Viele Städte müssen sich auf zwei Herausforderungen einstellen: Der Wasserbedarf steigt, die Verfügbarkeit sinkt. Konflikte bei der Wasserverteilung betreffen nicht nur die menschliche Nutzung, sondern auch die blaue und grüne Infrastruktur – denn die Gewässer und Grünflächen in der Stadt benötigen Wasser. Die Forschungsgruppe von Professorin Dörthe Tetzlaff vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) untersucht die Wasserflüsse einer Stadt am Beispiel Berlin. Das Team nahm die große Trockenheit der Sommer 2018, 2019 und 2020 in den Fokus.
„Brl“ kommt aus dem Altpolabischen – eine slawische Sprache, die bis etwa zum 12. Jahrhundert in Nordostdeutschland weit verbreitet, aber nie eine Schriftsprache war. Trotzdem sind einige Worte bis heute erhalten geblieben, in Städtenamen wie Berlin beispielsweise. Brl steht für Sumpf oder Morast.
Und richtig, Berlin ist auf sandigem Boden gebaut und der Grundwasserspiegel ist in vielen Bezirken hoch. Insbesondere in den Bereichen des Urstromtals wie im südlichen Mahlsdorf und Kaulsdorf, in Johannisthal, in Rudow, in der Rummelsburger Bucht, im Regierungsviertel, am Schloss Charlottenburg, in Siemensstadt und in Wittenau. Aufgrund der eiszeitliche Landschaftsformung ist Berlin sehr gewässerreich.
Eine „Sumpfstadt“ mit wenig Regen:
Andererseits gehört die Region Berlin-Brandenburg zu den niederschlagsärmsten Gegenden Deutschlands. Dies wird sich im Klimawandel noch verschärfen. „Es erscheint als eine etwas paradoxe Situation. Teils sumpfiger Boden durch hohes Grundwasser, viele Gewässer – und trotzdem haben Berlin und Brandenburg mit Wassermangel zu kämpfen“, sagt Dörthe Tetzlaff. Ein Städtevergleich: München hat im langjährigen Jahresmittel 944 mm Niederschlag, Köln 839 mm, Hamburg 793 mm und Berlin 591 mm. Im Jahr 2018 waren es in Berlin sogar nur 312 mm Niederschlag, ein Allzeit-Negativrekord.
Dörthe Tetzlaffs Team hat verschiedene Komponenten des Wasserhaushalts in Berlin in den Trockenjahren 2018 bis 2020 untersucht. Dabei betrachteten die Forschenden die Wasserflüsse von der Atmosphäre, der Vegetation, des Grundwassers, des Bodenwassers und der Oberflächengewässer in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung mittels stabiler Wasserisotope. Mit dieser Herangehensweise kann man den „Fingerabdruck“ von Wasser, und damit dessen Herkunft, das Alter und den Verbleib in der Landschaft detailliert bestimmen.
Grünflächen-Mosaik: Sträucher stabilisieren das Grundwasser………
Pflanzen spielen eine wichtige Rolle im Wasserkreislauf. In Berlin machen Grünflächen mit etwa 30 Prozent einen bedeutenden Anteil der Stadtfläche aus. Das Team untersuchte, welche Art der Vegetation den Rückhalt von Wasser im Boden fördert und somit den Grundwasserspiegel stabilisiert. „Bäume spielen natürlich eine wichtige Rolle für das Stadtklima – sie spenden Schatten, produzieren Sauerstoff und bringen im Sommer einen Kühlungseffekt, weil Wasser über die Blattflächen verdunstet.
Bäume bringen Verdunstungskühle
Wichtig ist, dass Verdunstung und Grundwasserneubildung in enger Wechselwirkung stehen. Große Bäume verdunsten oft mehr Wasser, daher der große Kühlungseffekt. Es steht aber weniger Wasser zur Grundwasserneubildung zur Verfügung. Wir konnten zeigen, dass ein ,Grünflächen-Mosaik‘ aus Sträuchern – die in Trockenzeiten das Wasser besser im Boden halten – und Bäumen am besten gegen extreme Trockenheit gewappnet ist“, erläutert Dörthe Tetzlaff.
