Unternehmerische Verantwortung in der Pandemie

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Prof. Dr. Alexander Ehlers berät die Akteure des Gesundheitswesens vollumfänglich in allen rechtlichen und strategischen Fragestellungen, insbesondere nationale und internationale Pharmaunternehmen und Medizinproduktehersteller. Die Beratung umfasst alle gesundheitspolitischen und sozialrechtlichen Fragestellungen sowie Fragen zur Kostenerstattung von medizinischen Leistungen und Arzneimitteln/Medizinprodukten. Zudem berät Alexander Ehlers Unternehmen in regulatorischen Angelegenheiten. Ferner umfasst sein Tätigkeitsgebiet die Beratung von medizinischen Leistungserbringern im ambulanten und stationären Bereich (Träger des Deutschen Arztrechtpreises 2002). Aufgrund seiner nunmehr langjährigen Tätigkeit im Deutschen Gesundheitswesen verfügt Alexander Ehlers über herausragende Kontakte zu relevanten Entscheidungsträgern, welches von Mandanten regelmäßig im Rahmen von Public Policy Advisory genutzt wird. Alexander Ehlers ist häufig Referent auf Fachkongressen und Autor zahlreicher Veröffentlichungen.


Herr Prof. Ehlers, der, auch nicht wirklich coronafreie, Sommer neigt sich dem Ende zu und Herbst und Winter werden die Infektionszahlen wieder steigen lassen. Von entsprechender Vorbereitung in der Öffentlichkeit oder in der Politik ist aber nicht wirklich viel wahrnehmbar und die Unternehmen können alsbald in Situationen kommen, mit denen sie nicht einfach umgehen werden können.

Wir sehen eine Situation, die uns wirklich unbefriedigt lässt. Wir sehen eine Informations-Asymmetrie in der Bundesrepublik, bei Meinungen des Ministers in Talkshows, des Sachverständigenrates oder der ständigen Impfkommission. Was soll der Bürger eigentlich tun, wenn diese Informationen diametral auseinander gehen? Darüber hinaus, und ich habe sehr frühzeitig davor gewarnt, verschlafen wir derzeit den Sommer und wundern uns dann, wenn wir plötzlich vor einer nächsten Welle stehen bei der, möglicherweise, eingreifende Maßnahmen notwendig sind. Und es ist richtig, dass die Unternehmer und Unternehmerinnen, der Mittelstand, hier in gewisser Weise alleingelassen werden, obwohl sie die Verantwortung aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tragen.

Was ist die derzeitige Rechtslage?

Wir haben im Mai das Ende der pandemiebezogenen Arbeitsschutzverordnung und Arbeitsschutzregel gehabt. Zwar liegt derzeit der Referentenentwurf für eine neue SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung vor, die mit 01. Oktober in Kraft treten soll. Auch eine neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel wird es geben. Bis dahin gelten allerdings noch die allgemeinen rechtlichen Regelungen. Das ist zum einem der Paragraph 5 des Arbeitsschutzgesetzes und natürlich auch Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Hier heißt es, dass der Arbeitgeber letztendlich analysieren und feststellen muss, welche Gefährdungen sich im Arbeitsalltag des jeweiligen Arbeitnehmers ergeben und welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Mitarbeiter abzusichern. Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht dies ähnlich. Dort heißt es, der jeweilige Arbeitgeber muss schauen, welche Gefahren für Leib und Leben des Arbeitnehmers bestehen. Dies ergibt sich auch aus der Fürsorgepflicht und aus den jeweiligen Arbeitsverträgen. Von daher steht der Arbeitgeber jetzt vor einer Situation, in der er feststellen muss, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um bei einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen Gefährdungen des Arbeitnehmers zu vermeiden.

In was für eine Situation geraten die Arbeitgeber hier?

