Wo die pflanzliche Vielfalt zurückgeht, nimmt die Diversität der Insekten und damit die Biodiversität als Ganzes ab. Auf intensiv genutzten Wiesen und Weiden sowie in dunklen Buchenwäldern fehlen etwa auf wenige Pflanzenarten spezialisierte Insekten, da dort ihre Futterpflanzen nicht mehr vorkommen. Dies zeigt eine von der Schweizerischen Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL koordinierte internationale Studie: Die Intensivierung der Landnutzung stellt eine große Bedrohung für die biologische Vielfalt dar, unter anderem für pflanzenfressende Insekten und ihre Wirtspflanzen. Sind Käfer, Heuschrecken, Blattwanzen oder Zikaden nur auf eine oder sehr wenige Pflanzenarten spezialisiert, müssen sie abwandern oder sie sterben lokal aus, wenn ihre Wirtspflanzen verschwinden. Ist die vorhandene Nahrungspalette einer Insektenart hingegen artenreich, kann sie trotzdem überleben, auch wenn die Pflanzenarten abnehmen. Das Zusammenspiel von Arten unterschiedlicher Organismengruppen ist letztlich entscheidend für die Stabilität eines Ökosystems.
Diesen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten gingen Forschende mehrerer Forschungseinrichtungen aus Deutschland und der Schweiz unter der Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL auf den Grund. In der vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie im Rahmen des «Schwerpunktprogramms Biodiversitäts-Exploratorien» der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) untersuchten sie in den drei deutschen Naturräumen Schwäbische Alb (Baden-Württemberg), Hainich (Thüringen) und Schorfheide (Brandenburg) die Vielfalt der Pflanzen und Insekten, sowie deren Wechselwirkungen. Mit ihrer Studie auf intensiv bis wenig bewirtschafteten Wiesen und Weiden (Grünland) sowie in unterschiedlich bewirtschafteten Buchen- und Nadelwäldern wollten sie mehr über das Zusammenspiel zwischen Pflanzen- und Insektenarten herausfinden, die lokale Netzwerke bilden. Die bis zu 1300 Quadratkilometer großen Naturräume decken eine genügende Anzahl unterschiedlich bewirtschafteter Flächen ab, um statistisch gesicherte Ergebnisse zu erhalten.
In den Gebieten mit einer Mischung aus naturnahen bis hin zu stark von Menschen genutzten Ökosystemen gingen die Forschenden davon aus, sehr unterschiedliche Insektengemeinschaften vorzufinden. «Da in diesen Gebieten zum Teil auch Insektenarten vorkommen, die auf wenige Futterpflanzen spezialisiert sind, versprachen wir uns neue Einblicke in die Konsequenzen, die eine intensive Nutzung für die ökologische Stabilität von Grünland und Wäldern hat», sagt Martin Gossner, Insektenforscher an der WSL und Leiter der Studie. Insgesamt erfassten die Forschenden auf 289 langfristig angelegten Stichprobenflächen 531 Pflanzen- und 1053 Insektenarten sowie deren Häufigkeiten.
Stabilere Insektengemeinschaften dank hoher Pflanzenvielfalt: In der Studie zeigte sich, dass Pflanzen-Insekten-Netzwerke in wenig beweidetem Grünland aus mindestens 70 Pflanzenarten und 80 pflanzenfressenden Käfer-, Heuschrecken-, Blattwanzen- und Zikadenarten bestehen. So bietet beispielsweise die wilde Möhre, eine typische Pflanze mäßig bewirtschafteter Weiden, zahlreichen spezialisierten Käferarten Nahrung. Auf häufig gemähten oder gedüngten Wiesen und Weiden konnten im Mittel hingegen nur 40 Pflanzen- und 60 bis 70 der untersuchten Insektenarten nachgewiesen werden.
In seit kurzem unbewirtschafteten Wäldern mit dichtem Baumbewuchs ist die Biodiversität mit durchschnittlich 25 Pflanzen- und 30 solcher Insektenarten deutlich geringer als in lichten Wäldern. Jenen Insekten, die nur wenige Baum- oder Krautarten als Nahrung nutzen können, fehlt dort die Lebensgrundlage. Hingegen dringt in Wäldern mit zahlreichen Lücken im Kronendach viel Licht auf den Boden, so dass dort bis zu 80 Pflanzen- und 50 pflanzenfressende Insektenarten der studierten Gruppen vorkommen. «Licht fördert die Vielfalt an Pflanzen, welche wiederum mehr Insektenarten als Nahrungsgrundlage dienen. Gleichzeitig sind die Insektenarten weniger gefährdet, lokal auszusterben, das System ist also stabiler», sagt WSL-Forscher Felix Neff, der Erstautor des soeben in der Zeitschrift «Science Advances» erschienenen Fachartikels. Ein Beispiel für die stabilisierende Wirkung lichtdurchfluteter Wälder ist etwa die Brennnessel, die in diesen bevorzugt vorkommt und Nahrungsquelle für viele spezialisierte Schmetterlingsraupen, Rüsselkäfer, Blattzikaden und -wanzen ist. «Als Doktorand fasziniert mich diese Forschung nicht nur wegen der grossen, artenreichen Gebiete, die wir untersuchen; für mich ist auch die Zusammenarbeit mit den zahlreichen interdisziplinären Forschungsgruppen eine Bereicherung», betont Felix Neff.
Werden lichtere Wälder gefördert, erhöht sich nicht nur die Vielfalt an Bodenpflanzen, Sträuchern und Bäumen, sondern auch die von der Pflanzenvielfalt profitierenden Insektenarten. Auch förderlich sind aus verschiedenen Laub- und Nadelbäumen gemischte Bestände, die sich ausserdem als stabiler gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel erweisen dürften. Nimmt die pflanzliche Vielfalt hingegen ab, geht auch die Diversität der erfassten Insekten und damit die gesamte Biodiversität zurück. Derartige Ökosysteme verarmen also.
Für Grünland empfehlen die Forschenden eine moderate Beweidung anstelle des intensiven Mähens, um vielfältige und stabile Insektengemeinschaften zu fördern. «Diese Erkenntnisse lassen sich auch auf die Schweiz übertragen, beispielsweise aufs Mittelland, den Jura oder die tieferen Lagen der Voralpen», sagt Martin Gossner, «das Projekt der Exploratorien hatte von Beginn an zum Ziel, Aussagen machen zu können, die auf verschiedene Regionen Europas zutreffen».