In den Untersuchungen gaben große Bäume nämlich mehr Feuchtigkeit über die Blätter ab und zogen auch mehr Wasser aus den tiefen Bodenschichten, sodass Niederschlag dort kaum zur Neubildung von Grundwasser führte. Grünflächen mit Sträuchern gaben etwa 17 Prozent weniger Feuchtigkeit durch Verdunstung über ihre Blätter an die Atmosphäre ab. Sie bezogen auch kein Wasser aus den tieferen Bodenschichten, da sie flacher wurzeln. Über Rasen verdunstete etwa die gleiche Menge Wasser wie bei Bäumen, trotz geringerer Wurzeltiefe und Blättermasse.
Außerdem zeigte sich, dass Berlins Grünflächen während Trockenzeiten einen geringen Austausch mit Oberflächengewässern und dem Grundwasser haben. „Grüne Wasserflüsse“, wie Verdunstung, sind also die dominanten Komponenten der Wasserbilanz. Das muss bei einem nachhaltigen Management beachtet werden, um zukünftig urbane Grünflächen zu erhalten und gleichzeitig Wasserressourcen zu schonen.
Die Erpe führt in Trockenperioden vor allem gereinigte Abwässer….
Aber wie wichtig ist das Grundwasser für diese Stadt? Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUVK) hat den Grundwasserstand immer im Blick – schließlich gilt es sowohl wichtige Feuchtbiotope zu erhalten und gleichzeitig zu verhindern, dass es zu nassen Kellern und Grundbruch kommt. Außerdem wird das gesamte Wasser für die öffentliche Wasserversorgung und der größte Teil des Brauchwassers aus dem Grundwasser des Stadtgebietes gewonnen.
…….die Panke ebenfalls:
Auch die Flüsse Berlins speisen sich aus dem Grundwasser – aber vorwiegend im Winterhalbjahr, wie die IGB-Nachwuchsforscherin Lena-Marie Kuhlemann herausgefunden hat. Die Doktorandin aus der Forschungsgruppe von Dörthe Tetzlaff untersuchte im 220 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet der Erpe die Rolle von Grundwasser, Niederschlag, geklärten Abwässern und städtischem Abfluss für die trockenen Jahre 2018 und 2019.
Im Winter vor allem durch Grundwasser gespeist, führt die Erpe in Trockenperioden im Sommer hauptsächlich geklärte Abwässer durch die Einleitungen der zwei kommunalen Kläranlagen. Wasser aus Niederschlägen und städtischen Wassereinträgen machten weniger als 10 Prozent des Abflusses der Erpe aus, obwohl das Einzugsgebiet zu etwa 20 Prozent städtisch ist.
Der hohe Anteil an geklärtem Abwasser kann Auswirkungen auf die Umweltqualität und die Ökosystemleistungen haben und ist damit auch ein wichtiger Aspekt für die Behandlung von kommunalem Abwasser. „Wenn gereinigte Abwässer in ein Oberflächengewässer eingeleitet werden, können Spurenstoffe und Nährstoffe eingetragen werden. Dies beeinflusst die Gewässerqualität insbesondere, wenn gleichzeitig wenig ‚natürliches Wasser´ ins Gewässer gelangt“, erläutert Lena-Marie Kuhlemann.
Überarbeitung der EU-Richtlinie über kommunalen Abwässern
Christian Marx, ebenfalls ein Nachwuchswissenschaftler im Forschungsteam, ist für die Panke zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Die Panke ist nach Spree und Havel der drittlängste Fluss im Berliner Stadtgebiet. Der obere Teil des Einzugsgebiets wird zu rund 75 Prozent von Grundwasser aus Kiesgrundwasserleitern gespeist. Bei starkem Regen ist dieser die Hauptquelle für das Wasser der Panke.
