Um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur auf einen Blick zu verdeutlichen, präsentieren Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) jetzt erstmals Grüne Klimastreifen. Wie sie zu interpretieren sind, und was sie bedeuten, erklärt Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der TUM, im Interview. Prof. Menzel ist seit 2007 Extraordinaria für Ökoklimatologie an der TUM, wo Interaktionen zwischen Atmosphäre und Biosphäre im Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses stehen. Die Anwendungsbereiche reichen dabei von der Erfassung und komplexen Beschreibung relevanter Parameter in verschiedenen Landnutzungssystemen, wie BVOCs, Strahlung und Oberflächentemperatur, über Detektion und Zuordnung der Auswirkungen von Klimaänderungen auf terrestrische (alpine) Ökosysteme und menschliche Gesundheit, bis hin zur Analyse von Risiken durch Extremereignisse. Das Interview hat Katharina Baumeister geführt.
Mit Grünen Klimastreifen möchten Sie veranschaulichen, wie die Antwort der Natur auf die globale Erwärmung aussieht. Wie sind die farbigen Streifen zu decodieren?
Blaue Farben stehen für Jahre mit kalter Witterung und demzufolge auch mit später Blüte oder Blattentfaltung, grüne Streifen stehen für warme Jahre mit früherer Pflanzenentwicklung. Wir haben die Grünen Klimastreifen nun erstmals für Bayern und einige historische Beobachtungsreihen erstellt.
Ähnliche Bilder – nur in anderen Farben – kennen viele wahrscheinlich aus der Berichterstattung über die „Fridays for Future“ Demonstrationen. Die Grünen Klimastreifen oder „green warming stripes“ sind eine Weiterentwicklung der bekannten Klimastreifen oder „warming stripes“ von Ed Hawkins, die in blau-roten Farben die Erwärmung über die letzten Dekaden einfach visualisieren und schnörkellos kommunizieren.
Worum geht es konkret bei den neuen „green warming stripes“?
Phänologische Ereignisse, wie Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife, sind ein perfekter Bioindikator für den Klimawandel. Sie verfrühen sich um bis zu 5 Tage pro 1°C Erwärmung. Nehmen wir zum Beispiel die Haselblüte in Bayern. Diese ist in den letzten Jahren mehr als 20 Tage früher zu beobachten als noch im Zeitraum 1971-2000. Die Grünen Klimastreifen ergänzen damit perfekt die rein temperaturbasierten Klimastreifen, denn sie zeigen die direkt beobachtbaren Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur eindrücklich auf. Eine frühere Blüte allergener Pflanzen bedeutet zum Beispiel eine längere Leidenszeit für Pollenallergiker, ein Austrieb der Bäume im April statt im Mai ist mit einer höheren Gefährdung durch Spätfröste verbunden.
Die derzeit verfügbaren Bilder decken eine gute Bandbreite an phänologischen Veränderungen ab. Sind weitere Streifen für andere Regionen oder Erscheinungen geplant?
Grüne Klimastreifen stehen derzeit für verschiedene phänologische Jahreszeiten in Bayern und einige historische 120-jährige Zeitreihen, wie die Kirschblüte in Geisenheim im Rheingau, zur Verfügung. In der Phänologie von Pflanzen wird das Jahr nicht in vier Jahreszeiten sondern in zehn „phänologische Jahreszeiten“ aufgeteilt: Vor-, Erst- und Vollfrühling, Früh-, Hoch- und Spätsommer, Früh-, Voll- und Spätherbst sowie den Winter. Diese Einteilung orientiert sich an den Erscheinungen in der Pflanzenwelt in Bezug auf Blüte aber auch Fruchtreife, Blattfärbung oder Blattabwurf. So zeigt beispielsweise die Haselblüte den Vorfrühling an, während die Fruchtreife der Rosskastanie den Vollherbst markiert. Wir planen, das Angebot der Grünen Klimastreifen Zug um Zug zu erweitern, etwa für andere Regionen und mit berühmten historischen Zeitreihen.
Mehr Informationen: Die Grünen Klimastreifen stehen auf der Projektwebseite www.baysics.de des Bayerischen Synthese-Informations-Citizen Science Portals für Klimaforschung und Wissenschaftskommunikation zum Download zur Verfügung. BAYSICS ist ein Verbundprojekt im Bayerischen Netzwerk für Klimaforschung, das den Klimawandel für Bürgerinnen und Bürger in ihrem eigenen Umfeld erlebbar machen will. Mittels einer Webanwendung oder App können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Beobachtungen zu Pflanzen, allergenen Arten, Baumgrenzen und Tieren aufnehmen und somit zum Beobachtungsschatz beitragen. Die eigenen Beobachtungen lassen sich mit schon bestehenden Datensätzen und Beobachtungen von anderen Nutzerinnen und Nutzern in Zusammenhang setzen und so kann interaktiv aufgezeigt werden, an welchen Stellen der Klimawandel unseren Alltag berührt.