Eine Analyse von Hochwassern der vergangen 10’000 Jahre im Alpenraum hat ergeben, dass in Warmphasen kleine Hochwasser jeweils zurückgingen, große Ereignisse je nach Einzugsgebiet hingegen häufiger wurden. Das zeigt eine internationale Studie, an der Forschende der Universität Bern maßgeblich beteiligt waren.
Nach wie vor ist unklar, ob mit der Klimaerwärmung Starkniederschläge und Überschwemmungen zu- oder abnehmen. Offene Fragen gibt es insbesondere auf regionaler Ebene. Um diese zu klären, blicken Klimaforschende nicht nur mit Modellen in die Zukunft, sondern auch zurück in die Vergangenheit.
In einer soeben in der Fachzeitschrift Nature Geosciences erschienen paläohydrologischen Studie wurden dazu die Häufigkeit und die Stärke von Hochwassern rekonstruiert. Dabei wurde zwischen kleinen Hochwassern (mit 10-jähriger Wiederkehrperiode) und großen Ereignissen (mit 100-jähriger Wiederkehrperiode) unterschieden.
«Wir wollten beurteilen, wie sich die Hochwassergefahren in vergangen Warmphasen entwickelt haben», sagt Flavio Anselmetti, «denn es ist für die betroffene Bevölkerung von großer Bedeutung, wie sich diese Risiken als Folge der heutigen Klimaerwärmung verändern.» Er ist Professor für Geologie an der Universität Bern und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.
Tatsächlich sind Überschwemmungen im Alpenraum allgegenwärtig – und sie verursachen von allen Naturgefahren die höchsten Kosten. Vor allem Extremereignisse wie etwa 2005. Kommt dazu: Bergregionen wie die Alpen reagieren besonders empfindlich auf den Klimawandel, da sie sich überdurchschnittlich starker erwärmen. Zudem ist das Hochwasserrisiko in den Bergen der Topografie und der hydrometeorologischen Prozesse wegen besonders ausgeprägt. Diese Faktoren begünstigen nicht zuletzt das Auftreten von Sturzfluten.
Rekonstruktion mit Hilfe von Seesedimenten
Nun haben Forschende aus Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Italien Überschwemmungen im Alpenraum währen der vergangenen 10‘000 Jahre rekonstruiert. Insgesamt sind Daten von 7792 Hochwasserereignissen in die Untersuchung eingeflossen. Die Forscherinnen und Forscher haben dazu Informationen aus Seesedimenten genutzt. Sie stellen ein natürliches Umwelt- und Klimaarchiv dar, denn während Hochwassern wird in den Flüssen vermehrt erodiertes Material transportiert, das schließlich auf den Grund von Seen absinkt, wo es charakteristische Hochwasserablagerungen bildet.
Diese Ablagerungen sind über die Jahrtausende hinweg perfekt erhalten geblieben. Durch die Analyse von Seesedimenten lassen sich deshalb Veränderungen in der Häufigkeit und Intensität von Hochwasser im Laufe der Zeit rekonstruieren.
«Wir haben speziell für diese Studie Sedimentkerne gebohrt und analysiert, im Kanton Bern zum Beispiel im Grimsel-, Hinterburg-, Oeschinen- und Iffigsee», erklärt Flavio Anselmetti, «und konnten zudem auf zahlreiche bereits früher gezogene Kerne aus dem ganzen Alpenraum zurückgreifen.» So sei die bisher umfassendste Rekonstruktion von Hochwasserereignissen an insgesamt 33 verschiedenen Standorten in den Alpen entstanden. Bei der Analyse der Daten richteten die Forschenden ihr Augenmerk auf das Geschehen in vergangen Warmphasen.
Zunahme extremer Hochwasser
Ihr Fazit: Betrachtet man lange Zeitskalen, führte in den vergangen 10‘000 Jahren eine Erwärmung systematisch zu einer Abnahme kleiner Hochwasserereignisse. In Kaltphasen war also die generelle Überschwemmungshäufigkeit grösser. Bei den Extremereignissen jedoch zeigten sich je nach Einzugsgebiet unterschiedliche Tendenzen: «Es scheint», so Flavio Anselmetti, «dass extreme Hochwasser während warmer Perioden insbesondere im Alpenraum häufiger aufgetreten sind.»
Als extrem gelten Hochwasser dann, wenn sie statistisch gesehen nur alle 100 Jahre auftreten. Die Tendenz zu häufigeren extremen Hochwassern während Wärmephasen stimmt mit Modell-Projektionen für die Zukunft überein. Auch diese zeigen, dass Starkniederschläge mit steigenden Temperaturen häufiger werden und damit die Hochwasser.
Was die Studie auch beleuchtet: Sowohl die ermittelten Trends wie die Differenzierungen lassen sich nicht allein anhand von Messdaten erkennen, da diese nicht weiter als 200 Jahre zurückreichen. «Wir sind für die schlüssige Beantwortung solcher Fragen auf lange Überschwemmungszeitreihen angewiesen», erklärt Martin Grosjean, der Direktor des Oeschger-Zentrums. «Die Studie bekräftigt die eminente Bedeutung von paläoklimatischen Archiven, auf deren Auswertung sich unser Zentrum unter anderem spezialisiert hat.»
Ganz allgemein zeigen die nun vorliegenden paläohydrologische Rekonstruktionen aus dem Alpenraum, wie sich die komplexen Beziehungen zwischen Klima und Hochwasser entschlüsseln lassen – und wie dadurch auf lokaler und regionaler Ebene die Risikobewertung und das Risikomanagement verbessert werden können. «Wir erwarten», schreiben die Autorinnen und Autoren, «dass dieser Ansatz unser Verständnis der regionalen Zusammenhänge zwischen Temperatur und Hochwasser unter vergangenen und zukünftigen Klimabedingungen erheblich verbessern wird. Und das dürfte letztlich zu einem besseren Umgang mit Hochwassern führen.»