Beitrag zur Energiewende: Wasserstoff-Herstellung günstiger machen

Prof. Dr. Michael Sommer, Inhaber der Professur Polymerchemie an der Technischen Universität Chemnitz, sowie seine Kolleginnen und Kollegen am Institut für Chemie haben sich in den vergangenen Jahren personell neu aufgestellt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen unter anderem Materialien für elektrokatalytische Verfahren zur Herstellung nachhaltiger Energieträger. Dazu gehört beispielsweise die alkalische Membranelektrolyse als potentielle Zukunfts-Technologie, die die Herstellung grünen Wasserstoffs deutlich vereinfachen und billiger machen kann. Im Interview spricht Michael Sommer über seine Forschung und welchen Beitrag sie zur Energiewende im Kontext des Klimawandels leisten soll. Polymerchemiker Prof. Dr. Michael Sommer im Interview über die Folgen des Klimawandels und welchen Beitrag das Institut für Chemie der TU Chemnitz zur Energiewende leistet:


Herr Prof. Sommer, Deutschland und die Welt stehen vor enormen Herausforderungen beim Übergang von fossilen zu nachhaltigen Energieträgern wie grünen Wasserstoff. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

Am wichtigsten ist zunächst das schnellstmögliche Erreichen des Ziels der klimaneutralen Stromproduktion mittels Photovoltaik und Windkraftkraftanlagen, um die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren und natürlich auch um von Kohle, Öl und Gas unabhängig zu werden. Hier hinkt Deutschland aktuell seinen selbst gesteckten Zielen hinterher, denn der Deutsche Bundestag hat sich durch die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, das Expertinnen und Experten wie zum Beispiel Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdamer-Institut für Klimafolgenforschung für nicht mehr realistisch halten.

Das 1,5-Grad-Ziel ist nach aktuellem Stand nicht mehr haltbar. Die Folgen sind allerdings jetzt schon gravierend und werden künftige Generationen in vielen Bereichen treffen. Mein Eindruck ist auch, dass vielen Menschen die Folgen der Klimakrise in ihrer ganzen Reichweite noch nicht bewusst sind. Das Problem dabei ist auch der Zeitversatz: Was wir aktuell an Dürreperioden, Hitzewellen, Waldbränden, Überschwemmungen und anderen dramatischen Folgen sehen, entspricht etwas mehr als 1 Grad Erwärmung. Wenn wir jetzt auf 3 Grad und mehr zusteuern, werden wir erst in vielen Jahren sehen, wie sich unser jetziges Handeln auswirkt. Dann wird man sich vermutlich wünschen, jetzt anders gehandelt zu haben. Dies muss man sich bei der Diskussion aller aktuell möglichen Maßnahmen vor Augen halten. Die gute Nachricht ist: Sonne und Wind sind kostenlos verfügbar, Photovoltaik und Windkraftanlagen sind lange erprobt. Sie müssen aber schnellstmöglich ausgebaut werden.

Woran hapert es beim flächendeckenden Einsatz?

Wir haben hier ein Umsetzungsproblem, das lange Zeit durch fehlenden politischen Willen, gesetzliche Vorgaben und Formalismen ausgebremst wurde. Dadurch bleiben große CO2-Einsparpotentiale leider ungenutzt. Hier muss schneller deutlich mehr passieren. Was darüber hinaus für beispielsweise die Energiespeicherung, den Transportsektor oder auch die Industrie notwendig ist, muss mit klimaneutral produzierten Energieträgern wie Methanol oder Wasserstoff bedient werden. Diese Technologien müssen allerdings noch weiter skaliert, optimiert und vor allem kostengünstiger werden – daran arbeiten wir. Es gibt aber auch weitere chemische Verbindungen, die als Brennstoffe diskutiert werden.

Zum Beispiel E-Fuels?

Ja, E-Fuels sind Kraftstoffe, die wie Benzin oder Diesel an der Zapfsäule getankt werden können. Aus synthetischer Perspektive gibt es mehrere Möglichkeiten für deren Herstellung, die unterschiedlich weit fortgeschritten sind. E-Fuels können aus Wasser und CO2 hergestellt werden, oder aus nachwachsenden Rohstoffen. Damit sind sie im besten Fall CO2-neutral oder stehen im schlechtesten in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.

Können E-Fuels einen Unterschied bei der Mobilitätswende machen?

Die erste Variante, also die Herstellung aus Wasser und CO2, klingt erstmal attraktiv, weist allerdings eine sehr schlechte Energiebilanz auf und macht E-Fuels sehr teuer. Entscheidend für die Bilanz ist zum Beispiel, woher der Strom für die Produktion kommt. Damit sind sie für den Schiff- und Luftverkehr interessant, machen aber für den Automobilverkehr keinen Sinn. Es wird sogar befürchtet, dass sich mit dem vermehrten Einsatz von E-Fuels der Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen verzögert. Daher scheint mir die öffentliche Diskussion um E-Fuels eher eine Scheindebatte zu sein die suggeriert, wir könnten so weiter machen wie bisher. Damit wird von den offensichtlichen Lösungen und verpassten Möglichkeiten abgelenkt. Wir brauchen aktuell weniger Technologie-Offenheit, sondern den sofortigen Ausbau von Photovoltaik, Windkraft und Elektromobilität.

Wenn Sie für weniger Technologie-Offenheit plädieren, meinen Sie damit auch den Einsatz von Anlagen, die CO2 aus der Atmosphäre filtern und einlagern können?

