Der Verlust von frei fließenden Flüssen gefährdet die biologische Vielfalt – und die Fragmentierung von Flüssen dauert an: Mehr als 3.400 große Wasserkraftanlagen sind entweder geplant oder im Bau. Forschende unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigen nun: Wenn alle beabsichtigten Staudämme gebaut werden, verlieren weltweit 19 Prozent der Flüsse mit über 500 Kilometern Länge, in denen große Tiere vorkommen, ihren Status als frei fließende Gewässer. Und ein weiteres Ergebnis ist: Fließgewässer, in denen Dämme geplant sind, beherbergen heute noch den höchsten Artenreichtum an großen Tieren.
Der Bau von Dämmen, Deichen, Straßen und Häusern entlang von Flüssen und in Flussauen führt zum Verlust von frei fließenden Flüssen. Tausende geplante Staudämme für Wasserkraftwerke werden weitere Flüsse und Flussabschnitte zerteilen. Dies bedeutet auch, dass intakte aquatische Lebensräume schwinden – insbesondere Lebensräume für die Süßwasser-Megafauna, also Tiere, die ein Körpergewicht von 30 Kilogramm und mehr erreichen können. „Megafauna-Arten, in deren Verbreitungsgebiet die frei fließenden Flüsse nur eine geringe Länge haben, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit vom Aussterben bedroht“, sagt der IGB-Forscher Dr. Fengzhi He, Erstautor der Studie.
Beabsichtigte Staudämme: Megafauna-reiche Flüsse besonders betroffen
Die Forschenden untersuchten die globalen Muster der Flussvernetzung innerhalb der Verbreitungsgebiete von großen Süßwassertieren und analysierten, wie sich diese Muster in Zukunft verändern könnten. Sie zeigten: Falls alle beabsichtigten Staudämme gebaut werden, zerschneiden diese über 600 heute noch frei fließende Flüsse, die länger als 100 Kilometer sind. Die durchschnittliche Anzahl der großen Süßwasser-Tierarten ist in diesen Flüssen heute höher als in den verbleibenden frei fließenden Flüssen oder auch solchen, die bereits verbaut sind.
Frei fließende Flüsse mit über 500 Kilometern Länge, die große Süßwassertiere beherbergen, werden von den beabsichtigten Staudämmen besonders betroffen sein: 19 Prozent würden ihren frei fließenden Status verlieren. Über 260 neue Staudämme würden dann 75 große Flüsse wie den Amazonas, Kongo, Salween und Irrawaddy zerschneiden.
Die Dämme werden die Wanderrouten der Süßwasser-Megafauna blockieren und könnten zu einer verminderten Fortpflanzung und genetischen Isolation führen. „Große Süßwassertiere haben oft komplexe Anforderungen an ihren Lebensraum, sind angepasst an das natürliche Fließverhalten, und viele müssen zwischen verschiedenen Lebensräumen wandern, um ihren Lebenszyklus zu vollenden.
So wandern beispielsweise die meisten Störarten zum Laichen vom Meer in die Flüsse. Die Verbindung zwischen Meer- und Süßwasser ist daher für ihr Überleben unerlässlich. Andere große Fischarten wie der Mekong-Riesenwels – Pangasianodon gigas – und der Platin-Spatelwels – Brachyplatystoma rousseauxii – wandern über weite Strecken, um sich fortzupflanzen. Daher sind sie besonders anfällig für eine verminderte Durchgängigkeit“, erläutert Fengzhi He.
Geringere Durchgängigkeit der Flüsse gefährdet auch andere Tierarten:
Neben den wandernden Fischen sind auch andere große Tierarten wie Flussdelfine, Krokodile, Schildkröten und Riesensalamander gefährdet. „Staudämme haben beispielsweise zu einer starken Fragmentierung und Verschlechterung des Lebensraums des Gangesgavials – Gavialis gangeticus – geführt „, so Dr. Fengzhi He, „Straßen, Gebäude und andere Infrastrukturen entlang der Flüsse unterbrechen die Verbindungen zwischen den Flüssen und den Ufergebieten, was zu Lebensraumverlust und erhöhter Sterblichkeit bei Krokodilen und Schildkröten führt.“
„Die Studie veranschaulicht, wie sich eine verringerte Vernetzung von Flüssen auf die biologische Vielfalt auswirken könnte. Es ist wichtig, bei der Planung von Staudämmen zwischen der Integrität der Ökosysteme und der wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen abzuwägen. Eine strategische Planung von Wasserkraftwerken trägt dazu bei, unverhältnismäßige Auswirkungen einzelner Anlagen auf Süßwasserökosysteme zu vermeiden.
Potenzielle Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, insbesondere auf bedrohte und empfindliche Arten, müssen bei der Planung von Wasserkraftwerken berücksichtigt werden. Es sind weitere Studien erforderlich, um die strategische Standortwahl, die Planung und den Betrieb von möglichst umweltverträglichen Staudämmen zu unterstützen. So müssen wir beispielsweise kritische Lebensräume für Arten identifizieren und mehr über ihre Lebensgeschichte wissen“, fasst Prof. Sonja Jähnig vom IGB und der Humboldt-Universität zu Berlin, die Letztautorin der Studie, zusammen.