Ostsee: Reallabore um Nutzungskonflikte zu lösen

Luftaufnahme © Kilian Etter und Svenja Karstens, CeOS/Uni Kiel Naturschutzgebiet Bottsand und Blick auf den Hafen in Marina Wendtorf

In der westlichen Ostsee ist die Küstenfischerei eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung von Küstengemeinden und den Auswirkungen des Klimawandels mit dem zunehmenden Verlust von Biodiversität verknüpft. Für eine nachhaltige Zukunft der Fischerei müssen vielfältige Interessen berücksichtigt werden. Dazu gehören auch Raum- und Ressourcenkonflikte, die zwischen den unterschiedlichen Nutzergruppen erkannt und im gemeinsamen Dialog gelöst werden müssen.

Dazu beitragen will das vom Center for Ocean and Society an der Universität Kiel koordinierte Projekt SpaCeParti mit der Einrichtung von sogenannten Reallaboren, in die Nutzer aktiv in die Forschung einbezogen werden. SpaCeParti ist ein Vorhaben der Forschungsmission sustainMare „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“ der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM).

Zu einem virtuellen Kick-Off des Projektes SpaCeParti (Coastal Fishery, Biodiversity, Spatial Use and Climate Change: A Participative Approach to navigate the Western Baltic Sea into a Sustainable Future) trafen sich heute (Montag, 21. Februar) mehr als 25 Forschende aus sechs Institutionen.

Das im Dezember gestartete und vom Center for Ocean and Society (CeOS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) koordinierte Forschungsvorhaben hat sich zum Ziel gesetzt, mit den beiden Reallaboren Stein Wendtorf (Schleswig-Holstein) und Greifswalder Bodden (Mecklenburg-Vorpommern), nachhaltige Nutzungsstrategien für die westliche Ostsee mit dem Fokus auf Fischerei gemeinsam mit regionalen sowie lokalen Interessensgruppen zu entwickeln. Dazu gehören Akteure aus der kommerziellen Fischerei und der Freizeitfischerei ebenso wie Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Tourismus, öffentliche Verwaltung, Natur- und Umweltverbände, lokale Medien sowie Bürger.

Für diese Verknüpfung von Forschung und lokalen Expertinnen und Experten, die in diesem Umfang in bestehenden Forschungsprojekten zum ersten Mal in diesen Regionen umgesetzt werden soll, wurden zwei Standorte gewählt, die durch massiv abgesenkte Fangquoten und räumliche Nutzungskonflikte besonders betroffen sind. In Stein Wendtorf hat der Dorsch die größte ökonomische Bedeutung für die küstennahe Fischerei. In Greifswald wiederum zielt die Fischerei hauptsächlich auf den Fang von Hering ab. In den vergangenen Jahren sanken die sogenannten Laicherbiomassen beider Arten, d.h. die Anzahl der nachwuchsproduzierenden Elterntiere. Das hat zu strukturellen Veränderungen beider Standorte geführt. Gleichzeitig sind diese Regionen von hohem touristischen Interesse, wertvolle Habitate für den Naturschutz oder werden als potenzielle Räume für die Produktion von erneuerbaren Energien ausgewiesen.

„Die Küstenökosysteme an der westlichen Ostsee stehen enorm unter Druck“, sagt Prof. Dr. Marie-Catherine Riekhof, Verbundkoordinatorin des Projektes am Center for Ocean and Society (CeOS) des Forschungsschwerpunkts Kiel Marine Science (KMS) an der Universität Kiel. „Ihre Biodiversität ist gefährdet unter menschlichen Einflüssen wie Klimawandel oder Eutrophierung. Besonders die küstennahe Fischerei steht vor großen Herausforderungen.

Um für das gesamte Ökosystem und die Menschen vor Ort tragfähige Lösungen zu entwickeln, brauchen wir neue Forschungsmethoden. Diese müssen den komplexen und ineinandergreifenden Herausforderungen gerecht werden,“ so Riekhof, CAU-Professorin für Politische Ökonomie des Ressourcenmanagements mit Schwerpunkt auf Meeres- und Küstenressourcen.

„Reallabore haben sich in der Nachhaltigkeitsforschung bewährt und werden am Center for Ocean and Society als ein wirkungsvolles Konzept für die partizipative Forschung eingesetzt. Gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure von Beginn an in die Forschung einzubeziehen ist zukunftsweisend und eine große Chance für stark genutzte Küstenökosysteme wie die Ostsee“, ergänzt Dr. Christian Wagner-Ahlfs, Koordinator für transdisziplinäre Forschung im Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS).

Eine große Herausforderung wird es sein, die Infrastruktur aufzubauen und die Akteurinnen und Akteure an einen Tisch zu holen. „Wir greifen dafür auf bestehende Netzwerke zurück und auch auf Verbindungen aus langjährigen Forschungsaktivitäten an der Ostsee,“ erläutert Wagner-Ahlfs. Dr. Heike Schwermer, Postdoktorandin im Center for Ocean and Society, berät die beiden Reallabore als Fischereiexpertin: „Wir möchten wissenschaftliches und politisches Handlungswissen erarbeiten, um die Fischerei in der westlichen Ostsee in eine nachhaltige Zukunft zu lenken. Dazu müssen wir gleichzeitig die Bedürfnisse des Schutzes der biologischen Vielfalt, des Tourismus und der Erzeugung erneuerbarer Energien berücksichtigen.“

Um dieses Vorhaben umzusetzen, erforschen die Wissenschaftler die Dynamiken der biologischen Vielfalt in der westlichen Ostsee und füllen hierbei Wissenslücken zu Rekrutierungsprozessen von Dorsch und Hering. Neben der Entwicklung von Nahrungs- und Fischereimodellen zielt das Projekt ferner auf die Entwicklung dynamischer Anpassungspfade ab. Ein besseres Verständnis der politischen und sozioökonomischen Prozesse soll in politischem Handlungswissen enden und so einen Beitrag zur nachhaltigen Nutzung des sozial-ökologischen Systems der westlichen Ostsee leisten.

In das Projekt SpaCeParti eingebunden sind die Universität Hamburg mit dem Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und mit demExzellenzcluster CLICCS, das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), die Universität Leipzig, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, das Thünen-Institut für Ostseefischerei Rostock sowie das Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), Dresden. Das Projekt wird im Rahmen der Forschungsmission „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“ der DAM für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.