Proteine sind lebensnotwendige Nährstoffe. Sie könnten allerdings zur Mangelware in der globalen Nahrungsmittelversorgung werden. Gründe dafür sind extreme Wetterlagen als Ergebnis des Klimawandels sowie Belastungen von Böden und Gewässern aufgrund des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln. Dieser Herausforderung globalen Ausmaßes stellt sich das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU als eines von sechs Fraunhofer-Instituten im Leitprojekt ›FutureProteins‹: Die Forscher wollen neuartigen Proteinquellen als nachhaltige und massentaugliche Alternative vor allem zu Schweine- und Rinderfleisch erschließen. Sie entwickeln dafür neue Anbausysteme und -prozesse, mit denen nährstoffreiche Proteine zukünftig aus ausgewählten Pflanzen, Insekten, Pilzen und Algen gewonnen und für neue Produkte genutzt werden können. Der Verbrauch von Wasser, Düngemitteln, Pestiziden und Antibiotika in der Ernährungswirtschaft ließe sich mit diesen neuen Systemen deutlich verringern. Die Produktionsforschung des Fraunhofer IWU hat im Projekt das Energiesparen im Fokus.
Seit langem raten Experten dazu, auf neue, alternative Proteinquellen umzusteigen – nicht nur, um den Konsum von Nahrungsmitteln aus der Großtierhaltung zu reduzieren bzw. diese zu ersetzen, sondern auch, um für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. Damit solche alternativen Quellen dieser wichtigen Nährstoffe erschlossen und ihre Potenziale in der Lebensmittelindustrie bestmöglich ausgeschöpft werden können, bedarf es neuer Agrarsysteme zur nachhaltigen Produktion sowie der effizienten Nutzung und Verwertung von Nebenprodukten und Reststoffen.
Das Leitprojekt ›FutureProteins‹ kombiniert die Herstellung alternativer Proteinquellen in geschlossenen Agrarsystemen mit einer integrierten Nutzung aller Nebenströme zur Herstellung weiterer Proteinrohstoffe. Als alternative Proteinquellen dienen hierbei bestimmte Pflanzen (Kartoffeln, Weizengras, Luzerne), Insekten (Mehlwürmer), fadenförmige (filamentöse) Pilze (z. B. Ständerpilze wie Seitling oder Shiitake) sowie Mikroalgen. Sie enthalten allesamt ein für die menschliche Ernährung hochwertiges Aminosäureprofil sowie gute Anwendungseigenschaften, wodurch sie für die Lebensmittelindustrie sehr attraktiv sind.
Welche Rolle spielt die Produktionsforschung?
Im Mittelpunkt von ›FutureProteins‹ stehen vier in sich geschlossene Anbausysteme: Vertical Farming für Pflanzen, Insect Farming für Insekten, Bioreaktoren für Pilze sowie Photobioreaktoren für Algen. Ein wichtiger Bestandteil im Projekt ist die Analyse und Bewertung von Energie-, Abfall- und Abwasserströmen in diesen vier Anbausystemen und den jeweiligen Aufarbeitungsprozessen. Das Ziel sind geschlossene, kosteneffiziente und ressourcenschonende Kreisläufe entlang der Wertschöpfung. Das Fraunhofer IWU bringt dafür Kompetenzen zur ressourceneffizienten Produktion in das Projekt ein.
»Für uns ist die Ernährungswirtschaft auf den ersten Blick Neuland – beschäftigen wir uns sonst doch eher mit Fragen der wettbewerbsfähigen Fertigung im Automobil- und Maschinenbau oder der Luftfahrt«, sagt Maximilian Stange, Projektleiter am Fraunhofer IWU und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Hauptabteilung ›Zukunftsfabrik‹. »Wenn man das Forschungsfeld der Agrarsysteme aber näher betrachtet, sieht man, dass wir die Expertise aus unseren klassischen Forschungsbereichen transferieren können, z. B. wenn es um Energiekreisläufe und die Sektorkopplung in der Fabrik geht. Zugespitzt könnte man sagen, dass wir im Projekt fürs Energiesparen zuständig sind.« Bei ›FutureProteins‹ entwickelt das Fraunhofer IWU Energie- und Stoffstrom-Modelle und optimiert die Protein-Produktion in energetischer Hinsicht.