Dazu muss man sagen, dass die Gefährdungsbeurteilung die sich aus einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 ergibt, sich nicht grundsätzlich von anderen Gefährdungsbeurteilungen unterscheidet, denn der Arbeitgeber hat grundsätzlich die Pflicht, in seinem Betrieb zu analysieren, wie er einen Arbeitsplatz so gestalten kann, dass grundsätzlich keine Gefahr davon ausgeht, wobei technische Maßnahmen Vorrang haben und wenn diese, aufgrund der spezifischen Gefahrenlage, nicht ausreichend sind, dann greifen organisatorische oder personenbezogene Maßnahmen. Jetzt haben wir hier eine Situation, die sich in gewisser Weise unterscheidet.

Was zeichnet diese Situation aus?

Wir haben es bei SARS-CoV-2 mit einer Tröpfcheninfektion zu tun, von einer Person zur anderen, mit einer Infektion über den Respirationstrakt. Nun gilt es, diese spezifischen Gefährdungsumstände in die Beurteilung der Situation mit einfließen zu lassen. Kompliziert wir es nun dadurch, dass wir auch Personen haben, die entweder asymptomatisch sind, bei denen ich es also gar nicht erkennen kann, ob sie infiziert sind, oder um solche die präsymptomatisch sind, also Personen, die erkrankt sind, bei denen die Krankheit aber noch nicht vollständig durchgebrochen ist. Die Frage für den Arbeitgeber ist: Welche Risiken ergeben sich durch den Kontakt zu anderen betriebsinternen Personen? Menschen, die ohne Atemschutz arbeiten, in engen Räumen tätig sind? Wie stellt sich die Situation in der Kantine dar oder in den Fluren des Unternehmens? Ist im Betrieb für eine ausreichende Belüftung gesorgt? Was ist mit betriebsfremden Personen? Der Arbeitgeber muss also konkret bewerten, ob entsprechende Risiken im Unternehmen vorliegen und er muss dann analysieren, welche Maßnahmen er ergreifen muss, als derjenige, der nach den jetzt geltenden Regelungen, verantwortlich ist, um die Risiken zu weit wie möglich zu reduzieren.

Das können sicher auch ganz praktische und handhabbare Regelungen sein?

Und dann stellen sich in der Tat ganz praktische Fragen, wie: Muss ich eine Maskenpflicht im Unternehmen anordnen? Habe ich hinreichend Schutzkleidung und Desinfektionsmöglichkeiten? Muss ich Weisungen erteilen, wie die Räume belüftet werden und in welchem Abstand die Arbeitsplätze angeordnet sein müssen? Habe ich die notwendige Stückzahl an Coronatests? Auch organisatorische Fragen sind wichtig, etwa wie kann ich die Zahl der Kontakte zwischen den Mitarbeiter verringern? Diese interne Entzerrung ist wichtig und da habe ich als Arbeitgeber Handlungsmöglichkeiten, etwa durch die Einteilung der Schichten oder dadurch, Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Auch die Frage, wie man mit Betriebsfremden umgeht, muss bedacht werden. Lasse ich diese beispielsweise erst nach einer Testung ins Gebäude?

Sollten die Unternehmer dies alles im Alleingang machen?

Nein, es ist wichtig frühzeitig mit den Arbeitnehmern oder der Arbeitnehmervertretung zu sprechen und natürlich auch mit dem betriebsärztlichen Dienst, soweit vorhanden, oder mit einem Betriebsarzt, der hier extern unterstützt. Ich empfehle hier, wirklich ein Steuerungsteam einzurichten. Mit diesem Team würde ich beispielsweise eine Begehung der Betriebsstätte machen, um gemeinsam die potentiellen Risikozonen zu suchen und gemeinschaftlich eine Sensibilität für diese Risikobereiche zu entwickeln.

Endet die Verantwortung des Unternehmers am Werkstor?

