„Wenn die Menschen aus dem Krieg kommen und davon erzählen, könnte ich nicht aufhören zu weinen.“

Ukrainische Flagge Pixabay/jorono 1037 Bilder

Es gibt zwei Yuliia Kravets in diesen Wochen und Monaten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine: Yuliia Kravets, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität. Und Yuliia Kravets, die ehrenamtliche Helferin in einem Berliner Jobcenter. „Dort unterstütze ich ukrainische Geflüchtete dabei, Anträge auf Sozialleistungen auszufüllen, und übersetze“, erklärt Kravets. „Die Arbeit in einem Willkommenszentrum für Geflüchtete wie dem am Hauptbahnhof hätte ich nicht durchgehalten“, fügt sie beinahe entschuldigend hinzu. „Wenn die Menschen aus dem Krieg kommen und davon erzählen, könnte ich nicht aufhören zu weinen.“

Als Kravets an dem Tag aufwacht, an dem Putins Truppen die Ukraine angreifen, liest sie auf ihrem Smartphone eine Nachricht von ihrem Professor. Er schreibt, dass sie an diesem Tag nicht zur Arbeit kommen braucht. „Das war sehr gut für mich“, erinnert sich Kravets. Bald erfährt sie: Noch vor Beginn des russischen Angriffs haben es ihr Bruder und seine Freundin aus Kyiv herausgeschafft. Die beiden wollten ihre Eltern in der Westukraine besuchen. Eine lange geplante Reise, die zum Glücksfall wird.

Humboldtianer koordinieren Hilfe für die Ukraine

Am zweiten Tag der Invasion schreibt die Chemikerin eine Mail an die Leitung der Humboldt-Universität und bittet um Kontakte zu ukrainischen Studierenden. Falls die jemanden zum Reden brauchen. Die Universitätsleitung richtet eine Mailingliste ein. In eilig einberufenen Zoom-Meetings vernetzen sich Uni-Angestellte und koordinieren Hilfe für die Ukraine. Das Präsidium veranstaltet einen Solidaritätsabend. „Es tat gut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen“, sagt Kravets. „Ich hatte ja kaum Kontakt zu Landsleuten, auch wegen Corona.“

Erst kurz vor der Pandemie, im Januar 2020, kam die Forscherin nach Berlin. Ihr Professor in Jena war an die Humboldt-Universität berufen worden. Sein Labor und seine Mitarbeitenden nahm er mit. Am Institut für Chemie forscht sie seither an Natrium-Ionen-Batterien. Die-Sodium-Vorkommen auf der Erde sind um ein Vielfaches größer als die von Lithium, das außerdem unter oft fragwürdigen Umweltbedingungen abgebaut wird und schwer wiederverwertbar ist.

Studium in Kyiv

Die Forschung an Sodium-Ionen-Batterien ermöglicht es zudem, auch andere Elemente der Batterie umweltfreundlicher zu machen, etwa auf Kobalt aus Konfliktregionen wie dem Kongo zu verzichten. So könnte die Forschung von Kravets und ihrer Arbeitsgruppe dazu beitragen, dass die Elektrisierung der Autoflotte in Deutschland, für die viele tausend Großbatterien benötigt werden, sozial- und umweltverträglicher erfolgt als bislang.

Die akademischen Grundlagen für Ihre Batterieforschung hat sich Kravets in der Ukraine erarbeitet. Den Bachelor und den Master hat sie in Kyiv gemacht. Als Russland die Krim annektierte, war die Ukrainerin im zweiten Jahr ihres Bachelors. „Wir hatten uns alle auf die Annäherung an die Europäische Union gefreut“, erinnert sie sich. Als der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch überraschend die Annäherung an die EU stoppte, begannen friedliche Proteste, der so genannte Euro-Maidan.

Die Invasion, damals wie heute ein Schock

Yuliia Kravets, Foto: privat

Die Demonstrierenden wurden von Scharfschützen beschossen, einige starben. Kravets stand kurz vor ihren Abschlussprüfungen. „Wegen der unsicheren Lage versuchten wir, in den Wohnheimen zu bleiben“, erinnert sie sich. „Kurz danach wurden wir alle nach Hause geschickt.“ Kravets fuhr zu ihrer Familie in die Westukraine. Im Fernsehen verfolgte sie, wie Präsident Janukowitsch vor den anhaltenden Protesten nach Russland floh. Kurz darauf kam heraus, dass der Präsident Milliarden Euro veruntreut hatte. Während ein ganzes Land auf goldene Wasserhähne im Präsidentenpalast starrte, schlichen sich russische Spezialkräfte im Schutz der Dunkelheit auf die Krim. Die Invasion, damals wie heute ein Schock.

„Ich weiß“, sagt Yuliia Kravets, „ich sollte nicht zu viel Nachrichten über den Krieg lesen, aber wann immer ich Zeit habe, mache ich es trotzdem. Meine Familie wollte mich im März in Berlin besuchen, aber das passierte natürlich nicht. Ich hatte geplant, im Juni nach Hause zu fahren, aber auch das ist jetzt nicht möglich.“