Multifaktoriellen Prozesse und ihre Wirkung auf Pflanzengemeinschaften

Foto: Mark van Kleunen

Die Anzahl gleichzeitig wirkender, sogenannter Global-Change-Faktoren hat einen negativen Effekt auf die Vielfalt von Pflanzengemeinschaften – unabhängig von der Art der Faktoren. Zu diesem und weiteren Ergebnissen kommen Ökologen der Universität Konstanz in ihrer aktuellen Studie: Die globale Erderwärmung als ein Teil des Klimawandels ist wohl eines der bekanntesten Risiken für das ökologische Gleichgewicht von Lebensgemeinschaften und die Artenvielfalt auf unserem Planeten.

Doch ökologische Lebensgemeinschaften sind weltweit vielen weiteren menschengemachten Faktoren, sogenannten Global-Change-Faktoren (GCF), ausgesetzt – und das in zunehmender Zahl und Intensität. Beispiele sind Phänomene wie Lichtverschmutzung, also die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliche Lichtquellen, oder die Ansammlung von Pflanzenschutzmitteln, wie Fungiziden, in der Umwelt.

„Wir haben ganz gute Vorstellungen davon, wie sich bestimmte einzelne Faktoren auf eine Lebensgemeinschaft auswirken können, und tatsächlich können ihre individuellen Wirkungen auf ein Ökosystem sehr unterschiedlich oder sogar gegensätzlich sein“, erklärt Benedikt Speißer, Erstautor der aktuellen Studie und Doktorand im Labor von Mark van Kleunen am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz. Was passiert, wenn ein Ökosystem mehreren dieser Faktoren gleichzeitig ausgesetzt ist, wurde bisher jedoch weniger gut erforscht, obwohl dies auf die meisten natürlichen Ökosysteme zutreffen dürfte.

Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen

Um diese Wissenslücke zu schließen, untersuchten die Konstanzer Ökologen um Mark van Kleunen, wie sich GCFs in Kombination auf die Zusammensetzung und Produktivität von Pflanzengemeinschaften auswirken und welche Rolle die schlichte Anzahl an Faktoren dabei spielt. Hierfür schufen sie künstliche Lebensgemeinschaften – sogenannte Mesokosmen – aus neun mitteleuropäischen Gräsern und Kräutern, die auch in der Natur koexistieren. Diese setzten sie anschließend unter kontrollierten Bedingungen für mehrere Wochen unterschiedlichen Anzahlen – 0, 1, 2, 4, oder 6 – von GCFs aus.

„Dabei haben wir uns in unseren Experimenten für GCFs entschieden, die tatsächlich oft gleichzeitig auf ein Ökosystem einwirken, die sich jedoch in ihrer jeweiligen chemischen und physikalischen Natur stark voneinander unterscheiden“, erklärt van Kleunen.

Zu den bereits eingangs erwähnten GCFs Klimaerwärmung, Lichtverschmutzung und Fungizid-Ansammlung kamen so noch Mikroplastik-Verschmutzung, Eutrophierung, also die Anreicherung von Nährstoffen in einem Ökosystem, und Bodenversalzung als weitere untersuchte Faktoren hinzu.

Quantität nicht Qualität

Die Forschenden fanden heraus, dass die Produktion von Biomasse in den Pflanzengemeinschaften mit steigender Anzahl an gleichzeitig einwirkenden GCFs ebenfalls stieg. „Je mehr GCFs, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne einflussreiche Faktoren beteiligt sind, wie etwa Eutrophierung. In diesen Fällen würde ich also aufgrund des Überangebots an Nährstoffen auch eine höhere Produktivität erwarten“, erläutert Speißer. Die Analysen der Forschenden zeigten jedoch, dass auch Wechselwirkungen zwischen anderen Faktoren zu dem Effekt beitragen können.

In Bezug auf die Diversität der Pflanzengemeinschaften fanden die Forschenden heraus, dass die Artenvielfalt in den Mesokosmen mit steigender Anzahl an gleichzeitig auf die Gemeinschaft einwirkenden GCFs abnimmt – und zwar unabhängig davon, um welche Faktoren es sich handelt. Mehr noch, alleine betrachtet hatte keiner der untersuchten GCFs einen negativen Effekt auf die Vielfalt innerhalb der Mesokosmen. „Das legt nahe, dass neue Effekte entstehen können, wenn mehrere GCFs gleichzeitig wirken, die nicht auf Basis der Effekte der Einzelfaktoren vorhergesagt werden können“, schließt van Kleunen und fährt fort: „In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl und Intensität von gleichzeitig wirkenden GCFs in Zukunft eher zunehmen wird, ist es daher wichtig, diese ‚multifaktoriellen Prozesse‘ besser zu untersuchen, um böse Überraschungen zu vermeiden.“