Nein, und das ist mir sehr wichtig und ich möchte das ausdrücklich betonen. Nehmen wir an , ich schicke viele Mitarbeiter ins Homeoffice, dann kann es sein, dass es dort eine Überlastung der Mitarbeiter durch eine zu große Distanz zu Arbeitsstätte, durch mangelnden Kontakt zu den Kollegen, den ich aber brauche, um meine Arbeiten zu erledigen, gibt. Oder es gibt im Homeoffice nicht die passenden Einrichtungsgegenstände, etwa ein vernünftiger ergonomischer Schreibtisch, an dem gearbeitet werden kann, mit allen denkbaren Folgen. Und in vielen Fällen ergibt sich ja auch eine schwierige und stressreiche häusliche Situation mit der Familie, die auch folgenreich sein kann. Alle dies muss ich als Arbeitgeber mitbedenken.

Gilt, was für das Homeoffice/Familienproblem zutrifft, auch in seinen Auswirkungen, auf die gesamte Gesellschaft?

Das ist ein wichtiger Punkt. Bei unseren Vorbereitungen auf die nächste Welle der Pandemie müssen wir immer im Auge haben, welche Auswirkungen haben die Maßnahmen gesamtgesellschaftlich. Was bedeutet es beispielsweise, wenn wir Schulschließungen beschließen? 16:34 Welche Auswirkungen könnten nochmalige Lockdowns für die Gesellschaft, für die Wirtschaft haben? Es ist wirklich ein wichtiger Abwägungsprozess.

Was sind die Leitlinien in der Unternehmenspraxis?

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass der Arbeitgeber drei Bereiche betrachten muss: Ich benötige eine pandemiebezogene Analyse des Unternehmens. Ich muss einen Maßnahmenkatalog entwickeln und ich muss schauen, welche Indikatoren ich als Unternehmer heranziehen muss. Und bei den Indikationen wird es dann schnell sehr konkret, etwa bei der Frage nach dem Impf- und Teststatus der Mitarbeiter. Dies ist wichtig für die zu ergreifenden Maßnahmen. Habe ich beispielsweise Mitarbeiter, die sich nicht impfen lassen dürfen, weil sie beispielsweise eine Krebserkrankung durchgemacht haben, aber jetzt wieder am Arbeitsplatz sind. Oder Mitarbeiter, die nach einer Transplantation ein schwächeres Immunsystem haben. Wie gehe ich damit um? Dabei ist auch die Frage der möglichen Testverpflichtungen, die ich für mein Unternehmen einführe, sehr wichtig.

Test sind sicher entscheidend, aber juristisch doch nicht unkompliziert?

Grundsätzlich war die Frage der Testpflicht durch die Arbeitgeber bei den Juristen lange strittig. Hier hat allerdings das Bundesarbeitsgericht, in einem Urteil vom 1ten Juni 2022, inzwischen entschieden, dass grundsätzlich der Arbeitgeber im Rahmen seiner Ermessensentscheidung und im Rahmen seiner Fürsorgepflicht für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Unternehmen Testungen, sogar PCR-Testungen, anordnen kann.

Welche Folgen könnte eine Weigerung haben?

Mit der Folge, dass er den Zugang zum Unternehmen verweigern kann, wenn der Testverpflichtung nicht nachgekommen wird. Der Arbeitgeber muss aber abwägen und sich sehr genau überlegen, mit welcher Begründung er eine solche Testpflicht einführt, denn bei allen Maßnahmen sollte stets das mildeste mögliche Mittel ergriffen werden, weil es sich ja doch um Eingriffe in vorhandene Rechte handelt. Also zusammenfassend: Was ist das mildeste Mittel, um das Risiko für die Arbeitnehmer zu reduzieren?

Das Unternehmen ist ja keine Insel. Was muss ich als Unternehmer über die sogenannten externen Faktoren wissen?

Als Unternehmer muss ich auch beispielsweise die Inzidenz in der Umgebung meines Betriebes berücksichtigen. Bin ich etwa in einem Hochinzidenzbereich muss ich andere Maßnahmen ergreifen, als in weniger belasteten Teilen Deutschlands.