Seit dem Jahr 2015 gibt das Pariser Klimaabkommen die Marschroute beim Klimaschutz vor. Um möglichst das 1,5°-Ziel zu erreichen oder mindestens deutlich unterhalb von 2° zu bleiben, müssen nicht nur der Bund, sondern auch alle Länder und Kommunen ihre Klimaschutzziele deutlich verschärfen. In der neuen Studie „Berlin Paris-konform machen“ im Auftrag des Senats von Berlin zeigt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gemeinsam mit Partnern, dass das Land Berlin noch nicht auf dem Zielpfad ist. Daher empfiehlt die Studie dem Land, in den fünf Sektoren Energieversorgung, Gebäude, Verkehr, Wirtschaft und Konsum nun zusätzliche und verschärfte Maßnahmen für die Klimaneutralität verbindlich festzusetzen.
„Berlin muss die Verbindlichkeit erhöhen und die Steuerung verbessern: Das Land braucht eine neue Klima-Governance, die das Ziel der Klimaneutralität in allen Sektoren und Ressorts hoch priorisiert und Probleme aktiv beseitigt“, sagt Energieexperte und Studienleiter Professor Bernd Hirschl vom IÖW. „Um emissionsfrei zu werden, braucht es endlich Entschlossenheit und Aufbruchsstimmung in allen Sektoren. Ambitionierte Sektorziele und die Einführung eines Klimasenats sind wichtige Bausteine.
Zudem sollten Stakeholder sowie Bürgerinnen und Bürger mehr beteiligt werden, denn neben technischen Fortschritten brauchen wir auch soziale Innovationen. In unserer Studie empfehlen wir für alle Handlungsfelder insgesamt über 50 Maßnahmen, die nun sehr schnell und konsequent angegangen werden müssen.“
Klimaschutz: Die zwanziger Jahre sind entscheidend
Die Studie zeigt, dass ein „Weiter so“ Berlin nicht auf einen Pfad zur Klimaneutralität führt. Die CO2-Emissionen der letzten Jahre gehen langsamer zurück, bei den Gebäuden stagnieren sie und beim Verkehr steigen sie sogar an. Einzig im Energiesektor konnten sie überproportional reduziert werden, dank des begonnenen Kohleausstiegs auf Berliner wie auf Bundesebene.
Ernüchternd bleibt aber der mit 92 Prozent enorm hohe Anteil der fossilen Energieträger an der Primärenergiebilanz auch im Jahr 2020 – bundesweit liegt der Anteil hier bereits bei 83 Prozent. Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, müssen insbesondere im nächsten Jahrzehnt die Emissionen sehr stark gesenkt werden. Nur dann ist es möglich, langfristig den Primärenergieverbrauch fast zu halbieren und die Emissionen bei Strom und Wärme auf null zu senken.
Neue Szenarien: Fokus auf Restriktionen und deren Überwindung
Wie schnell kann Berlin klimaneutral werden? Realistisch und plausibel? Dies hat die Studie in mehreren Szenarien untersucht. Während viele andere Studien überwiegend theoretische oder technisch erforderliche Zielwerte ermitteln, ohne sich ausreichend um deren Erreichbarkeit und Plausibilität zu kümmern, wurde hier in allen Handlungsfeldern der Fokus besonders auf solche limitierenden Faktoren gelegt, die einem schnellen Erreichen der Klimaneutralität im Wege stehen.
Mit diesem restriktionsbasierten Ansatz nehmen die Forschenden einerseits größtmögliche Ambitionen an, andererseits berücksichtigen sie aber auch explizit wahrscheinliche Verzögerungen. Dazu zählen viele eher langsam ablaufende „Hochlaufeffekte“ – etwa bei der energetischen Gebäudesanierung, der Verbreitung von Geothermieanlagen oder der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff –, aber auch Genehmigungsprozesse oder der Mangel an Fachkräften und Verwaltungspersonal. Zudem gibt es Zielkonflikte etwa beim Denkmalschutz oder der Sozialverträglichkeit. Da viele Hemmnisse auf Bundesebene gelöst werden müssen, kann dies weiteren Zeitverzug bedeuten.
So werden bis 2030 aufgrund der Lebensdauer noch nicht alle Ölheizungen ersetzt sein und auch nicht alle Verbrennerautos ausgetauscht. „Dies führt in Summe dazu, dass Berlin bis 2030 nur rund zwei Drittel seines Wegs bis hin zur Klimaneutralität wird gehen können – und das obwohl wir in diesem Szenario den bundesweiten Kohleausstieg und eine weite Verbreitung klimafreundlicher Technologien bis dahin angenommen haben“, erläutert Bernd Hirschl.
Insbesondere die Überwindung der limitierenden Faktoren, also die Beseitigung von Hemmnissen und Zielkonflikten, muss jetzt verstärkt auf die politische Tagesordnung, fordern die Studienautor/innen. Das Land Berlin muss dafür alle seine Spielräume nutzen, der Bund den geeigneten Rahmen schaffen – und zudem ist die Kooperation mit Brandenburg zu intensivieren, etwa beim Thema der Windstromimporte oder bei der Kreislaufwirtschaft.
Berlin frühestens Anfang der vierziger Jahre klimaneutral
Und bis wann kann Berlin nun klimaneutral sein? Dies halten die Forschenden nach ihren Szenarioberechnungen in den vierziger Jahren zwischen 2042 und 2048 für erreichbar. „Um wie in unserem besten Szenario Anfang der 2040er Jahre klimaneutral werden zu können, muss sich nicht nur Berlin mächtig ins Zeug legen. Auch der Bund muss dann bereits klimaneutral sein und insbesondere Flächen- bzw. Partnerländer wie Brandenburg. Dieser Zusammenhang gilt umso schärfer für jedes Jahr, das Berlin noch früher klimaneutral werden will“, so Energieexperte Hirschl.
Über die Studie: Die Studie „Berlin Paris-konform machen“ schreibt die Vorgängerstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ (2014) sowie das Gutachten zur Entwicklung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (2015) fort, an denen das IÖW bereits maßgeblich mitgewirkt hat. Das IÖW führte das Vorhaben im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin gemeinsam mit mehreren Fachpartnern durch und war verantwortlich für die Koordination sowie die Handlungsfelder Gebäude, Wirtschaft und Konsum; BLS Energieplan verantwortete die Bilanzierung und die Energieversorgung, das Reiner Lemoine Institut (RLI) den Verkehr, Luftbild Umwelt Planung LUP unterstützte bei Bilanzierung und Gebäudedaten und IFOK beim Beteiligungsprozess, in dem im Rahmen mehrerer Veranstaltungen und Workshops Stakeholder aus allen Handlungsfeldern einbezogen wurden.