Der Gedanke an negative CO2-Emissionen durch das Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Atmosphäre oder noch besser aus zum Beispiel Produktionsanlagen, wo es konzentriert entsteht, ist interessant. Man bezeichnet das als Direct Air Capture. Ein weiteres Verfahren ist das Verpressen von CO2 unter Druck in Gesteinsschichten, welches von Unsicherheiten geprägt ist. Der wichtige Unterschied von Direct Air Capture ist, dass CO2 gebunden wird und anderen Prozessen zur Verfügung steht, also in einen Kreislauf überführt werden kann. Da sich in Zukunft Emissionen langfristig nicht gänzlich vermeiden lassen, könnte dieses Verfahren dann einen Beitrag leisten. Kurzfristig können wir dadurch aber den CO2-Ausstoß keinesfalls so massiv reduzieren, wie es notwendig ist. Man muss hier auch genau hinsehen: Wieviel CO2 kann so abgefangen werden und welche Kosten entstehen dabei? Woher kommen die für solche Anlagen benötigten Materialien und vor allem der grüne Strom, der eine entscheidende Voraussetzung ist? Deutlich einfacher, günstiger und vor allem schneller ist die Vermeidung von CO2 -Emissionen durch eine klimaneutrale Stromproduktion und der Ersatz fossiler Brennstoffe durch Wasserstoff in den Bereichen, in denen nach wie vor chemische Energieträger benötigt werden. In Summe erscheint es sinnvoll, diese Technologie dann parat zu haben, wenn weitreichende Emissionssenkungen bereits erfolgt sind. Mit ‚weniger Technologie-Offenheit‘ ist daher nicht eine generelle Ablehnung der einen oder anderen Technologie gemeint, sondern weniger Scheindebatten, die uns von den dringlichsten und einfachsten Lösungen wegführen. Übrigens erledigen Pflanzen durch Photosynthese CO2-Speicherung für uns ganz automatisch. Wir sollten bei dieser Debatte daher die auch Gesundheit unserer Wälder, um die es auch nicht besonders gut bestellt ist, nicht vergessen.

Gibt es nach Ihrer Einschätzung weitere Energieträger oder Lösungen gegen den Klimawandel, die vielleicht in der bisherigen Diskussion zu kurz kommen?

Ich finde, wir sprechen zu oft über Dinge, die uns ablenken. Ich kann nur empfehlen, den Sachstandbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen zu lesen und sich Gedanken zu machen, was auf uns und vor allem auf zukünftige Generationen zukommen wird. Dies hat nichts mit Panikmache zu tun, sondern mit dem Bewusstmachen von Tatsachen. Wer die Auswirkungen und vor allem die Dringlichkeit dieses Berichts verstanden hat, wird die universelle Verantwortung jedes Einzelnen zu handeln erkennen. Dies kann auf ganz verschiedenen Ebenen geschehen – jeder eben nach seinen Möglichkeiten. Neben der politischen Ebene ist für mich der erste Schritt eine Intensivierung der Diskussion in der Breite der gesamten Bevölkerung – faktenbasiert und frei von Desinformation.

Sie sind Polymerchemiker. Wie kann Ihr Fachgebiet konkret dazu beitragen, die Energiewende zu gestalten?

Ich möchte dazu beitragen, die Herstellungskosten von Wasserstoff deutlich zu senken und damit helfen, Wasserstoff als Energieträger schneller zu etablieren. Eine vielversprechende Lösung ist die alkalische Membranelektrolyse, die im letzten Jahrzehnt ganz erstaunliche Fortschritte gemacht hat. Bei der alkalischen Membranelektrolyse können im Vergleich zu etablierten Verfahren wie der alkalischen Elektrolyse oder der sauren Membranelektrolyse höhere Stromdichten und gleichzeitig edelmetallfreie Katalysatoren eingesetzt werden.

Was bedeutet dieses Verfahren konkret für die Wasserstoff-Nutzung im Alltag?

Die alkalische Membranelektrolyse hat in Kombination mit den etablierten Verfahren das Potential, die Kosten für die Wasserstofferzeugung deutlich zu senken und damit breiter verfügbar zu machen. Zum Beispiel für die Industrie oder den Transportsektor, wo Elektroantriebe weniger gut geeignet sind. Aus wissenschaftlicher Perspektive werden zum Beispiel maßgeschneiderte Membranmaterialien benötigt, die sehr gute Langzeitstabilitäten im alkalischen Bereich zeigen und gleichzeitig eine Liste weiterer Eigenschaften erfüllen. Das ist herausfordernd und spannend zugleich und mich freut besonders, dass man junge Menschen für diese Thematik begeistern kann.

Spielt die Forschung an nachhaltigen Energieträgern auch über Ihren Fachbereich hinaus am Institut für Chemie der TU Chemnitz eine Rolle?

Selbstverständlich! Viele Professuren stehen mit dieser Thematik im Zusammenhang. Was das Institut für Chemie betrifft, haben wir das Kollegium durch strategische Neubesetzungen in jüngster Zeit erfolgreich für die Zukunft aufstellen können. Bei uns werden gerade die Themen, die für die Energiewende relevant sind – also Themen rund um Wasserstoff und andere Energieträger, aber auch Katalyse und grüne Chemie – intensiv beforscht. Gleichzeitig garantieren wir unseren Studierenden der Chemie eine hervorragende Ausbildung. Energiewende gestalten bedeutet eben auch, jungen Menschen den Beitrag der Chemie an dieser Stelle zu verdeutlichen. Ich kann daher allen jungen Menschen, die Chemie und Naturwissenschaften zugeneigt sind, nur wärmstens ein Chemie-Studium an der TU Chemnitz ans Herz legen. Wir bieten exzellente Studienbedingungen sowie Betreuungsverhältnisse und es stehen bereits im Vorfeld Möglichkeiten zur Verfügung, sich zu informieren.

Das Interview führte Matthias Fejes