Insgesamt macht das Wasser aus Niederschlägen allerdings nur 10 bis 15 Prozent des jährlichen Wasserflusses aus. Flussabwärts wird der Fluss von verschiedenen Nebenflüssen beeinflusst. Die Abwässer einer Kläranlage prägen jedoch mit 90 Prozent den Wasserfluss im unteren Einzugsgebiet, wo die Auswirkungen der Verstädterung am stärksten sind. Die damit verbundene Zunahme der versiegelten Flächen flussabwärts verringert auch den relativen Beitrag des Grundwassers.
Die Europäische Kommission führte im letzten Jahr eine Konsultation zur Überarbeitung der EU-Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser (UWWTD) durch. „Der zunehmende Anteil von geklärten Abwässern in Oberflächengewässern durch Trockenheit und Versiegelung ist ein wichtiger Aspekt für die Anpassung dieser EU-Richtlinie“, resümiert Dörthe Tetzlaff.
Spree, Dahme, Havel: Verdunstungsverluste flussaufwärts
Bei den drei großen Flüssen in Berlin – Spree, Dahme, Havel – ist weniger der Anteil an geklärtem Abwasser problematisch; sie haben mit anderen Herausforderungen zu kämpfen: Bevor die Flüsse im Stadtgebiet von Berlin ankommen, ist bereits viel Wasser verdunstet, wie Isotopenanalysen ergaben. Insbesondere mit Blick auf das Ende des Tagebaus in der Lausitz im oberen Einzugsgebiet der Spree und den Klimaänderungen wird es wichtig sein, den Wasserhaushalt der stromaufwärts gelegenen Einzugsgebiete mit einzubeziehen, um durch nachhaltige Nutzungsstrategien Wasserverluste zu minimieren und den Zufluss in der Spree nach Berlin aufrechtzuerhalten. „Einfache Messprogramme mittels Isotopen können in Zukunft helfen, die Verdunstungsverluste auch über größere Gebiete hinweg besser zu quantifizieren“, sagt Dörthe Tetzlaff.
Ein Blick nach Brandenburg zeigt „Dürre-Gedächtniseffekte“:
Das Team betreibt auch ein Freiland-Observatorium im Demnitzer Mühlenfließ im Osten Brandenburgs. Im Dürrejahr 2018 fielen dort im Vergleich zum langjährigen Mittel 30 Prozent weniger Niederschlag. In den beiden darauffolgenden, ebenfalls trockenen Jahren 2019 und 2020 waren es jeweils noch 10 bis 15 Prozent weniger als die langjährigen Mittel. Auch in der ersten Jahreshälfte in 2021 regnete es noch zu wenig. Doch wie wirken sich solche Trockenphasen auf die Wasserressourcen aus?
Und wie viel Niederschlag wäre nötig, um den Mangel auszugleichen? Die Messdaten zeigen, dass die Grundwasserneubildung zeitversetzt geschieht. So erreichte der Grundwasserspiegel erst 2020 seinen tiefsten Wert nach dem Dürresommer 2018. Er lag mehr als 20 Prozent – das heißt 40 Zentimeter – unter dem normalen Grundwasserstand. Auch heute, Anfang 2022, ist trotz der erhöhten Niederschläge der letzten Wochen, immer noch zu wenig Grundwasser vorhanden. Ähnlich ist es bei der Feuchte des Oberbodens: Die jüngsten Regenfälle haben nicht dazu geführt, dass die Böden genug Wasser aufnehmen konnten. Im Vergleich zum Mittel der letzten 13 Jahre fehlen noch etwa 15 Prozent.
„Unsere integrierten Messungen und Modellierungen zeigen, dass wir mindestens vier Jahre an durchschnittlichen Regenmengen bräuchten, also in dieser Region etwa 600 mm pro Jahr, damit sich die Grundwasserspiegel auf Vor-Dürre-Niveau erholen könnten, und ein Jahr, um die Bodenwasserspeicher wieder aufzufüllen“, prognostiziert Dörthe Tetzlaff. Zunehmende Extremereignisse wie Dürren erfordern daher sowohl in der Stadt, als auch im Umland Strategien, die an die Wasserverfügbarkeit angepasst sind und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel erhöhen.