Fast überall in Europa hat die Biodiversität in den Wäldern in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Gleichzeitig nahmen die Erwartungen der Bevölkerung an den Wald zu. Darum nutzen viele Waldeigentümer in Europa den Wald heute so, dass er neben der Holzproduktion auch weitere Ansprüche der Gesellschaft abdeckt. Das soeben erschienene Buch zum Thema fasst die Erfahrungen zur Balance von Forstwirtschaft und Biodiversitätsschutz zusammen.
Das Nebeneinander mehrerer Nutzungsformen, wie es in zahlreichen Schweizer Wäldern schon länger üblich ist, bezeichnen Fachleute als «integrative Waldbewirtschaftung». Dieser multifunktionale Bewirtschaftungsansatz verlangt von den für den Wald Verantwortlichen viel Erfahrungen und Wissen um ökologische Zusammenhänge. Beispielhaft zeigten dies die Auswirkungen des Trockensommers 2018: Da viele Bäume starben, veränderten sich seitdem das Holzangebot, die Holzpreise, die Trinkwasservorräte und das Erholungsverhalten der Menschen. Starker Borkenkäferbefall warf an vielen Orten auch die Frage auf, ob die Schutzfunktion von Gebirgswäldern weiterhin gewährleistet sei.
„How to balance forestry and biodiversity conservation – a view across Europe“
In der Abschlusskonferenz des oForest-Projekts „How to balance forestry and biodiversity conservation – a view across Europe“ diskutierten Fachleute aus 20 Ländern das Thema «integrative Waldbewirtschaftung». Die Veranstaltung stellte Praxisbeispiele der integrativen Waldbewirtschaftung aus 15 Ländern vor. Sie wurde von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sowie dem Europäischen Forstinstitut (EFI) organisiert und vom Bundesamt für Umwelt BAFU, dem deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und dem Kanton Basel unterstützt.
Nun ist der gleichnamige Abschlussbericht erschienen, in dem mehr als 150 Wald- und Naturschutzfachleute aus 20 Ländern Europas ihr Fachwissen über integrative Waldbewirtschaftung teilen. Das in drei Jahren erarbeitete Wissen der europäischen Partnerorganisationen gibt erstmals europaweit einen Überblick, wie Wälder so bewirtschaftet werden, dass sie gleichzeitig mindestens zwei Ansprüche der Gesellschaft erfüllen. Neben Holzproduktion und Biodiversität können auch der Trinkwasserschutz, die Erholung oder der Schutz von Siedlungen und anderen Infrastrukturen vor Erosion und Naturgefahren wichtige Bewirtschaftungsziele sein.
Das erste der insgesamt 15 vorgestellten Beispiele aus der Praxis stellte Tagungsleiter Kurt Bollmann (Eidg. Forschungsanstalt WSL) vor. Er berichtete, dass das Artenschutzmanagement im Sonderwaldreservat in Amden (Kanton St. Gallen) ein überzeugendes Beispiel dafür sei, wie man gleichzeitig den Wald bewirtschaften und Lebensräume für das Auerhuhn erhalten kann. Uwe Schölmerich (Wald und Holz Nordrhein-Westfalen) und Patrick Huvenne (Agentur für Natur und Wälder, Flandern) machten im Forstbetrieb Rhein-Sieg Erft beziehungsweise im Sonian-Wald bei Brüssel die Erfahrung, dass sich Wälder in städtischen Gebieten sowohl intensiv von Erholungsuchenden nutzen als auch integrativ bewirtschaften lassen.
Erstes Buch zur naturnahen Waldwirtschaft in Europa
Das Buch fasst diese und weitere Praxisbeispiele aus Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Irland, Polen, Portugal, Österreich, Schweden, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien zusammen. Es ist reich bebildert und verknüpft Detailwissen und Erfahrungen aus Waldwirtschaft und Naturschutz in zahlreichen Regionen Europas mit grundsätzlichem Wissen aus Natur- und Sozialwissenschaften, Waldgeschichte, Forstpolitik, Biologie und Ökologie. «In diesem Gemeinschaftswerk zeigen wir mit Beispielen aus 20 Ländern Europas, wie man Wälder erfolgreich bewirtschaften kann, in denen mindestens zwei der Ansprüche der Gesellschaft mit hoher Priorität abgedeckt werden», sagt Frank Krumm (WSL), der Erstautor des Werks.
Fazit: Es braucht pragmatische, mutige und regional verwurzelte Managementansätze, um in Europas Wäldern den Schutz der Biodiversität zu verbessern. In vielen Ländern gibt es sie bereits, wie das Buch eindrücklich zeigt.