Bio-Gleiter sollen den Zustand von Ökosystemen, etwa im Waldboden, erfassen – und nach getaner Arbeit zu Staub zerfallen: Bio-Gleiter nach dem Vorbild der Java-Gurke, die ihre Samen meterweit durch die Luft segeln lässt. Empa-Forschende haben die nachhaltigen Flugsensoren aus Kartoffelstärke und Holzabfällen entwickelt.
Alexander von Humboldt, Charles Darwin und Ernest Shackleton machten sich auf zu jahrelangen, entbehrungsreichen Forschungsreisen, um spektakuläre, bislang unbekannte Eindrücke zu sammeln. Den Vorreitern der modernen Umweltbeobachtung sollen heute schnellere, zeitgemässe Datensammler folgen, die wichtige Öko-Parameter in Echtzeit und ohne Risiko aufzeichnen. Empa Forschende des «Sustainability Robotics» Labor in Dübendorf entwickeln daher kostengünstige, nachhaltige Sensoren und Fluggeräte, die energiesparend, engmaschig und autonom auch in unzugänglichen Gebieten Umweltdaten sammeln können, sogenannte Bio-Gleiter. Man nehme: Kartoffeln, etwas Holzabfall und eine Färberflechte.
Lackmustest im Wald
Wie Blätter im Herbst zu Boden taumeln, so segeln sie leise zum Waldboden: die Bio-Gleiter mit eingebauten Sensoren. Dabei ist das Label «Bio» gleich in zweifacher Hinsicht zutreffend für die schlanken Fluggeräte: Sie sind von der Biologie inspiriert, da sie den Flugsamen der Java-Gurke nachempfunden sind, und sie sind zudem biologisch abbaubar. Wenn eine Drohne die smarten Sensor-Samen freigesetzt hat, melden sie Daten zu Feuchtigkeit und Säuregrad am Boden bis sie schliesslich zerfallen und eins mit dem Waldboden werden.
Empa-Forscher Fabian Wiesemüller und das Team um Mirko Kovac vom «Sustainability Robotics» Labor wollen mit den Daten der smarten Samen den Zustand des Waldbodens und seinem biologischen und chemischen Gleichgewicht überwachen. Ein erster Sensor dient nun für die Messung des pH-Werts mit einem klassischen Lackmus-Test. Hierbei reagiert der aus Flechten gewonnene Farbstoff auf Säure mit einem Farbumschlag von Violett zu Rot. «Den Farbumschlag des Sensors am Waldboden registriert danach eine Drohne, die das Gebiet überfliegt», erläutert Wiesemüller.
Aufblühender Sensor
Damit der Sensor bis zu seinem Einsatz geschützt ist und nur im entscheidenden Moment Daten sammelt, ist er von einem Schutzfilm überzogen. Hierbei handelt es sich um eine trickreiche «Kontra-Kapuze», die den Sensor freigibt, sobald Regen fällt: In Arbeitspausen nimmt sie eine robuste Schutzhaltung ein. Sobald der Sensor seinen Einsatz beginnen soll, reagiert der Schutzfilm hingegen sehr empfindlich.
Liegt Regen in der Luft, öffnet er sich gleich einer Blüte. Gemeinsam mit dem Team von Gustav Nyström vom «Cellulose & Wood Materials» Labor der Empa entwickelten die Forschenden diesen Schutzmechanismus auf der Basis von nanofibrillierter Cellulose aus Holzresten, die mit Gelatine zu einem feinen, auf Luftfeuchte reagierenden Polymerfilm verarbeitet wurde. Haben sich die Regenwolken verzogen, schliesst sich die Polymerblüte nach rund 30 Minuten bis zum nächsten Einsatz. Damit sich die «Blüte» symmetrisch öffnet, ist der Polymerfilm zusätzlich mit einer hauchfeinen Schicht aus Schellack überzogen, einer natürlichen harzartigen Substanz, die von Pflanzenläusen ausgeschieden wird. Sie verhindert, dass sich das Polymermaterial bei Feuchtigkeit ungleichmässig ausdehnt.
