Seit Anfang 2021 ist Andreas Weiß Professor für Wasserbau und Siedlungswasserwirtschaft an der Hochschule Coburg. Einer seiner fachlichen Schwerpunkte ist Hoch- und Niedrigwassermanagement. Während seiner Tätigkeit in einem Planungsbüro hat er sich eingehend mit Hochwasserschutzkonzepten beschäftigt. Im Interview fasst er die wichtigsten Punkte zu den aktuellen Hochwasser-Ereignissen zusammen.
Professor Dr. Andreas Weiß, die Hochwasser der letzten Wochen in Deutschland werden als Jahrhundert- oder sogar Extremereignis bezeichnet. Was genau war denn der Auslöser dafür?
Normalerweise regnet es 600 bis 800 Liter pro Quadratmeter im ganzen Jahr, je nach Region. Bei dem derzeit beobachteten Ereignis kamen bis zu 250 Liter innerhalb weniger Tage herunter. Dabei sind kurze, intensive Starkregen auf bereits gesättigte Böden und Flächen getroffen und so haben sich zwei Extreme überlagert: Starkregen und ein eher klassisches Hochwasserereignis. Zudem ging die Gefahr von mittleren und kleineren Gewässersystemen aus. Doch gerade diese Gewässersysteme sind tückisch, weil eine Welle oder Sturzflut sehr schnell und intensiv entsteht, so wie wir es in den schrecklichen Bildern gesehen haben. Diese Intensität ist mit den bisherigen Maßnahmen nicht bzw. nur sehr schwer beherrschbar.
Mittlerweile gibt es viel Kritik an den Meldeketten und sogar Schuldzuweisungen. Woran lag es denn nach Ihrer Einschätzung?
Ich denke, es sind mehrere Faktoren, aber ganz realistisch muss man sagen, dass es nur schwer bis gar nicht möglich ist, ein solches Ereignis komplett zu verhindern. Primär muss man versuchen Menschenleben zu schützen, die materiellen Schäden kann man nur lindern. Viele Kommunen und Städte haben einen Hochwasseralarm und entsprechende Einsatzpläne. Jetzt wäre es wichtig, dass eine Meldekette und das Verhalten auch regelmäßig geübt werden, Stichwort bundesweiter Warntag. Man muss aber zu bedenken geben, dass wir viele freiwillige, ehrenamtliche Feuerwehren und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer haben, die über fehlenden Nachwuchs bzw. Zuwachs klagen. Jeder kann sich selbst fragen, was würde man in einer derartigen Situation tun, wenn man vorher gewusst hätte, was passiert.
Neben den Wassermassen sind oftmals ja die Schlamm- und Geröllmengen ursächlich für die enormen Schäden. Wie kann das verhindert werden?
Sinnvolle Maßnahmen wären zum Beispiel Schlamm- und Geröllfänge und Totholzrechen an gefährdeten Bereichen, auch in den Bebauungsgebieten, anzuordnen. Das sollte bereits in der Stadtplanung mit bedacht werden. Es sieht nicht immer ästhetisch aus, aber aus meiner Sicht sollte hier verstärkt auf die Funktionalität geachtet werden. Und es geht auch um die Einteilung von großen Flächen und Feldern. Hier können durch Hecken und Wegesysteme, wie früher üblich, schon viele Sedimente zurückgehalten werden. Hier könnte die Agrarwirtschaft unterstützen, um geänderte Landnutzungen zu erarbeiten, wo es sinnvoll und effektiv ist.
Welche Maßnahmen können zum Schutz vor solchen extremen Ereignissen installiert werden?
Hochwasserschutzmaßnahmen sind auf „festgelegte“ Ereignisse, wie oftmals hundertjährliche Hochwasser bemessen. Damit fühlen sich alle „scheinbar“ sicher, tatsächlich wird vielerorts dieser Schutz in Zukunft durch die Extreme nicht mehr ausreichend sein. Diese Extreme werden jetzt sichtbar: In den letzten Jahren klagten viele Landesteile über extreme Trockenheit und Wassermangel mit der Konsequenz für die Grundwasserspeicher, den Wald und die Böden. Jetzt sehen wir den Überfluss an Wasser. Dabei werden zu oft nur Teilaspekte berücksichtigt. Lösbar ist dieses Problem nur mit einer ganzheitlichen Sichtweise: Stadtentwicklung, Agrarwirtschaft, Forstwirtschaft und Wasserwirtschaft und die Öffentlichkeit müssen zusammenwirken.
Welche Punkte müssen denn bei der Planung von Städten, Straßen und Bebauung stärker beachtet werden?
Nur viele Maßnahmen zusammen können größere Schäden verhindern. Es beginnt beim eigenen Komfort: hochwasserangepasstes Bauen ist eine Maßnahme. Das steht leider oft dem barrierefreien Bauen entgegen, doch früher wurden Erdgeschosse deutlich erhöht gebaut und keine Kellerwohnungen geplant. Auch werden Brückenbauwerke immer wieder zu gefährlichen Nadelöhren, darum sollte man genau überlegen, wo eine Brücke wirklich zwingend erforderlich ist. Ganz entscheidend ist die Bebauung an Gewässerrändern. Das wird in den Bundesländern teilweise unterschiedlich geregelt. Hier wäre eine einheitliche Ausweisung von Gewässerrandstreifen und Pufferzonen gut. Es wird immer noch Industrie und hochwertige Bebauung zu nah an Gewässern errichtet, was die Schadenspotentiale bei Überschwemmungen weiter erhöht.
Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang für Ihre Lehre an der Hochschule Coburg wichtig?
Wir haben das Thema Starkregen und Hochwasser bereits in unsere Vorlesungen mit aufgenommen. Ganz wichtig ist uns die fächerübergreifende Sichtweise und daher vermitteln wir den Studierenden, alle Nachbardisziplinen mit einzubeziehen. Im Wasserbaulabor analysieren wir Strömungseffekte an Bauwerken, was auch für die Architekturstudierenden wichtig ist. Für die Stadtplanung ist es interessant, potenzielle Fließwege sichtbar zu machen. Dafür nutzen wir verstärkt EDV-Modelle, die immer genauer werden.
Das Interview führte Dr. Margareta Bögelein