Zunächst wirken die Ställe des Versuchs- und Bildungszentrums Landwirtschaft (VBZL) Haus Düsse wie andere Viehbetriebe in der Region. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich: Die Ställe der etwa 130 Kühe werden genutzt, um die angehenden Landwirte auszubilden und um fortschrittliche Technik praxisnah zu testen. Sprinkleranlagen, die nur dort Wasser abgeben, wo sich Kühe aufhalten, eine Kuh-Toilette aus den Niederlanden, eine multivariable Leuchte in orange und blau: Hier wird ausgebildet und praxisnah getestet, denn Haus Düsse ist Partner im Forschungsprojekt „iCurS“. Gemeinsam mit dem Institut ITES der Fachhochschule (FH) Bielefeld, ATS Elektronik GmbH und DeLaval International AB wird hier an einem intelligenten Licht- und Lüftungssystem gearbeitet. Ziel des Projekts ist, ein bedarfsorientiertes Stallklima für Mensch und Tier zu schaffen.
Fokus des Projekts iCurS: das Wohl der Tiere
„Das Besondere an iCurS: Der Fokus liegt ganz klar auf dem Wohl der Tiere. „Wir wollen ein besseres Stallklima schaffen, damit es den Tieren so gut wie möglich geht. Die Milchleistung der Tiere spielt dabei keine Rolle“, betont der stellvertretende Projektleiter Michael Bentler vom Forschungsinstitut ITES der FH Bielefeld. Damit kommt das Projekt auch einem gesellschaftlichen Wandel nach, der deutlich zu erkennen ist: Immer mehr Menschen achten beim Kauf von Milch- und Fleischprodukten auf eine artgerechte Haltung der Tiere, viele ernähren sich mittlerweile vegetarisch oder vegan.
Erster Schritt: Welche Daten sind relevant für ein gesundes Stallklima?
„Die Idee des Forschungsprojektes entstand im Laufe des vorherigen Projekts I_LED_Milchvieh‘“, weiß der wissenschaftliche Mitarbeiter Christoph Döpke. Dabei ging es um eine tiergerechte Beleuchtung in Milchviehställen. Dieser Ansatz wurde im Projekt iCurS aufgegriffen und weiterentwickelt. Zu Beginn des Projekts stand somit die Frage, welche Daten im Milchviehstall relevant sind für ein gesundes Stallklima. Es galt, diese Daten zunächst zu erfassen und in einem zweiten Schritt darauf zu reagieren.
Bisheriges Problem: Die unterschiedlichen Systeme sind nicht miteinander verknüpft
Aber welche Daten sind das genau? Neben Schadgaswerten wie Ammoniak oder Methan soll das intelligente Licht- und Lüftungssystem auch die Temperatur im Stall regulieren und Lichtanlagen steuern, indem die entsprechenden Sensoren die Umgebungsparameter aufnehmen. So kann das Stallklima vom Landwirt gesteuert werden. Bentler erklärt: „Mittlerweile gibt es viele technische Anlagen in Milchviehställen, wie zum Beispiel Kühlsysteme oder Melkroboter.
Das Problem ist jedoch häufig, dass die unterschiedlichen Systeme nicht miteinander kommunizieren. Wir wollen eine intelligente Systemeinheit schaffen, die auf verschiedene Situationen im Stall reagieren kann.“ So können mithilfe des entwickelten Systems beispielsweise Ventilatoren eingeschaltet werden, wenn ein Schadgaswert wie Ammoniak zu hoch ist, um die Gase aus dem Stall zu schaffen.
Gebündelt und übersichtlich: App soll Steuerung des Systems ermöglichen
Der Clou: Das Ganze soll perspektivisch mittels einer App funktionieren, die dem oder der Landwirtin die Umgebungsparameter aufzeigt. Mithilfe der App können dann auch die Ventilatoren, Sprinkler- und Sprühnebelanlagen zur Kühlung der Tiere im Sommer und die Gewebeplanen an den Traufseiten der Ställe, die sogenannten Curtains, gesteuert werden. Diese dienen zur Seitenlüftung und können, je nach Bedarf, ganz oder nur teilweise geöffnet werden, um die Temperatur im Stall zu senken.
Klassische Konditionierung: FH ist für Lichttechnik verantwortlich
Neben den klimatischen Bedingungen ist auch die Lichtsteuerung Teil des Projekts. Dafür verantwortlich sind Michael Bentler und Christoph Döpke, deren Expertise in der Lichttechnik und Mechatronik liegt. Derzeit läuft ein Versuch zur Konditionierung von Kälbern: Mittels einer multivariablen Leuchte, die sowohl blau als auch orange leuchten kann, sollen die Tiere zu einem Gang zum Futtertrog aufgefordert werden. Durch die wiederholte Verknüpfung von Licht und Futtergabe sollen die Tiere lernen, auf das Licht in der entsprechenden Farbe zu reagieren. Später könnte der Landwirt die Kühe so beispielsweise in zwei Gruppen aufteilen, wenn sie von der Weide geholt werden.
Motivation des FH-Teams: Bezug zu Tieren und Verbindung von Theorie und Praxis
Die beiden FH-Forscher haben neben ihrem fachlichen Interesse auch ein ganz persönliches für das Projekt. „Ich bin ländlich aufgewachsen und hatte dadurch immer einen starken Bezug zu Tieren“, erklärt Bentler. „Im Studium habe ich mich dann vor allem für Lichttechnik interessiert und hier meinen Schwerpunkt gelegt. Das Projekt verknüpft nun beide Interessen miteinander. Auch für die Lehre ist das Projekt sehr wertvoll – zum Beispiel konnte ein Student im Rahmen seiner Bachelorarbeit eine spezielle Leuchte für iCurS entwickeln, die multifunktional einsetzbar ist.“ Auch Döpke lobt den Ansatz des Projekts: „Mich motiviert vor allem, dass das Forschungsprojekt dazu beiträgt, das Wohl der Tiere zu verbessern. Außerdem können wir im Projekt Theorie und Praxis miteinander verbinden.“
Aktuell befindet sich das Projektteam in den letzten Zügen der Entwicklungsphase. Viele Prototypen wie die Bluetooth-Boxen, die intelligente Leuchte, die Ventilatoren und die Curtain-Steuerung sind auf Haus Düsse bereits im Einsatz. Der nächste Schritt: Die Verknüpfung der einzelnen Systeme und die Zusammenführung in der App.