Wenn Unsicherheit die Signatur der Gegenwart ist, bringt „mehr oder weniger“ ein Lebensgefühl allgemeiner Ungewissheit zum Ausdruck. Unvorhergesehene Ereignisse und schwer kontrollierbare Phänomene scheinen sich zu häufen: in der Klimakrise, während der Corona-Zeit und erst recht in der „Zeitenwende“ seit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Aber nicht nur in politischer und ökologischer Hinsicht werden Phänomene „mehr“: auch Informationen, Bilder und Literaturgenres werden durch die allgegenwärtige Metapher der „Flut“ repräsentiert. Gleichzeitig mehren sich Forderungen nach Degrowth und asketischen Lebensweisen. Dieser Pendelbewegung widmet sich die Forschenden am KWI zwei Semester lang.
Diagnosen einer kontinuierlichen Beschleunigung, des Niedergangs oder gar der Apokalypse sind nicht nur in öffentlichen Debatten und sozialen Medien virulent – sondern auch in der geisteswissenschaftlichen Forschung, die Gegenwart beobachtet.
Zugleich mehren sich die Forderungen, dass insgesamt weniger von allem da sein solle: Degrowth oder Nullwachstum empfehlen sich genauso wie tiny houses, Komprimierung und asketische (Selbst-)Praktiken. Sie wenden die Folgen des Überkonsums positiv, ohne die Idee des Konsums jedoch gänzlich aufzugeben: Formuliert wird lediglich ein Konsumregime unter anderen, unter für ethisch vertretbar befundenen Vorzeichen.
Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) widmet sich 2023/24 mit dem Jahresthema „Mehr oder Weniger“ dieser Pendelbewegung und fragt in vielfältigen Veranstaltungsformaten und Beiträgen auf dem KWI-Blog, was, wann und warum mehr oder weniger geworden ist oder werden wird und welche Konsequenzen damit verbunden sind.