Citizen-Science-Projekte etablieren sich mehr und mehr als wichtige Stütze für die Umweltforschung. Sie liefern Daten, öffnen die Wissenschaft für die Gesellschaft und geben Interessierten die Möglichkeit, sich für die Umwelt zu engagieren, um nur einige Vorzüge zu nennen. Allerdings gibt es auch Vorbehalte, etwa in punkto Datenqualität. Ein Forscher-Team unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig hat anhand der Zustandsbewertung von Kleingewässern festgestellt, dass Citizen-Science-Daten für die weitere Verwendung in Wissenschaft und Verwaltung durchaus geeignet sind.
Die Forscher untersuchten Daten, die rund 300 Freiwillige an 28 Bächen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen im Citizen-Science-Projekt FLOW im vergangenen Jahr erhoben hatten. Ziel von FLOW ist, Aussagen zum ökologischen Zustand von kleineren Fließgewässern in der Agrarlandschaft treffen zu können. Die Freiwilligen bewerteten dafür die Gewässermorphologie, erhoben physikalisch-chemische Parameter und analysierten die Gemeinschaft der wirbellosen Tiere (Makrozoobenthos), anhand derer Aussagen zum ökologischen Zustand eines Bachs möglich sind.
Mitarbeiter des UFZ und des Projektpartners Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatten die Bürger zuvor über ein halbtägiges Training mit den Methoden der Gewässerbewertung und der Bestimmung des Makrozoobenthos vertraut gemacht. Die Ergebnisse der Freiwilligen verglich das Forscher-Team um Julia von Gönner mit denen des von Prof. Matthias Liess geleiteten UFZ-Forschungsprojekts „Kleingewässermonitoring“, in dessen Rahmen 2021 unter anderem diese 28 Bäche von Wissenschaftlern beprobt worden waren.
In einem Beitrag für das Fachjournal Science of the Total Environment verglichen die Forscher nun die Ergebnisse der beiden Gruppen. Dabei zeigt sich, dass sich die Bestimmungsqualität des Makrozoobenthos durch Freiwillige von der der Experten kaum unterscheidet, wenn man die Wirbellosen auf Ebene der Ordnung oder der Familie identifiziert. Dann liegt die Übereinstimmung bei den bestimmten Individuen bei rund 90 Prozent. Sollen für die Tierchen dagegen noch genauer die Gattung oder die Art bestimmt werden, nimmt die Fehlerrate bei den Freiwilligen zu.
„Einige Wirbellose sind nur wenige Millimeter groß, innerhalb einer Familie oder Gattung sind sich die Larven der Wasserinsekten optisch oft sehr ähnlich, und die Merkmale zur genaueren Bestimmung sind mit einfacher Ausstattung im Feld nur schwer erkennbar. Um korrekte Gattungs- und Artnamen nennen zu können, braucht es monatelange Erfahrung, viel Zeit zur Bestimmung sowie gute Mikroskope, was in einem Citizen-Science-Projekt in der Regel nicht umsetzbar ist“, sagt Julia von Gönner.
So hatten die Freiwilligen mit einer geländetauglichen Ausstattung gearbeitet, die neben einer Anleitung zur Bewertung der Gewässermerkmale und einer Bestimmungshilfe für das Makrozoobenthos ein Stereomikroskop mit lediglich 20-facher Vergrößerung umfasste. Am UFZ standen den Wissenschaftler:innen im Kleingewässermonitoring dagegen deutlich höher auflösende Mikroskope zur Verfügung, die die Artbestimmung erleichterten.
