Uni Zürich: Ein einziges Gen steuert die Artenvielfalt in einem Ökosystem

Pflanzen mit einem nicht funktionierenden AOP2-Gen fördern die Koexistenz von Blattläusen und deren natürlichem Feind, einer parasitären Wespe (hier bei der Parasitierung der Blattlaus). Matthias Furler Universität Zürich

Ein einzelnes Gen kann ein ganzes Ökosystem beeinflussen. Das zeigt ein Forscherteam der Universität Zürich in einem Laborexperiment mit einer Pflanze und dem dazugehörigen Ökosystem von Insekten. So fördern Pflanzen mit einer Mutation in einem bestimmten Gen Ökosysteme mit mehr Insektenarten. Die Entdeckung eines solchen «Schlüsselgens» könnte die derzeitigen Strategien zur Erhaltung der biologischen Vielfalt verändern.

Vor mehr als fünfzig Jahren entdeckte der amerikanische Ökologe Robert Paine an der Küste eines felsigen Gezeitenbeckens, dass Struktur und Funktion eines Ökosystems dramatisch verändert werden können, wenn eine einzige Art entfernt wird. Paine hatte herausgefunden, dass Seesterne als Schlüsselart fungieren, da ihre Anwesenheit und ihre Rolle als Raubtier zuoberst in der Nahrungskette die Koexistenz verschiedener Arten im felsigen Ökosystem aufrechterhalten.

Pflanzen-Abwehrgene in vereinfachtem Labor-Ökosystem getestet

Nun berichtet ein Team von Ökologen und Genetikern der Universität Zürich (UZH) und der University of California in Science, dass auch eine Mutation in einem einzigen Gen die Struktur und Funktion eines Ökosystems dramatisch verändern kann. Ein Gen enthält somit nicht nur Informationen, die für die Fitness eines Organismus entscheidend sind, sondern kann auch das Fortbestehen von interagierenden Arten in einer ökologischen Gemeinschaft beeinflussen.

Die Entdeckung von Jordi Bascompte, UZH-Professor am Departement für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften, und seinem Team wurde anhand eines experimentellen Ökosystems im Labor mit einem Räuber (einer parasitären Wespe), zwei Pflanzenfressern (Blattläusen) und der Pflanze Arabidopsis thaliana – einem genetischen Modellorganismus – gemacht.

Schlüsselgen bewahrt Ökosystem vor Zusammenbruch

Die Wissenschaftler testeten die Wirkung von drei Pflanzengenen, die das natürliche Arsenal der chemischen Abwehrkräfte der Pflanze gegen Fraßinsekten steuern. Sie fanden heraus, dass die Pflanzenfresser und Raubtiere in ihrer Versuchsgemeinschaft eher auf Pflanzen mit einer Mutation an einem einzigen Gen namens AOP2 überlebten. «Diese natürliche Mutation im AOP2-Gen beeinflusste nicht nur die Chemie der Pflanze, sondern ließ sie auch schneller wachsen. Das wiederum förderte die Koexistenz von Pflanzenfressern und Raubtieren und verhinderte so den Zusammenbruch des Ökosystems», sagt UZH-Wissenschaftler und Erstautor Matt Barbour. Ähnlich wie bei einer Schlüsselart wie dem Seestern fungiert AOP2 als «Schlüsselgen», das für das Überleben des experimentellen Ökosystems unerlässlich ist.

Auswirkungen auf Schutz der biologischen Vielfalt

Die Entdeckung eines solchen Schlüsselgens dürfte Auswirkungen darauf haben, wie die biologische Vielfalt in einer sich verändernden Welt erhalten werden kann. «Insbesondere sollte das Wissen aus der Genetik und den ökologischen Netzwerken integriert werden, um die Folgen genetischer Veränderungen für den Fortbestand der biologischen Vielfalt auf verschiedenen Ebenen vorherzusagen», sagt Barbour.

Versuchsanordnung mit den experimentellen Ökosystemen. Matt Barbour, Universität Zürich

Einerseits könnten Individuen mit verschiedenen Varianten eines Gens oder sogar genetisch veränderte Organismen zu bestehenden Populationen hinzugefügt werden, um vielfältigere und widerstandsfähigere Ökosysteme zu fördern. Andererseits könnte eine scheinbar kleine genetische Veränderung eine Kaskade unbeabsichtigter Folgen für die Ökosysteme auslösen, wenn diese nicht vorher eingehend untersucht werden.

«Wir fangen gerade erst an zu verstehen, welche Folgen genetische Veränderungen für das Zusammenspiel und die Koexistenz von Arten haben. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der derzeitige Verlust der genetischen Vielfalt kaskadenartige Auswirkungen haben kann, die zu abrupten und katastrophalen Veränderungen im Fortbestand und in der Funktionsweise von Land-Ökosystemen führen können», so Barbour.