Wie reagieren Insekten, die in Baumkronen leben, wenn ihre angestammte Baumart plötzlich verschwindet? Eine Studie in den Auwäldern der Elbe bringt überraschende Erkenntnisse.
Infolge der Dürreperioden der letzten Jahre wurde in Deutschland ein ausgeprägtes Baumsterben beobachtet, das in Wäldern und Parks deutlich sichtbare Lücken hinterlassen hat. Alle Klimaprojektionen deuten darauf hin, dass solche Ereignisse in Zukunft häufiger auftreten.
Diese Entwicklung beeinflusst auch Insekten und andere Tiere in den Baumkronen, die einen wesentlichen Teil der Artenvielfalt ausmachen und viele Funktionen übernehmen, ohne die kein Wald existieren kann.
Als Reaktion auf das Baumsterben plant die Forstwissenschaft, Wirtschaftswälder in robustere Mischwälder umzubauen. Dazu gehört auch die vermehrte Pflanzung hitze- und dürreresistenter Baumarten aus anderen Ländern.
Doch diese Strategie birgt Risiken und ist umstritten: Werden Pflanzen oder Tiere in Regionen eingeführt, in denen sie nicht heimisch sind, kann das die Ökosysteme, deren Biodiversität und Funktion stören. „Art und Ausmaß solcher Störungen lassen sich aber mit dem derzeitigen Wissensstand nicht vorhersagen.“ Das schreiben die Wissenschaftler Andreas Floren und Tobias Müller von der Ökologie und Bioinformatik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) mit Peter Horchler von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz im Fachjournal Sustainability.
Exotische Bäume als Rettungsanker
Die Forscher zeigen nun, dass nicht-heimische Bäume in Zeiten des Klimawandels auch Chancen bieten – sie können zum Rettungsanker für Insekten werden, wenn deren angestammte Wirtsbäume reihenweise absterben.
Anzeichen dafür haben die Biologen in den Auwäldern des Biosphärenreservats Mittlere Elbe gefunden. Dort wachsen neben der einheimischen Esche (Fraxinus excelsior) auch Rot-Eschen (Fraxinus pennsylvanica), die aus Nordamerika stammen. Die Exoten wurden dort Anfang des 20. Jahrhunderts gezielt wegen ihrer hohen Überflutungstoleranz gepflanzt.
„Wir haben 2016 und 2017 in den Kronen der beiden Baumarten die Biodiversität der Käfer analysiert“, erzählt Andreas Floren von der JMU-Arbeitsgruppe Systemökologie, die Tierökologie und Bioinformatik vereint. Dabei zeigte sich: Die größte Käfer-Diversität von allen untersuchten Baumarten war auf den heimischen Eschen zu finden. Und sie unterschied sich deutlich von den Käfergemeinschaften der Rot-Eschen.
Heimische Eschen fast komplett abgestorben
Ein durch Dürrestress und Pilzinfektionen verursachtes Eschensterben war laut Floren in diesen beiden Jahren nicht erkennbar. Doch 2020, als das Team die Analysen wiederholte, war die Situation völlig anders: Zu diesem Zeitpunkt waren mehr als 80 Prozent der heimischen Eschen abgestorben – was einem „knock-out“ dieser Baumart nahekommt. Die Hitze und Dürre der Vorjahre hatten ihren Tribut gefordert. Die Eschen aus Nordamerika dagegen waren unversehrt geblieben.
Drastisch verändert hatte sich 2020 auch die Käferfauna in den Baumkronen. „Das weist auf eine funktionelle Umstrukturierung des Ökosystems“, erklärt Floren. Viele Arten waren auf die Rot-Esche gewechselt, und mehrere als gefährdet eingestufte Rote-Liste-Arten traten nun so häufig auf, dass sie zu Schädlingen wurden. Diese Käfer bohren sich in die Rinde der einheimischen Eschen und zerstören deren Bastschicht, so dass die Bäume sterben.
Erstaunlicherweise fehlten in allen Bäumen pflanzenfressende Käfer. Dagegen fanden sich mehr im Holz lebende und holzfressende Käfer. Räuberische Käfer und solche, die sich von Pilzen ernähren, lebten nun vermehrt auf den nordamerikanischen Eschen.
Die Ergebnisse basieren auf Untersuchungen mittels Insektizidvernebelung („Fogging“). Bei dieser in der Forschung gängigen Methode werden einzelne Baumkronen eingenebelt; Käfer und andere Insekten fallen in Fangplanen am Boden und können dann systematisch bestimmt werden. Das als Insektizid verwendete natürliche Pyrethrum zersetzt sich innerhalb weniger Stunden ohne Rückstände, so dass die Störung für das Ökosystem gering bleibt.
Rot-Eschen bieten den zweitbesten Lebensraum
„Alles in allem legen unsere Daten nahe, dass Fraxinus pennsylvanica zu einer Art Rettungsanker für die heimische Fauna werden könnte, wenn die einheimische Esche verschwindet. In diesem Fall bietet die Rot-Esche den zweitbesten Lebensraum“, so Floren. „Dass Neophyten für den Erhalt der einheimischen Fauna wichtig werden, ist sehr ungewöhnlich und nur möglich, weil die beiden Eschenarten eng miteinander verwandt sind.“
Als Neophyten bezeichnet man in der Biologie Pflanzen, die durch menschliche Aktivitäten an nicht-heimischen Standorten eingeführt wurden.
Notwendig seien jetzt weitergehende Untersuchungen zur Diversität und Funktion der Baumkronenfauna inklusive der Neophyten, um auf mögliche Folgen des Klimawandels vorbereitet zu sein. Denn: Was in den Auwäldern passiert ist, könnte auch das Schicksal anderer Wälder werden.