Mit einem Appell an den Gemeinsinn aller hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am gestrigen Sonntag im Kongresszentrum darmstadtium in Darmstadt zu einem Umsteuern aufgerufen, um biologische Vielfalt zu erhalten und die Erderwärmung zu stoppen. Beim Festakt zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in Höhe von 500.000 Euro zu gleichen Teilen an Ökologin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese und Moorforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joosten sagte der Bundespräsident, dass „nur aus Gemeinsamkeit Veränderung entstehen kann“. Und: „Der ökologische Wandel verschafft uns mehr Lebensqualität.“
Gewiss sei es unbequem und anstrengend, sich von liebgewonnenen Konsum- und Ernährungsgewohnheiten zu verabschieden. Doch müsse man „mit dem Irrtum aufräumen, Klima-, Arten- und Umweltschutz hätten vor allem mit Verzicht, Enthaltsamkeit und Freudlosigkeit zu tun“. Im Gegenteil: Der ökologische Wandel ermögliche mehr Freiheit durch Mobilität, die keine Umweltressourcen verbraucht, und mache unabhängig vom konfliktträchtigen Abbau fossiler Brennstoffe.
„Er erspart uns Umweltkrankheiten und lässt uns gesünder und länger leben; er öffnet uns und denen, die nach uns kommen, eine gute Zukunft“, so der Bundespräsident. Er freue sich, „dass wir heute eine Wissenschaftlerin und einen Wissenschaftler auszeichnen, die auf dem weiten Feld des Klima- und Artenschutzes Herausragendes geleistet haben. Beide wecken Bewusstsein dafür, was alles nötig ist, um die biologische Vielfalt zu erhalten und die Erderwärmung zu stoppen.“
„Wir Menschen betreiben Raubbau an der Natur“
Böhning-Gaese hat laut Steinmeier dazu beigetragen, die Ursachen des Artensterbens genauer zu verstehen und was dagegen zu tun ist. Etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten seien vom Aussterben bedroht, „weil wir Menschen Raubbau an der Natur betreiben. Wir roden Wälder im Übermaß, beuten Böden aus, setzen giftige Pflanzenschutzmittel ein, fangen zu viele Fische, verschmutzen die Meere mit Plastikmüll“, so der Bundespräsident. Joosten wiederum sei „ein großartiger Moorforscher“, der als einer der Ersten darauf hingewiesen habe, „wie wichtig gesunde, nasse Moore für den Klimaschutz sind, weil sie der Atmosphäre Kohlendioxid entziehen und es dauerhaft im Boden binden“.
Er habe erkannt, wie schädlich Moor-Entwässerung etwa durch land- und forstwirtschaftliche Nutzung für Klima und Biodiversität sei. Bei Warnungen habe Joosten es nicht belassen, sondern vielmehr wegweisende Ideen für die landwirtschaftliche Nutzung von Mooren entwickelt, ohne deren Schutz aufs Spiel zu setzen – und dafür den Begriff „Paludikultur“ geprägt.
Große Transformation aller Lebensbereiche
Der Bundespräsident schwor in seiner Festrede die Bürger darauf ein, Veränderungen gemeinsam in Angriff zu nehmen. „Was wir vor uns haben, ist ein gesamtgesellschaftlicher Wandel, eine große Transformationsaufgabe, die alle Bereiche unseres Lebens betrifft: die Art, wie wir Energie erzeugen, Mobilität gestalten, Landwirtschaft betreiben, industrielle Güter produzieren, Wohnungen bauen, Abfall entsorgen, wie wir reisen, einkaufen und uns ernähren.“ Sich als Gesellschaft gemeinsam auf den Weg in eine klimaneutrale Zukunft zu machen, „ohne Zusammenhalt als Voraussetzung für Freiheit und Demokratie zu gefährden“, sei „eine der größten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre“. Es gelte, sich dabei besonders denen zuzuwenden, „die mit dem Wandel nicht so leicht Schritt halten können“.
Konferenzen zum Schutz von Biodiversität und Klima in Kunming und Glasgow
Auch global sind Steinmeier zufolge „Zusammenarbeit und Solidarität über Grenzen hinweg“ unabdingbar, um Klimakrise und Artenrückgang zu bewältigen. Auf der morgen (Montag) im chinesischen Kunming beginnenden Biodiversitätskonferenz sowie der Weltklimakonferenz in Glasgow (Schottland) im November könne Politik zeigen, dass sie aus der Pandemie gelernt habe und nicht zurückfalle „in nationale Egoismen.
Das ist die historische Aufgabe von Glasgow.“ Zum Hinweis des Bundespräsidenten auf Kunming und Glasgow und den engen Zusammenhang von Klima und Biodiversität sagte DBU-Generalsekretär Alexander Bonde: „Kampf gegen Erderwärmung und verstärkter Artenschutz müssen Hand in Hand gehen. Das ist eine Zukunfts- und Menschheitsfrage – und eine Lebensversicherung für uns und den Planeten.“ Darauf haben Böhning-Gaese und Joosten laut Bonde „unermüdlich“ aufmerksam gemacht.
„Diese Impulse der Wissenschaft müssen wir zügig wahr- und vor allem ernst nehmen.“ Bonde: „Damit Glasgow gelingt, müssen in Greifswald, Gladbach, Glückstadt und anderswo die angepeilten Gigatonnen an Treibhausgas-Emissionen eingespart werden.“ Und mehr Artenschutz durch die Kunming-Konferenz „klappt nur, wenn auch in Kulmbach, Kuppenheim und Kusel Biodiversität erhalten wird“.
Besuch bei den Betroffenen der Flutkatastrophe: „Ihr seid nicht vergessen!“
Es sei notwendig, schneller und entschlossener zu handeln, betonte Steinmeier. „Wenn wir nicht konsequent umsteuern, würden wir die Lebensbedingungen auf unserem Planeten unwiederbringlich zerstören.“ Der Bundespräsident erinnerte an die Flutkatastrophe im Sommer dieses Jahres. Er werde am Nachmittag die Betroffenen besuchen. „Ihr seid nicht vergessen!“, sagte er an deren Adresse. Die Folgen des Klimawandels seien „auch bei uns in Europa angekommen“. Doch sie träfen Menschen in den ärmeren Ländern des Südens schon jetzt weitaus härter. „Und sie werden zukünftige Generationen umso brutaler treffen, je weniger wir jetzt tun“, so der Bundespräsident.