Auf den Schwingen der Kartoffel
Als Transportvehikel dient dem Biosensor ein Gleiter, dessen Material aus herkömmlicher Kartoffelstärke besteht, vergleichbar mit Esspapier. So lässt sich der Gleiter einfach ausdrucken und in die Gestalt des Java-Gurken-Samens pressen. Das Fluggerät wiegt mitsamt Sensor lediglich 1.5 Gramm und hat eine Spannweite von 14 Zentimetern. «Das biologisch inspirierte Design soll den Gleiter zu einem möglichst langen Sinkflug befähigen», erklärt Robotik-Forscher Wiesemüller die Wahl der Gleiter-Geometrie.
In den Drohnenflugarenas der Empa in Dübendorf und des «Imperial College London» konnte Wiesemüller das Flugverhalten und die Stabilität der ersten Prototypen schliesslich optimieren. In der Flugarena schafft es der Bio-Gleiter, eine Gleitzahl von 6 zu erreichen. Dies entspricht einer horizontalen Distanz von 60 Metern, wenn der Gleiter aus 10 Metern Höhe startet.
Erreicht das ultraleichte Messgerät den Boden, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Während der Sensor bei jedem Regenguss den pH-Wert misst, macht sich die Natur an ihm zu schaffen. Nach sieben Tagen unter Laborbedingungen haben Bodenorganismen bereits die Schwingen zersetzt. Nach weiteren drei Wochen fällt der Sensor auseinander. So finden die natürlichen Bestandteile des Bio-Gleiters zurück in die Natur. Der Säure-Sensor stellt dabei auch nur einen ersten «Proof of Concept» dar, dem weitere Sensortypen folgen sollen, die etwa den Zustand von Bäumen, Gewässern und Böden in Echtzeit ermitteln, so Wiesemüller.
Staub zu Staub
Derzeit gehen die Forschenden noch einen Schritt weiter. Ihr Ziel ist es, die Auswirkungen des Klimawandels auf unterschiedliche Lebensräume mit komplett bioabbaubaren Sensor-Drohnen zu erfassen. Im Sinne einer «digitalen Ökologie» ermöglichen derartige Roboter genaue Vorhersagen zum Zustand der Umwelt und entsprechende Präventionsmassnahmen, um danach in der Natur in ihre Ausgangsmaterialien zu zerfallen. Bislang sind noch nicht alle Teile derartiger Umweltdrohnen in hochwertigen biologisch abbaubaren Ausführungen verfügbar. Die Empa-Forschenden arbeiten nun in interdisziplinären Teams an Flugdrohnen mit einem umweltfreundlichen Gerüst auf der Basis von hochporösen Cellulose- und Gelatinematerialien. Hier fliessen auch die Erkenntnisse aus dem Bio-Gleiter-Projekt ein.
Bioinspirierte Roboter
Sie sollen Gebäude reparieren und Umweltbelastungen in unzugänglichen Regionen messen – für diese Aufgaben sollen sich die künstlichen Helfer von der Natur inspirieren lassen. Noch müssen die biologisch inspirierten Flugobjekte viel von ihren Vorbildern lernen, um in einer komplexen Umwelt selbstständig agieren zu können. Schliesslich hatte die Natur hunderte Millionen Jahre Zeit, um die Eigenschaften von Lebewesen zu perfektionieren. Für den biologisch abbaubaren Sensor-Gleiter orientierten sich die Empa-Forschenden an der Java-Gurke, Alsomitra macrocarpa. Die asiatische Liane lässt ihre Samen mit transparenten Flügeln vom Wind verbreiten. Die smarten Sensor-Samen haben – wie das Original – eine Spannweite von 14 Zentimetern. Anstelle des Samen trägt der Bio-Gleiter einen Sensor für Umweltdaten.