Trotz ehrgeiziger Rhetorik bleibt die Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland derzeit hinter dem Notwendigen zurück. In einer Studie weisen Forscher des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS Potsdam) nach, dass die etablierte Art der Interessenvermittlung zwischen Politik, Industrie und Gewerkschaften einer ambitionierten Agenda im Wege steht. Für einen erfolgreichen Wandel muss die Politik das Verhältnis zwischen Kapitalismus, Demokratie und Nachhaltigkeit neu gestalten.
Der Kohleausstieg ist seit Jahren ein konfliktreiches Thema in Deutschland. 2020 schuf der Bundestag die gesetzliche Grundlage für einen Kohleausstieg bis 2038, die aktuelle Regierungskoalition will ihn auf 2030 vorziehen – ein Vorhaben, an dem sie trotz des Ukraine-Kriegs festhält. In der Bevölkerung gibt es breite Unterstützung für einen baldigen Kohleausstieg, vor allem von rechtspopulistischer Seite stoßen die Pläne aber auch auf heftigen Widerstand. In ihrer Studie analysieren die Autoren die Kontroversen und leiten daraus allgemeine Schlussfolgerungen für die Nachhaltigkeitspolitik ab.
Umweltinteressen an den Rand gedrängt
„An den Debatten über den Kohleausstieg sehen wir deutlich, dass die Vermittlung zwischen dem Streben der Industrie nach Kapitalakkumulation, dem demokratischen Anspruch auf eine Legitimation von Entscheidungen sowie Belangen des Klimaschutzes zunehmend krisenanfällig ist. Die Delegation des Ausstiegsplans an eine breit zusammengesetzte Kommission sollte die Akzeptanz der politischen Entscheidungen erhöhen, untergrub aber tatsächlich die Chance, einen ehrgeizigeren Kohleausstieg umzusetzen und das politisch-ökonomische und kulturelle Erbe der fossilen Wirtschaft in Deutschland neu zu gestalten“, sagt Erstautor Tobias Haas.
Die Analyse der Autoren zeigt, dass die Kommission von den Arbeitgebern und Gewerkschaften dominiert wurde, während die Interessen von Umweltverbänden an den Rand gedrängt wurden. Die Erkenntnisse basieren auf historischer und politisch-ökonomischer Literatur, Positionspapieren von Akteuren der Kohleausstiegsverhandlungen sowie auf 13 Interviews mit Beteiligten der Kohlekommission.
Fördermittel helfen kaum gegen Populismus
Dass der Vorschlag der Kohlekommission hinter dem klimapolitisch Notwenigen zurückblieb, lag auch an einer Intervention der Ministerpräsidenten von Brandenburg (Dietmar Woidke, SPD), Sachsen (Michael Kretschmer, CDU) und Sachsen-Anhalt (Reiner Haseloff, CDU). Sie erwirkten eine Verlängerung der Kommissionsarbeit und begründeten dies mit der unzureichenden Berücksichtigung der Förderung des Strukturwandels in den Bundesländern. Tatsächlich standen die Regierungen aufgrund von Wählerumfragen, die eine starke Unterstützung für die AfD bei den anstehenden Wahlen zeigten, unter erheblichem Druck.
„In der Folge wurden großzügige Strukturmittel für die betroffenen Regionen ausgehandelt. Diese hatten allerdings kaum Auswirkungen auf die nachfolgenden Wahlergebnisse, denn sowohl bei den Kommunal- und Europawahlen 2019 als auch bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die AfD in den betroffenen Regionen sehr gute Ergebnisse“, erläutert Tobias Haas. Wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa leugnet die AfD den anthropogenen Klimawandel und spricht sich gegen den Kohleausstieg aus.
Korporatismus in der Krise
Vor dem Hintergrund der ehrgeizigen, aber oft vagen energiepolitischen Agenda der Ampelkoalition ziehen die Autoren zwei Schlussfolgerungen, die die politische Möglichkeit eines postfossilen Übergangs in Deutschland betreffen. Zum einen sehen sie die Lage des deutschen Korporatismus kritisch, der traditionell auf die Interessenvermittlung zwischen Politik und Interessengruppen ausgerichtet ist.
Besonders geht es darum, einen Ausgleich von wirtschaftlichen Interessen (Akkumulation von Kapital), breiter Akzeptanz politischer Entscheidungen (Legitimation) und Nachhaltigkeit zu finden. Das wird jedoch zunehmend schwierig und kann nur gelingen, wenn die Politik Spannungen wie die wachsende Ungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen industrieller Peripherie und urbanen Zentren lindert.
Zum anderen sollten Nachhaltigkeitsfragen eine höhere Priorität einnehmen. In Deutschlands stark exportorientiertem Modell wurde die Energiewende so gestaltet, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht gefährdet, sondern durch die Entwicklung deutscher Erneuerbare-Energien-Technologien sogar zur Erneuerung des Exportmodells beiträgt. Wenn Wirtschaftsinteressen aber zu stark dominieren, werden soziale und ökologische Anliegen weiterhin das Nachsehen haben.