In der zweiten Märzhälfte 2020 kam es durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in Deutschland zu ungekannten Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen. Mit dem Lockdown im Frühjahr standen auch die Wasserversorger vor einer neuen Situation: Der Wasserverbrauch veränderte sich, sowohl in öffentlichen und betrieblichen Einrichtungen als auch im häuslichen Wohnraum. In ihrer Studie zum Wasserbrauch in einer norddeutschen Versorgungsregion konnten Wasserexperten des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung einen Verbrauchsanstieg in Folge veränderter Alltagsroutinen im ersten Lockdown um mehr als 14 Prozent errechnen.
Für ihre Studie haben die Wasserexperten des ISOE tägliche und stündliche Wasserverbrauchsmengen in der ersten Welle der Corona-Pandemie untersucht. Ziel war es, den Effekt der Lockdown-Maßnahmen auf den Wasserverbrauch wissenschaftlich fundiert zu analysieren und ihn in Abgrenzung zu anderen Einflüssen sichtbar zu machen. Hierfür werteten die Wissenschaftleren Daten aus dem knapp tausend Quadratkilometer großen Versorgungsgebiet des Wasserbeschaffungsverbands WBV Harburg aus. In diesem Gebiet am Rande der Metropolregion Hamburg südlich der Elbe werden mehr als 180.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt.
Um die Wirkung der sozioökonomischen und soziokulturellen Restriktionen in der ersten Welle der Pandemie auf den Wasserverbrauch erfassen zu können, bereinigten die Wissenschaftler*innen die Verbrauchszahlen von anderen Effekten. Ein erhöhter Wasserkonsum infolge von Hitze etwa wurde mithilfe eines linearen gemischten Modells herausgerechnet. „Im Vergleich mit den Wasserverbrauchszahlen der Vorjahre in der suburbanen Untersuchungsregion nahe Hamburg ergab sich für das Jahr 2020 ein Anstieg von 14,3 Prozent. Wir führen diesen Anstieg auf veränderte Alltagsroutinen im Lockdown zurück“, sagt Deike Lüdtke, Erstautorin der Studie „Increase in Daily Household Water Demand during the First Wave of the Covid-19 Pandemic in Germany“. Auch veränderte Freizeitaktivitäten – etwa Baden in privaten Pools oder eine verstärkte Gartenpflege – seien als Ursachen für erhöhte Wasserverbräuche anzunehmen.
Alltagsroutinen verstehen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten
Die veränderten Routinen während der ersten Welle der Corona-Pandemie machten sich vor allem am Morgen und am Abend bemerkbar. „Veränderungen im Tagesverbrauch sind für Wasserversorgungsbetriebe nicht trivial“, sagt Lüdtke. Die Wasserunternehmen seien auf präzise Vorhersagen angewiesen. „Plötzliche Verhaltensänderungen der Verbraucher*innen können die Versorgungssicherheit der Wasserbetriebe gefährden. Deshalb ist es entscheidend, dass Alltagsroutinen von Verbraucher besser verstanden und in den Wasserbedarfsprognosen berücksichtigt werden.“ Die ISOE-Wissenschaftler gehen davon aus, dass bestimmte Bedarfsmuster, die auf die Verhaltensveränderungen während des ersten Lockdowns zurückzuführen sind, auch für künftige Wasserbedarfsrechnungen relevant bleiben werden.
„Die Nachfragemuster über den Tag hinweg mit einer zeitlichen Verschiebung der Nachfragespitzen am Morgen und höheren Verbräuchen am Abend lassen auf neue Alltagspraktiken zum Beispiel im Bereich des mobilen Arbeitens schließen, die über die Pandemie hinaus beibehalten werden könnten“, so Lüdtke.
Wasserversorger sollten sich deshalb mithilfe möglichst präziser Bedarfsprognosen auf Anpassungen an den Wasserverbrauch einstellen – wobei sich Anpassungen an den künftigen Verbrauch darüber hinaus auch durch sich verändernde Nutzungsmuster in den hochsommerlichen Dürrezeiten ergeben.
Wasserbedarfsprognosen gestalten sich immer schwieriger
„Eine realistische Planung des künftigen Wasserverbrauchs gestaltet sich immer schwieriger, weil sehr viele Einflüsse auf den Bedarf berücksichtigt werden müssen“, sagt Mitautor Stefan Liehr. Neben klimatischen Bedingungen seien auch demografische Entwicklungen entscheidend, ebenso wie Wirtschaftsstrukturen, die sich besonders in Krisenzeiten verändern. Dadurch kommt es immer auch zu räumlichen Bedarfsverschiebungen, etwa von Gewerbegebieten hin zu Wohngebieten. Für präzise Vorhersagen sei es darüber hinaus unerlässlich, die Gewohnheiten unterschiedlicher Nutzergruppen zu untersuchen. Die aktuelle Untersuchung des ISOE in einem Versorgungsgebiet bestätige das:
„Je besser wir das Alltagsverhalten unterschiedlicher Nutzergruppen empirisch untersuchen, umso besser können wir vorhersagen, welche Konsequenzen Veränderungen in den Alltagsroutinen für die Versorgungssicherheit haben können“, so Liehr.
Als Leiter des Forschungsschwerpunktes Wasserversorgung und Landnutzung hat Stefan Liehr am ISOE bereits mehrere Prognosemodelle für den Wasserbedarf mitentwickelt, die die komplexen Einflüsse in einem Versorgungsgebiet verlässlich und kleinräumig abbilden können.