Ein Team aus Wissenschaftlern unter der Federführung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht – Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG) hat zahlreiche Mikroplastikpartikel im Elbewasser bei Cuxhaven nachgewiesen. Das Ergebnis: 200 bis 2.100 Mikroplastikpartikel fanden die Forscher pro Kubikmeter Wasser. Um die Ergebnisse ihrer Messungen und deren große Spanne besser interpretieren und mit zukünftigen Studien vergleichen zu können, hat das Team erstmalig für den Bereich der Mikroplastikforschung dargestellt, wie man den Leitfaden des Internationales Büros für Maß und Gewicht (BIPM) zur Erfassung der Messunsicherheit für solche Untersuchungen einsetzen kann.
Jeden Tag transportiert die Elbe Schätzungen zufolge zwischen 300 Kilogramm und 1,2 Tonnen Kunststoffmüll in die Nordsee (Schöneich-Argent et al., 2020), wobei die Dunkelziffer noch deutlich höher liegen wird. Wissenschaftler des neu gegründeten Instituts für Umweltchemie des Küstenraumes am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG), des Alfred-Wegener-Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) auf Helgoland und des Leibniz-Instituts für Polymerforschung Dresden (IPF) haben Oberflächenwasser an der HZG-Messstation Cuxhaven untersucht, um verschiedene Verfahren zu vergleichen und die Menge der Mikroplastikpartikel zu bestimmen, die über die Elbe in die Nordsee gelangen.
Die Verfahren, die bislang zur Beprobung von Partikeln eingesetzt wurden, bringen oft das Problem mit sich, dass die eingesetzten Filter zu schnell verstopfen und nur geringe Wasservolumina beprobt werden können. Dadurch wird die Repräsentativität der Ergebnisse beeinträchtigt. Deshalb wurden die Proben in der aktuellen Studie – zusätzlich zu den genommenen Schöpfproben – erstmals mit zwei alternativen Techniken gewonnen: Durchflusszentrifugen und Hydrozyklonen. Beides sind in anderen Bereichen gut etablierte Instrumente zur kontinuierlichen Partikeltrennung aus großen Flüssigkeitsvolumen. „Durch die Gezeiten an der Nordseeküste haben wir relativ viele Schwebstoffe im Wasser. Deshalb mussten wir die Wasserproben zunächst von organischem Material und Sedimentpartikeln bereinigen. Anschließend haben wir einige der Proben mit spektroskopischen Mikroskopieverfahren am IPF und am AWI analysiert. Durch das systematische Vorgehen wollten wir möglichst vergleichbare Ergebnisse erhalten“, erklärt Lars Hildebrandt, Umweltchemiker und Erstautor der Studie.
Die Ergebnisse: „Zwischen 200 und 2.100 Partikel Mikroplastik haben wir pro Kubikmeter Wasser gefunden. Etwa 95 Prozent davon sind kleiner als hundert Mikrometer, was in etwa dem Durchmesser eines Haares entspricht “, so Lars Hildebrandt. „Das sind relativ hohe Konzentrationen im Vergleich zur offenen Nordsee.“ Bei den am häufigsten identifizierten Partikeln handelt es sich um Polypropylen, Acrylate, Polyvinylchlorid und Polyethylen. Grundsätzlich stecken die verschiedenen Kunststofftypen in ganz unterschiedlichen Produkten, was eine eindeutige Zuordnung gefundener Partikel schwierig macht. Polypropylen und Polyethylen sind typische Verpackungsmaterialien. 40 Prozent der gesamten Kunststoffproduktion fließen in Verpackungen mit kurzer Produktlebensdauer. PVC (Polyvinylchlorid) wird in großen Mengen im Bauwesen eingesetzt, zum Beispiel in Form von Fußbodenbelag oder Leitungen. Acrylate findet man in Lacken und Farben, aber auch in vielen Kosmetikprodukten.
Wie sicher sind solche Ergebnisse?
In dieser Studie haben die Wissenschaftler erstmals den wichtigsten Leitfaden zur Erhebung von Messunsicherheiten für die Auswertung der Untersuchungen angewendet: den Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement des Internationalen Büros für Maß und Gewicht, der weltweit wichtigsten Behörde für „Maß und Gewicht“. Sie dient als Wächter über das Internationale Einheitensystem und alle Arten von Messungen. Lars Hildebrandt erklärt:
„Jede Art von Messung ist mit einer Unsicherheit behaftet, die zusammen mit dem gemessenen Wert als sogenannte Messunsicherheit angegeben wird. Viele bereits veröffentlichte Studien zu Mikroplastikpartikeln wenden die einschlägigen Leitfäden jedoch nicht an, wodurch in der Öffentlichkeit der Eindruck einer falschen Genauigkeit entstehen kann: ‚So sind die Konzentrationen und nicht anders.‘ Dem ist aber nicht so. Man stößt auf dieses Problem aber auch in anderen Bereichen des Alltags: Wenn man sich zum Beispiel die Nährwertangabe auf einer Käsepackung ansieht oder versucht, exakt zwei Kilogramm Kartoffeln auf dem Wochenmarkt zu kaufen.“
Auf die Ergebnisse aus der Elbe angewendet, zeigt sich in der sogenannten Unsicherheitsbetrachtung: Die Messwerte sind teilweise mit extrem hohen Unsicherheiten (von etwa 25 Prozent bis zu 200 Prozent) behaftet. „Die Hauptquelle dafür ist bei uns und auch bei allen anderen Studien: Die Verteilung der Mikroplastikpartikel im Elbwasser ist nicht gleichmäßig – die Partikel verhalten sich fundamental anders als gelöste Substanzen. Deshalb müssen Forscher die Messunsicherheit, die sich natürlich über die Inhomogenität hinaus auch aus dem verwendeten Probenahme- und Analyseverfahren ergibt, adäquat berechnen und bei der Veröffentlichung der Endergebnisse berücksichtigen. Oftmals zeigt sich, dass sich die gefundenen Muster im Transport und in der Verteilung von Mikroplastik im Wasser innerhalb der Messunsicherheiten nicht signifikant voneinander unterscheiden“, sagt Dr. Daniel Pröfrock, Leiter der Abteilung Anorganische Umweltchemie am HZG.
Optimieren und Standardisieren
„Das Thema Mikroplastikpartikel in unseren Gewässern steckt wissenschaftlich gesehen in den Kinderschuhen“, so Umweltchemiker Dr. Tristan Zimmermann, Co-Autor der Studie. „Wir brauchen repräsentative Techniken zur Probenahme, um den Umweltzustand valide abzubilden. Diese Techniken müssen analytisch akkurat, nachvollziehbar und robust sein, einen hohen Automatisierungsgrad aufweisen sowie zeit- und kosteneffizient sein.“ Zukünftig sollten auch entsprechende Unsicherheitsbetrachtungen standardmäßig im Rahmen von Mikroplastik-Studien durchgeführt werden, um die Vergleichbarkeit von Daten zu verbessern und eine solidere Datengrundlage für daraus abgeleitete Entscheidungen zur Verfügung stellen zu können. Mit ihren neuen Methoden haben Forschende des HZG bei einer Fahrt mit dem Forschungsschiff SONNE im vergangenen Dezember Proben im Atlantik genommen, um sich auch ein Bild über die Situation in anderen Teilen des Ozeans machen zu können. Diese werden aktuell in den Laboren des Instituts für Umweltchemie des Küstenraumes am HZG analysiert.