Sie schildert ihre Eindrücke von vor Ort: „Es hat uns schockiert zu sehen, dass beispielsweise in Südosteuropa viele Bäche trocken lagen, weil das Wasser durch Druckstollen zu einem Wasserkraftwerk umgeleitet wurde. In anderen Bächen fanden wir fast keine Fische und Kleintiere, weil diese durch Wasserschwalle von einem Wasserkraftwerk regelmäßig weggespült wurden.“
Lösungen zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit:
„Viele Barrieren sind nicht mehr erforderlich, und ihre Beseitigung bietet beispiellose Chancen, die Durchgängigkeit der Fließgewässer zu verbessern“, sagt Prof. Carlos de Garcia de Leaniz, der Koordinator von AMBER von der Universität Swansea in Großbritannien.
Im Rahmen des Projekts wurden ungenutzte Wehre in Großbritannien, Spanien, Irland und Dänemark entfernt – in Dänemark so schon 310 Fluss-Kilometer wieder verbunden.
Der Studien-Koautor PD Dr. Martin Pusch vom IGB ist Experte für das Management von Flussgebieten: „Der AMBER-Barrierenatlas gibt uns die Möglichkeit, die Zerstückelung der Flüsse überall in Europa rückgängig zu machen; viele dieser Barrieren durch einfache technische Maßnahmen zu sanieren, oder durch Renaturierungsmaßnahmen ganz zu beseitigen. Schleusen und große Wasserkraftwerke sollten mit funktionierenden Fischpässen für beide Wanderrichtungen ausgestattet und kleine Wasserkraftwerke, die kaum zur Energiewende beitragen, zurück gebaut werden. So könnte der Bestand des Aals in Deutschland geschützt werden, und auch Lachs und Stör könnten dauerhaft unsere Bäche und Flüsse besiedeln. Gleichzeitig würden diese Gewässer fit für den Klimawandel gemacht und als Erholungsgebiete stark aufgewertet“.
Bürger schaffen Wissen – der Barrier Tracker:
Mit einer kostenlosen App, dem Barrier Tracker, kann jeder Barrieren in Gewässern dokumentieren. Aus den georeferenzierten Daten und Fotos wird eine Europakarte der Querbauwerke erstellt. Sie hilft, Prioritäten für Anpassungen und Rückbau der Barrieren zu setzen.