Den Merksatz von BASF-Vorständin Saori Dubourg nahmen die Teilnehmenden des 30. Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquiums (AWK) am 23. September 2021 mit auf den Heimweg. Mehr als 1400 Fach- und Führungskräfte aus den Management-Etagen der produzierenden Industrie waren dem Aufruf des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT zum Netzwerktreffen gefolgt: Nach coronabedingter Verschiebung fand das AWK nun unter dem Motto »Internet of Production – Turning Data into Sustainability« als eine der ersten Präsenzveranstaltungen wieder vor Ort in Aachen und als Online-Konferenz statt.
Anspruch der Veranstalter war es, mit dem AWK’21 eine Wertediskussion in der Produktionstechnik zu entfachen: Nachdem das Kolloquium, anfangs noch unter der Überschrift »Turning Data into Value« geplant, gleich zweimal verschoben werden musste, war es gelungen, das Thema mit dem gezielten Blick auf eine nachhaltige Wertschöpfung stärker zu fokussieren.
Die Frage, wie Unternehmen durch nachhaltige und resiliente Produktion ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sichern können, zog sich wie ein roter Faden durch alle Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen im Aachener Eurogress und in den beiden gastgebenden Instituten.
Als Auslöser für die dringend geforderte Produktionswende sehen die vier führenden Köpfe der Aachener Produktionstechnik, die Professoren Thomas Bergs, Christian Brecher, Robert Schmitt und Günther Schuh, neben der aktuellen gesellschaftlichen Wertediskussion auch die daraus folgenden Veränderungen am Kapitalmarkt – von einer rein finanziellen Betrachtung der Produktivität hin zu einer stärkeren Orientierung an der Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen sowie der dazugehörigen Herstellungsprozesse.
Als wichtigsten Befähiger dieser Produktionswende nennen sie das Internet of Production: die durchgängige Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen innerhalb der Produktions- und Wertschöpfungskette.
Nachhaltigkeit wird in verschiedenen Industriezweigen bereits gelebt
Wie dies in der industriellen Praxis funktionieren kann, zeigten Referentinnen und Referenten, die einen Teil dieses Weges mit ihren Unternehmen bereits erfolgreich gegangen sind: Exemplarisch für die Zukunft der Metallindustrie zeigte Professorin Katja Windt von der SMS Group einen Weg zur dekarbonisierten Stahlproduktion auf. In ihrem Vortrag wies sie beispielhaft auf die Zusammenhänge zwischen einer Senkung der CO2-Emissionen durch Wasserstofftechnologie und der Digitalisierung von Hochofenprozessen hin, die schließlich in neue, hybride Geschäftsmodelle münden können.
Zu den Potenzialen, die sich durch neue und verbesserte Antriebskonzepte in der Luftfahrt ergeben könnten, sprach Lars Wagner, COO der MTU Aero Engines AG. Mit dem Ziel, sowohl die herkömmlichen Triebwerkmodelle als auch neue, brennstoffzellenbasierte Antriebe fertigen zu können, stellte Wagner einen Ausschnitt aus der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens von KI-gestützter Simulation bis zur Predictive Maintenance vor. Mit Blick auf die schnelle Umsetzung der weltweiten Klimaziele betonte er, wie wichtig die enge Zusammenarbeit in Innovationsnetzwerken sei.
Wert für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen
Saori Dubourg, Mitglied des Vorstands der BASF SE erklärte, dass – nicht zuletzt aufgrund gestiegener Kundenanfragen – Nachhaltigkeit »das neue Normal« werden müsse. Die Nachfrage der Märkte, aber auch politische Randbedingungen wie der European Green Deal werden den Trend beschleunigen und Unternehmen über kurz oder lang zur Transformation bewegen.
Nachdrücklich warb Dubourg dafür, die Wirtschaftsrisiken durch den Klimawandel und ihre Bedeutung für die Industrie nicht länger zu unterschätzen: Ein Paradigmenwechsel vom Shareholder Value zu einem neuen Wertbeitrag, der Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam veranschlagt, sei in vollem Gang. »Langfristiger Erfolg bedeutet, Wert für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen«, betonte Dubourg in ihrem Schlusswort, das später auch von weiteren Referenten in eigenen Worten immer wieder aufgegriffen wurde.
Auf dem Weg in die Zukunft einer nachhaltigen Produktion
»Wir stehen vor einer Produktionswende: Wie, wo und was werden wir in Zukunft produzieren?«, fasste Professor Thomas Bergs, Inhaber des Lehrstuhls für Technologie der Fertigungsverfahren am WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer IPT, die neuen zentralen Fragen der Produktion zusammen.
Die Nachhaltigkeit von Herstellungsprozessketten werde dabei zu einer essentiellen Bewertungsgröße, so Bergs. »Wie müssen nachhaltige Produktionszyklen in einer globalen Wirtschaft organisiert werden? Und welche Regulationsmechanismen kann und soll es geben, um Ressourcenverbräuche zu kontrollieren?
Zweifellos wird es völlig neue Produkte und Fertigungstechnologien geben.« Hier gebe es noch viel zu tun und Konferenzen wie das AWK’21 könnten dazu beitragen, miteinander ins Gespräch zu kommen über die Bedingungen, unter denen die Produktion zukünftig gestaltet werden könne.
Lösungsansätze sahen sowohl die Aachener Forschenden als auch die Vortragenden in den Digitaltechnologien zur Vernetzung wie Edge Cloud und 5G-Mobilfunktechnologie, in künstlicher Intelligenz und dem digitalen Zwilling von Produkt und Produktion. Diese Technologien sind bereits heute in Unternehmen im Einsatz und ihre Weiterentwicklung erfährt hohe Aufmerksamkeit in der Produktionsforschung.
Auch einen Blick in die Zukunftslabore und -maschinenhallen der Produktionstechnik konnten die Besucher des AWK’21 an beiden Veranstaltungstagen werfen: Ein strenges Hygienekonzept machte es vor Ort in den Instituten möglich, den Teilnehmenden zu zeigen, woran die Aachener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits heute arbeiten. Ein besonderes Highlight war für viele Besucherinnen und Besucher die Besichtigung neuen, 2400 Quadratmeter großen Maschinenhalle des Werkzeugmaschinenlabors, die nach dem verheerenden Brand im Februar 2016 in diesem Jahr endlich mit mehr als 70 Prüfständen bezogen werden konnte.
Über das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium
Das Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium ist Netzwerktreffen und Informations-Hub zugleich. Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Disziplinen tauschen sich traditionell alle drei Jahre in Aachen über die Produktion von morgen aus. Zusätzlich zur gewohnten Präsenzveranstaltung gab es zum 30. Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium eine Premiere: Neben der analogen Veranstaltung im Aachener Eurogress wurden weite Teile des Veranstaltungsprogramms digital übertragen. In zwei mal zwei parallelen Vortragssessions konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus erster Hand über die Ergebnisse angewandter Forschung und die praktische Umsetzung in der Produktion informieren. Die vier Sessions umfassten jeweils mehrere Vorträge zu den Themen »Architektur einer vernetzten, adaptiven Produktion«, »Der Digitale Zwilling im Production Cycle«, »Data Sciences in Production« sowie »Sustainable Productivity«.