Kann der Klimawandel zu abrupten Änderungen in Teilen des Erdsystems führen?

Foto: Die Linde

Abrupte Veränderungen in der Vergangenheit liefern Hinweise auf Kipppunkte und „Frühwarnsignale“ im Erdsystem: Kann der Klimawandel zu abrupten Änderungen in Teilen des Erdsystems führen, welche Auswirkungen hätten diese Ereignisse auf die Gesellschaft, und lassen sie sich vorhersagen? In einem Artikel hat ein internationales Team von Natur- und Sozialwissenschaftlern abrupte Veränderungen in der Vergangenheit der Erde untersucht, um mögliche künftige Änderungen besser abschätzen zu können. Sie nutzten gut dokumentierte abrupte Veränderungen der letzten 30.000 Jahre der Erdgeschichte, um zu veranschaulichen, wie sich abrupte Veränderungen durch die physikalischen, ökologischen und gesellschaftlichen Komponenten des Erdsystems fortpflanzen.

Prof. Victor Brovkin vom Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) und Leitautor der Studie, sagt: „Für den Menschen ist es entscheidend, abschätzen zu können, was möglicherweise passiert; wir müssen wissen, welche Überraschungen vor uns liegen. Es klingt vielleicht überraschend, aber um in die Zukunft zu blicken, müssen wir in die Vergangenheit schauen. Die Chance, abrupte Veränderungen und Kipppunkte zu erkennen – wenn kleine Veränderungen zu großen Auswirkungen führen – hängt von der Fülle der Daten ab und davon, wie weit wir in die Vergangenheit schauen können. Deshalb ist die Analyse von abrupten Veränderungen und deren kaskadenartigen Folgen, die aus geologischen Archiven herausgelesen werden können, von enormer Bedeutung.“

 

 

 

Eine Karte ausgewählter atmosphärischer, ozeanografischer, ökosystemischer und gesellschaftlicher Aufzeichnungen mit abrupten Veränderungen oder Kipppunkten in den letzten 20.000 Jahren, die im Artikel diskutiert werden (Abb. 3 aus Brovkin et al., 2021).

Vorboten von abrupten Veränderungen

Eine Möglichkeit, eine bevorstehende abrupte Veränderung in zeitlichen oder räumlichen Mustern zu entschlüsseln, ist eine neuartige, leistungsfähige Methode, die der sogenannten Frühwarnsignale. Dr. Sebastian Bathiany, Co-Autor vom Helmholtz-Zentrum Hereon, erklärt: „Es gibt nützliche statistische Indikatoren, die als Vorboten von abrupten Veränderungen interpretiert werden können. Dazu gehören die sogenannte Verlangsamung von zeitlichen Fluktuationen vor abrupten Veränderungen, z.B. in der ozeanischen Zirkulation, oder die erhöhte räumliche Varianz beispielsweise der Vegetationsbedeckung vor dem Ende der Afrikanischen Feuchteperiode. Gleichzeitig muss man vorsichtig sein, da einige abrupte Veränderungen, wie die Überflutung des Schwarzen Meeres vor etwa 9.500 Jahren, mit solchen Methoden nicht erkannt werden können“.

Für die Studie war es wichtig, den konzeptionellen Rahmen einschließlich der Terminologie für die Analyse festzulegen. Prof. Martin Claussen, Co-Autor vom MPI-M, kommentiert: „Wie abrupt ist abrupt? Es gibt viele Definitionen von „Abruptheit“, die immer im Kontext mit der Fragestellung zu sehen sind. Die Änderungen in den meisten Aufzeichnungen, die in unserer Studie ausgewertet wurden, sind etwa zehnmal schneller als die Änderungen der relevanten Antriebe“.

Abrupte Veränderungen im Erdsystem sind nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt, sondern können kaskadenartig durch Raum und Zeit wirken. Dr. Jonathan Donges, ein Co-Autor vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), kommentiert: „Eis-Ozean-Wechselwirkungen, zum Beispiel während des Beginns der Bølling-Allerød-Erwärmung in der Mitte des Übergangs von der letzten Eiszeit zur aktuellen holozänen Warmzeit, führten zu kaskadenartigen Änderungen wie zum Beispiel zum Sauerstoffmangel in der Tiefsee, zu Änderungen in der Vegetationsbedeckung auf dem Land und schließlich in der CO2- und CH4-Konzentration in der Atmosphäre. Diese Veränderungen könnten auch miteinander interagieren und sich gegenseitig verstärken und sich auf verschiedenen räumlichen Skalen ausbreiten, so dass sie vermutlich auch die menschlichen Jäger-Sammler-Gesellschaften zu dieser Zeit zu beeinflusst haben“.

Prof. Michael Barton, Arizona State University, USA, merkt an: „Wir sind zunehmend besorgt über das Potenzial für abrupte Veränderungen durch menschliche Einflüsse in den kommenden Jahrzehnten. Ebenso wichtig sind jedoch gesellschaftliche Dynamiken, die scheinbar widerstandsfähige menschliche Systeme anfällig für abrupte wirtschaftliche oder politische Veränderungen durch ansonsten überschaubare Umweltschwankungen machen und sogar zu deren Zusammenbruch führen können. Die Untersuchung vergangener sozio-ökologischer Kipppunkte kann uns wichtige Erkenntnisse liefern, die wir für die den Umgang mit möglichen zukünftigen Kipppunkte benötigen.“

Die Sorge steigt

„Die jüngste Vergangenheit der Erde zeigt uns, wie abrupte Veränderungen im Erdsystem kaskadenartige Auswirkungen auf Ökosysteme und menschliche Gesellschaften auslösten, während sie um Anpassung kämpften“, sagte Prof. Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute an der Universität Exeter, UK. „Wir stehen jetzt wieder vor dem Risiko kaskadenartiger Kipppunkte – aber dieses Mal haben wir sie selbst verursacht, und die Auswirkungen werden global sein. Angesichts dieses Risikos könnten wir einige Frühwarnsignale gebrauchen: Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass sich verschiedene klimatische, ökologische oder soziale Systeme immer langsamer von Störungen erholen, bevor sie einen Kipppunkt erreichen – und wo sie sich überhaupt nicht mehr erholen.“