Spätestens seit der Corona-Krise ist klar, dass Unternehmen die Digitalisierung nicht länger vor sich herschieben können. Gleichzeitig zeigt der aktuelle Bericht des Weltklimarats, dass das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der To-Do-Liste stehen muss. Was also zuerst angehen? Beides, sagt Prof. Dr. Ulrich Lichtenthaler, der an der International School of Management (ISM) zum Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit forscht. Im Vorfeld des Campus Symposium 2021, das unter dem Motto „Verantwortung übernehmen – in Digitalisierung. Nachhaltigkeit. Mobilität.“ steht, spricht er über die Kombination der Megatrends.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden oft im selben Atemzug genannt, wenn es um die großen Aufgaben unserer Zeit geht. In Unternehmen werden Digitalisierungsstrategien geschmiedet und Sustainability Manager eingestellt – viel zu selten werden die Themen aber zusammengedacht, sagt Prof. Dr. Ulrich Lichtenthaler.
„Bisher werden Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit meist noch relativ unabhängig diskutiert. Auch viele Unternehmen haben spezielle strategische Initiativen gestartet, die sich der digitalen Transformation oder Sustainability widmen, aber nur ganz selten dem Zusammenspiel der beiden“, so der Experte.
Dabei sind die Wechselwirkungen zahlreich, im Positiven wie im Negativen
„Der Energieverbrauch und die Emissionen durch digitale Produkte und Dienstleistungen stellen eine dunkle Seite der Digitalisierung dar. Gleichzeitig können digitale Lösungen aber auch positiv zur Nachhaltigkeit beitragen, indem Emissionen gesenkt werden.
Zum Beispiel geht man davon aus, dass mit digitalen Lösungen die Suche nach Parkplätzen in Innenstädten deutlich reduziert und damit das Verkehrsaufkommen um mindestens zehn Prozent verringert werden kann. Im ersten Schritt ist es daher wichtig, dass sowohl Firmen als auch wir alle die positiven und negativen Wechselwirkungen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit anerkennen.“
Während gerade Betreiber großer Rechenzentren wie Google von effizientem Datenmanagement profitieren oder sich sogenannte CleanTech-Start-ups ganz auf digitale Anwendungen zur Steigerung der Nachhaltigkeit konzentrieren, ist Digitainability, also die Kombination aus Digitalisierung und Nachhaltigkeit, kein Nischenthema.
„Es lohnt sich in fast allen Bereichen, zumindest einmal über diese Chancen nachzudenken, gerade auch dort, wo Digitalisierung und Nachhaltigkeit bisher so gut wie keine Rolle spielen“, sagt Lichtenthaler. „Grundsätzlich gilt, dass man stark interdisziplinär vorgehen sollte. Man kann Digitainability nicht einfach an eine Abteilung delegieren. Vielmehr sollten Firmen versuchen, die Potenziale für Innovation und Wachstum zu nutzen, indem sie das Thema ganzheitlich angehen.“
Besonders in Unternehmen, die noch mit den Folgen der Corona-Krise kämpfen und auf ein schnelles „back-to-normal“ hoffen, sind die Möglichkeiten und der Wille zu neuen Investitionen begrenzt. Mit kleinen Schritten in Richtung Digitalisierung und Nachhaltigkeit lässt sich aber heute schon eine Dynamik anstoßen, die in Zukunft unverzichtbar ist.
„Aufgrund der herausragenden Rolle, die diese beiden Megatrends aktuell spielen und in den kommenden Jahren spielen werden, haben Unternehmen kaum eine andere Wahl, als sich mit beiden Themenfeldern aktiv auseinanderzusetzen – und das ist noch vorsichtig formuliert“, prognostiziert Lichtenthaler.
„Es geht dabei nicht nur um Investitionen, sondern auch um große Chancen durch Innovation und Wachstum. Wenn einem Unternehmen sowohl Digitalisierung als auch Nachhaltigkeit egal sind, sollten sich die Verantwortlichen über mögliche aktuelle Geschäftserfolge freuen, so lange es noch geht – denn das Ende einer positiven Unternehmensentwicklung wird in solchen Fällen oft absehbar sein. Für die allermeisten Firmen gilt künftig: digital und nachhaltig – oder wenig zukunftsfähig.