Maximilian Stange: »Das muss alles hocheffizient und mit möglichst wenigen Emissionen funktionieren. Dabei steht vor allem die Integration von Energiewandlern und -speichern im Vordergrund. Konkret geht es dann beispielsweise um ganz naheliegende Fragen, etwa nach der Weiternutzung von Wärme, die bei biologischen Prozessen entsteht.«
Außerdem werden die Forschenden des Fraunhofer IWU die Teilsysteme der Produktionstechnik und Logistik ökonomisch und ökologisch bewerten. Im Fabrikmaßstab ist dabei entscheidend, aus welchem Materialien z. B. Pumpen für Nährstoffkreisläufe oder Energiespeicher am umweltschonendsten hergestellt werden und welche Funktionen sie erfüllen müssen, um eine optimale Wirtschaftlichkeit zu erreichen.
Weniger Wasser, weniger Pestizide, weniger Antibiotika
Der große Vorteil der vier genutzten Anbausysteme besteht darin, dass die jeweiligen Proteinquellen ganzjährig, klimaunabhängig und dadurch mit hoher Effizienz und Resilienz angebaut werden können. Darüber hinaus sind die geschlossenen Systeme im Vergleich zu herkömmlichen Anbauprozessen eine äußerst ressourcenschonende Methode: Vertical Farming benötigt lediglich 5% des Wassers und 50% weniger Dünger. Auf Pestizide kann gänzlich verzichtet werden. Damit Vertical Farming hinsichtlich Energie- und Kosteneffizienz noch weiter optimiert werden kann, wird im Projekt an hybriden Beleuchtungssystemen für Pflanzen geforscht, die Sonnen- und LED-Licht dynamisch und wellenlängenspezifisch miteinander kombinieren. Licht spielt auch eine wichtige Rolle bei der Algenkultivierung in den Photobioreaktoren, wo die Lichtausbeute mittels künstlicher Beleuchtung und KI-basierter Regelung optimiert wird.
Beim Insect Farming stellt die Vermeidung von Kontaminationen mit Insektenpathogenen die größte Herausforderung dar, um auf den Einsatz von Antibiotika und Pestiziden verzichten zu können. Im Zuge dessen wird erstmals ein geeignetes Überwachungssystem entwickelt, mit dem Insektenfarmen vor Infektionskrankheiten geschützt werden können. Bei der Kultivierung filamentöser Pilze als Proteinquelle besteht die entscheidende Aufgabe darin, kostengünstige Nährmedien für die Pilze bereitzustellen.
Verbesserte Rezepturen für höhere Akzeptanz
Über die technologischen und biotechnologischen Aspekte hinaus, werden im Projekt die neuen Proteinquellen und ihre sensorischen und funktionellen Eigenschaften für ein breites Spektrum von Anwendungen in der Lebensmittelindustrie optimiert und veredelt. Hierbei werden Rezepturen für Nahrungsmittel mit verbessertem ernährungsphysiologischem Profil entwickelt sowie die Akzeptanz bei Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Nachhaltigkeitsfaktoren bewertet.
Ein Manko, insbesondere bei einigen Pflanzenproteinen, sind z. B. Bitterstoffe oder störende Aromaeindrücke: So eignen sich beispielsweise Kartoffelproteine sehr gut für die Herstellung pflanzlicher Fleischalternativen. Sie sind jedoch aufgrund des bitter schmeckenden Inhaltsstoffs Solanin für die Verwendung in der Nahrungsmittelindustrie ungeeignet. Im Projekt werden Arbeiten zur Vermeidung dieser Inhaltsstoffe durchgeführt.