Dass sich die Wirbellosen aber nicht präziser bestimmen lassen, muss kein Nachteil sein, denn: Für das von Matthias Liess entwickelte Bioindikatorsystem SPEARpesticides, mit dem sich analog zu den fünf Qualitätsklassen der EU-Wasserrahmenrichtlinie die Belastung des Fließgewässers durch Pestizide einschätzen lässt, reicht die Bestimmung eines Individuums auf Ebene der Familie aus. Folglich fallen auch die Ergebnisse zum Bioindikator SPEARpesticides der Bürgern und der Wissenschaftlern recht ähnlich aus: 61 Prozent der Bäche stuften beide Gruppen in die gleiche Qualitätsklasse ein. Bei 32 Prozent unterschied sich die Einschätzung um eine Klasse, lediglich bei 6 Prozent um zwei Klassen.
Gute Ergebnisse erzielten die Freiwilligen auch bei der Hydromorphologie, also etwa bei der Einschätzung des Gewässerverlaufs, der Uferstruktur oder der Diversität des Gewässersubstrats. So lag die Übereinstimmung beider Gruppen, ob diese Strukturen gemäß den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie in einem guten ökologischen Zustand sind, bei 82 Prozent. Insgesamt bewerteten beide Gruppen 50 Prozent der Gewässer mit den gleichen Qualitätsklassen, bei den anderen 50 Prozent lag nur eine Klasse dazwischen. „Das ist ein gutes Ergebnis, denn die Komponenten der Gewässermorphologie realistisch zu bewerten ist eine anspruchsvolle Aufgabe“, sagt von Gönner. Diese Variabilität von einer Qualitätsklasse gibt es auch bei professionellen Kartierern.
Einzig bei der Messung der physikalisch-chemischen Parameter, also etwa des Sauerstoff-, Nitrit- und pH-Gehalts oder der Ionenleitfähigkeit, liegen größere Unterschiede zwischen den Ergebnissen vor. Ein Grund dafür: Während die UFZ-Wissenschaftler die Gewässerabschnitte fünf Mal pro Saison beprobten, konnten die Freiwilligen aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nur eine Messung vornehmen. „Eine Messung pro Saison und Bachabschnitt ist zu wenig, denn die chemische Zusammensetzung des Gewässers kann saisonal und tageszeitlich stark schwanken“, sagt Jonas Gröning, UFZ-Mitarbeiter im FLOW-Projekt. Um aussagekräftigere Ergebnisse zu bekommen, seien häufigere Messungen notwendig. Citizen-Science-Projekte, die den Gewässerzustand erforschen möchten, könnten dazu beispielsweise zwei bis drei Personen aus jeder Gruppe benennen, die sich ausschließlich mit den chemisch-physikalischen Messungen beschäftigen und dadurch mehr Daten pro Probestelle erheben könnten.
„Wir konnten nachweisen, dass die Freiwilligen sehr gute Daten zur Fließgewässerbewertung erheben, wenn sie davor geschult werden und ihre Einsätze gut koordiniert sind“, bilanziert Lilian Neuer vom BUND, die im Forschungsprojekt FLOW die Bürgerbeteiligung koordiniert. Die Ergebnisse könnten Datenlücken füllen, da die EU-Wasserrahmenrichtlinie auf größere Fließgewässer fokussiert und Kleingewässer mit einem Einzugsgebiet von weniger als zehn Quadratkilometern kaum berücksichtigt. Dabei machen diese laut Bundesamt für Naturschutz rund 65 Prozent der Gesamtlänge aller Fließgewässer in Deutschland aus.
„Unsere Vision ist, ein bundesweites Monitoringnetz mit Citizen-Science-Gruppen aufzubauen, und diese Daten den Umweltbehörden, Wissenschaftler:innen und anderen Interessierten zur Verfügung zu stellen“, sagt von Gönner. So könnte jeder und jede Einzelne dazu beitragen, den ökologischen Gewässerzustand zu verbessern. „Dieses Projekt zeigt sehr anschaulich, dass wir durch Citizen Science wichtige gesellschaftliche Herausforderungen und Umweltprobleme zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern erforschen können.“, sagt Prof. Aletta Bonn, FLOW -Studienleiterin und Departmentleiterin an UFZ und iDiv.