Anlässlich einer Festveranstaltung zum 30-jährigen Gründungsjubiläum des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) am 21. September 2022 in Potsdam unter dem Motto „Aus der Vergangenheit lernen heißt Zukunft gewinnen“ richteten Rednerinnen und Redner den Blick in die Zukunft. Agrartechnik- und Bioökonomie-Forschung und damit verbundene Technologieentwicklungen seien entscheidende Treiber für den notwendigen Wandel im Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Potentiale, Möglichkeiten und Hemmnisse der Umsetzung in Landwirtschaft und Industrie müssten dabei künftig stärker berücksichtigt werden.
Im Beisein zahlreicher Gäste aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft resümierten Prof. Dr. Barbara Sturm, Wissenschaftliche Direktorin des ATB, und Dr. Uta Tietz, Administrative Direktorin, die in den letzten 30 Jahren erzielten Forschungsleistungen des Instituts. Sie dankten allen ehemaligen und aktiven Beschäftigten sowie den Partnern des Instituts für ihr Engagement und ihre Unterstützung seit der Neugründung 1992.
Steffen Weber, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Forschung im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, würdigte in seinem Grußwort die wissenschaftlichen Beiträge des Instituts auch im Hinblick auf den Transfer der Ergebnisse in die Praxis. Man könne stolz sein auf das bisher Erzielte und blicke gespannt auf neue Projekte wie den Leibniz-Innovationshof, der unter Koordination das ATB in den nächsten Jahren als ein Schaufenster der Bioökonomie entstehen wird.
Der per Video zugeschaltete Gründungsdirektor des ATB, Dr. Gerhard Wellschof, übermittelte dem ATB seine Glückwünsche sowie Thesen für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft, darunter den Appell: „Als Forschungsinstitut musst du laufen, um mindestens auf der Stelle zu bleiben, sonst fällst Du zurück.“ Wie Barbara Sturm erläuterte, folgt das Institut diesem Leitspruch seit der Gründung:
„Das ATB versteht sich nicht ohne Grund als ein Pionier und Treiber der Bioökonomie. Bioökonomische Themen wie die Nutzung von Reststoffen für die Kreislaufwirtschaft, sei es die Verwertung zu Biogas oder die Biokonversion zu biobasierten Chemikalien, standen und stehen seit vielen Jahren neben den klassischen Themen Pflanzenbau, Tierhaltung und Nutzung von Biomasse zur Herstellung von Lebensmitteln und biobasierter Materialien auf unserer Forschungsagenda. Hier wurden Fragestellungen der Bioökonomie auf Systemebene und der Präzisionslandwirtschaft erforscht und umgesetzt, als diese Begriffe noch gar nicht besetzt waren“, so Barbara Sturm.
In ihrem Vortrag „Wohin geht die Reise der agrartechnischen und bioökonomischen Forschung?“ zeichnete sie beispielhaft den Weg der technischen Entwicklungen im Pflanzenbau nach. Dem bisherigen Konzept einer Präzisionslandwirtschaft, die mit Hilfe sensorgestützter Technik natürliche Heterogenitäten, beispielsweise des Bodens, durch präzise Bewirtschaftungsmaßnahmen ausgleicht, stellte sie das Konzept einer umweltgesteuerten, hochgradig diversifizierten agroökologischen Produktion gegenüber.
„Der Verlust an Biodiversität ist derzeit eines unserer drängendsten Probleme weltweit. Der gemischte Anbau verschiedener Kulturen auf einer Fläche, also das Zusammenwirken verschiedenster Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen in sogenannten Inter- oder Mixed Croppingsystemen, birgt viele Vorteile, u. a. eine verbesserte Resilienz und höhere Gesamterträge. An Technik zur Bewirtschaftung dieser Systeme fehlt es bisher jedoch. Das agile Management solch diverser und komplexer Produktionssysteme setzt Wissen und Technologie voraus. Daran wollen wir arbeiten“, so Barbara Sturm. „Wir müssen Ökosysteme besser verstehen und von ihnen lernen, umweltgetriebene Managementziele integrieren und in unseren Technologieentwicklungen Rückkopplungsschleifen zum Ökosystem etablieren“, beschreibt Sturm künftige Forschungsaufgaben.
Landwirtschaft im Wandel – was braucht die Praxis, damit Wandel gelingen kann? Henrik Wendorff, Präsident des Landesbauernverbandes Brandenburg, umriss die aktuelle Situation der Betriebe, die sich mit der Umsetzung immer neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz und Tierwohl konfrontiert sehen. Damit seien erhebliche Herausforderungen verbunden, so Henrik Wendorff. Technische Innovationen könnten hier Unterstützung bieten. Die Aneignung neuer Techniken und Verfahren brauche jedoch Zeit und Fachpersonal, wobei auch die Landwirtschaft zunehmend unter Fachkräftemangel leide. Notwendig seien praktikable und kostengünstige technische Lösungen, die es den Betrieben ermöglichen, weiterhin auskömmlich zu wirtschaften. Henrik Wendorff beglückwünschte das Institut zum 30-jährigen Bestehen und ergänzte: „Ich freue mich darauf, die fruchtbare Zusammenarbeit im Bereich Technologieentwicklung zwischen dem ATB und der landwirtschaftlichen Praxis auch in Zukunft fortzuführen.“
Bioökonomie – Herausforderung oder Notwendigkeit?
Prof. Dr. Christine Lang, Co-Chair des International Advisory Council on Global Bioeconomy (IACGB) und ehemalige Vorsitzende des Bioökonomierats hob hervor, dass eine nachhaltige Bioökonomie auf eine effizientere Energie- und Rohstoffnutzung ausgerichtet sein müsse. Ein 1:1-Ersatz fossiler durch nachwachsende Rohstoffe auf unserem derzeitigen Nutzungsniveau sei nicht nachhaltig. Es gelte, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, biologische Abfälle und Reststoffe in Wert zu setzen und gänzlich neue, kreislauffähige Produkte und Lösungen zu entwickeln. Wissenschaft und Technologieentwicklung seien wichtige Treiber der Transformation zu Bioökonomie auf regionaler wie auf globaler Ebene.
Das ATB zeige mit seinen Forschungsarbeiten, beispielsweise in der biotechnologischen Produktion biobasierter Chemikalien aus organischen Reststoffen, wie solche Lösungen aussehen können. „Ohne ein gesellschaftliches Umdenken wird uns der Wandel aber nicht gelingen. Wir müssen unsere eigenen Konsumgewohnheiten reflektieren und den gewohnten linearen Nutzungspfad – vom Rohstoff zum Abfall – in nachhaltiges zirkuläres Handeln überführen. Es gilt, weniger zu verbrauchen, Dinge länger bzw. mehrfach zu nutzen bzw. zu recyceln. Um traditionellen wirtschaftlichen Anreizstrukturen etwas entgegenzusetzen, brauchen wir zudem mehr Kommunikation über bioökonomische Erfolgsmodelle in die Gesellschaft“, betonte Christine Lang.