„Gebäude und versiegelte Flächen gehören auf den Prüfstand

Professorin Wiltrud Terlau, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg

Für Mitte Juli rechnen Meteorologen mit einer außergewöhnlichen Hitze in Deutschland. Die Extremtemperaturen bedeuten eine enorme Belastung für Mensch und Natur. Vor allem ältere und kranke Menschen sind gefährdet, zumal in den aufgeheizten Städten. Professorin Wiltrud Terlau von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) beschäftigt sich in ihrer Forschung damit, wie Städte resilienter gegen Extremwetterereignisse gemacht werden können. Bürger und Bürgerinnen müssen informiert und in die Vorsorge einbezogen werden, sagt die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung an der H-BRS. Wiltrud Terlau ist Professorin für Volkwirtschaftslehre, Resiliente und Nachhaltige Entwicklung und geschäftsführende (Gründungs-)Direktorin des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sie lehrt, forscht und führt Projekte durch in den Bereichen Green Economy sowie nachhaltige und resiliente Städte in Verbindung mit Biodiversität und Klimaanpassung.


Laut den Vorhersagen stehen uns Tage mit Temperaturen von weit mehr als 30 Grad bevor. Welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Wiltrud Terlau: Nach der Flutkatastrophe vor genau einem Jahr wird nun eine Hitzewelle erwartet. Seit den 1980er-Jahren ist die Anzahl der Tage mit „tropischen“‘ Temperaturen in Deutschland gestiegen. Durchschnittlich zehn heiße Tage sind in den vergangenen beiden Jahrzehnten jährlich zu verzeichnen. Dies zeigt zusammen mit geringen Niederschlägen Auswirkungen auf unsere Böden, Pflanzen, Tiere, Flüsse und Seen. Und natürlich auf den Menschen: angefangen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Verlust von Menschenleben. Hinzu kommen ökonomische Folgen, wie mögliche Ernteverluste und beschränkte Schifffahrtstransporte, um nur einige zu nennen.

Sind unsere Städte auf solche extremen Hitzeperioden gut vorbereitet?

Die Ahrtal-Katastrophe vergangenen Sommer Jahr hat Städte und Gemeinden aufgeweckt. Ein Extremwetterereignis dieses Ausmaßes hat allen deutlich vor Augen geführt, dass eine sehr gute Vorbereitung auf solche möglichen Fälle dringend geboten ist. Dies betrifft auch extreme Hitzeperioden. Die Stadtplanung, die auf Jahrzehnte ausgerichtet ist, kann jetzt handeln. Aber die Straßen und Bauten der Vergangenheit sind gebaut und haben die Städte versiegelt. Folge ist, dass sie sich wie ein Backofen weiter aufheizen und die Hitzewelle verstärken. Die Ausprägungen sind natürlich von Stadt zu Stadt unterschiedlich.

Was können Städte kurzfristig und auf längere Sicht tun, um sich gegen Hitze zu wappnen?

Der Erhalt und die Schaffung natürlicher Flächen in der Stadt, wie Grünflächen, Bäume und Gewässer, können extreme Hitzeperioden mildern. Sie spenden beispielsweise Schatten, speichern Wasser und senken die Temperaturen. Längerfristig wird die Stadtplanung dies direkt in ihren neuen Projekten berücksichtigen müssen. Aber nicht nur. Auch bereits realisierte Gebäude und versiegelte Flächen gehören auf den Prüfstand. Zu nennen sind Fassadenbegrünungen, das Pflanzen von Bäumen bis hin zu hellen, weißen Farben für Gebäude und Wasserspendern auf öffentlichen Plätzen. Insgesamt sind mehr solcher innovativen Ansätze gefordert.

Wenn wir davon ausgehen, dass Extremwetterereignisse häufiger vorkommen werden: Wie sollten unserer Städte in 20 oder 30 Jahren aussehen und welche Vorkehrungen müssen getroffen werden?

Die Extremwetterereignisse sind in ihrer Form und Ausprägung natürlich sehr unterschiedlich. Neben Hitzeperioden und Trockenheit müssen wir verstärkt mit Starkregen, Hochwasser und Stürmen rechnen. Die Städte und Gemeinden werden sich darauf einstellen müssen. In die Städte und ihr Umland muss wieder vermehrt das Grün einziehen, die starke Versiegelung muss zurückgedrängt und Platz für die natürlichen Verläufe der Fließgewässer geschaffen werden. Das wird jedoch nicht ausreichen. Es wird auch einer Vorsorge in Beton und Stahl, wie Dämmen und Regenauffangflächen, bedürfen. Notwendig sind zudem effiziente Frühwarnsysteme. Personal- und Sachkapazitäten sind ebenso erforderlich wie das Training und die Vernetzung der relevanten Akteure. Bürger und Bürgerinnen müssen informiert und einbezogen werden. Zielkonflikte, wie zwischen Wohnungsbau und Grünflächen, sind klar programmiert. Die Städte stehen vor großen Herausforderungen. Die enorme Solidarität und Hilfsbereitschaft nach der Flutkatastrophe im Ahrtal und Umgebung zeigen aber auch, dass sie damit nicht alleine stehen.

In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich damit wie, Städte resilienter, also widerstandsfähiger gemacht werden können. Was genau ist Gegenstand Ihrer Forschung, und was kann die H-BRS beitragen?

In meiner Forschung nehme ich die sozial-ökologische Perspektive ein. Das heißt, in diesem Falle stehen im Fokus die Wechselwirkungen zwischen Mensch, Umwelt und Stadt. Der Klimawandel schafft einen immensen Druck auf dieses System. Die Fragen sind: Welche Barrieren und Herausforderungen stehen Stadtverwaltung, Politik, Unternehmen, Organisationen sowie Bürger und Bürgerinnen gegenüber? Welche Lösungsansätze gibt es und sind möglich, um beispielsweise naturbasierte Ansätze umzusetzen, die gleichzeitig Menschen, Tieren, Pflanzen und Umwelt zu Gute kommen? Wie lassen sich alle Betroffenen in diese Prozesse einbeziehen, um gemeinsam eine Veränderung hin zu einer resilienten und nachhaltigen Entwicklung zu erreichen? Die H-BRS kann mit ihren Fachbereichen und Forschungsinstituten zu diesen vielfältigen Fragestellungen von ökologischer, ökonomischer, sozialer und technologischer Seite in ihren zentralen Aufgaben der Lehre, Forschung und Transfer beitragen.


Das Interview Martin Schulz von der HS Bonn-Rhein- Sieg geführt