Die Hochschule Heilbronn (HHN) hat direkt nach Beginn des Krieges in der Ukraine ihre Solidarität für die Menschen im angegriffenen Land gezeigt – schnell stand fest: Die HHN möchte ihre Partnerhochschulen in der Ukraine unterstützen. Mit einem Online-Deutschkurs für ukrainische Lehrende und Angebote für ukrainische Gaststudierende der Partnerhochschulen wurde die Hilfe im Frühjahr 2022 konkret: Es folgte eine erfolgreiche Antragstellung beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im Programm „Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern“. Neben Online-Lehraufträgen werden über das Projekt Stipendien an Studierende in der Ukraine vergeben, Online-Workshops organisiert und Lehrende bei der Weiterqualifizierung gefördert. Das Projekt wurde erstmals im Sommer 2022 bewilligt und hat mittlerweile bereits die zweite Förderung erhalten. Im Rahmen dieses Projekts – mit dem Namen „HHN-DITO II“ – Digitally und internationally together in difficult times – ist seit März 2023 die ukrainische Professorin Oleksandra Mandych an der HHN beschäftigt. In einem Gespräch mit uns berichtet sie mehr über ihre Tätigkeit, die Flucht und das Projekt HHN-DITO.
Liebe Frau Mandych, seit gut drei Monaten arbeiten Sie nun an der HHN. Könnten Sie uns kurz beschreiben, wie es Ihnen bei uns gefällt?
Ich freue mich sehr, dass ich die Möglichkeit habe, Teil des HHN-DITO II-Projekts an der HHN zu sein. Es ist für mich sehr wichtig, mich in einem universitären Umfeld zu befinden, mit Kolleginnen und Kollegen zu kommunizieren und weiter an bestehenden und neuen Projekten zu arbeiten. Dank der Mitarbeit an dem HHN-DITO II-Projekt habe ich neue Ideen für die Fortsetzung meiner Lehrtätigkeit und neue Erfahrungen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit gesammelt. Zudem hat das Thema E-Learning und die digitale Lehre nach der Corona-Pandemie, und vor allem auch aktuell während des Krieges in der Ukraine, an großer Bedeutung gewonnen.
Ihr Aufenthalt hier in Heilbronn ist leider durch den Krieg in Ihrem Heimatland begründet. Würden Sie uns erzählen, wie Sie nach Heilbronn gekommen sind?
Ja, in Heilbronn bin ich nun in Sicherheit. Es ist unmöglich, in Worte zu fassen, wie schrecklich das Leben im Krieg ist, welche schrecklichen Folgen der Krieg für jeden hat, welche unschätzbaren Verluste er für jeden von uns bedeutet. Ich komme aus Kharkiv, und wir waren die ersten, die vom Krieg erfuhren, als die Bomben- und Raketenangriffe um 5 Uhr morgens begannen… Unsere Stadt wurde in den ersten 8 bis 9 Monaten jeden Tag und jede Nacht angegriffen. Und das Gebiet Kharkiv ist heute immer noch eine Region, in der aktive Militäroperationen stattfinden. Leider war ich gezwungen, meine Heimat zu verlassen. Mein Mann ist in Kharkiv geblieben. Er ist unser Held, er verteidigt immer noch Kharkiv. Und ich musste meinen kleinen Sohn beschützen… Ich habe mein ganzes Leben lang, d.h. mehr als 20 Jahre lang, im Hochschulbereich gearbeitet. Ich wollte auf keinen Fall meinen Status als Professorin der Wirtschaftswissenschaften aufgeben und durch die Flucht nicht mehr arbeiten können. Und dann geschah ein wahres Wunder! Ich habe mich auf eine Stelle an der HHN beworben und habe die Möglichkeit bekommen, als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt HHN-DITO II mitzuwirken. Ich bin dafür unendlich dankbar. Die Zeit an der Hochschule bringt mir Freude und ermöglich mir, meiner Lieblingstätigkeit – der Arbeit in der Wissenschaft – nachzugehen. Das bringt mir Seelenfrieden, der sich nur schwer in Worte fassen lässt!
Sie sind im Projekt „HHN-DITO II“ tätig. In dem Projekt unterstützt die HHN vier ukrainische Partnerhochschulen in der Online-Lehre. Was machen Sie in dem Projekt genau, wie sieht ihr Arbeitsalltag aus?
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt HHN-DITO II halte ich Online-Lehrveranstaltungen im Bereich Wirtschaftswissenschaften für Doktorandinnen an einer Partnerhochschule in Kharkiv. Darüber hinaus führe ich Online-Kolloquien sowie Workshops für Doktorandinnen in der Ukraine durch und betreue sie bei ihren Promotionsvorhaben. Zudem umfasst meine Arbeit die Abstimmung weiterer Veranstaltungen mit den ukrainischen Partnerhochschulen und als Expertin für die ukrainische Hochschullandschaft unterstütze ich auch die Koordinatorin des Projekts mit meinem Wissen.
Können Sie einschätzen, was ein solches Projekt für Ihre Heimatuniversität – in Zeiten des Krieges – bedeutet?
In Kriegszeiten besteht die Hauptaufgabe der Universität darin, ihre Bildungsaktivitäten fortzusetzen. Derzeit ist dies, dank der Digitalisierung des universitären Umfelds und digitaler Lerntechnologien, möglich. Wir hatten bereits Erfahrung mit der Umstellung auf Online-Lehre durch die Corona-Pandemie. Aber der Krieg hat ganz neue Herausforderungen geschaffen – zum Beispiel wurden alle Universitätsgebäude in Kharkiv beschädigt. Ein unglaublicher Verlust an Ressourcen, die wir über Jahrzehnte aufgebaut hatten. Das Projekt „HHN-DITO II“ zielt u.a. darauf ab, uns Möglichkeiten für die berufliche Weiterbildung und Entwicklung zu bieten. Wir lernen durch die Online-Workshops neue globale Trends und bewährte Verfahren bei der Umsetzung der digitalen Hochschulbildung kennen. Der Erwerb von Sprach-, Kommunikations- und digitalen Kompetenzen ist derzeit ein Schlüssel zur erfolgreichen Weiterentwicklung der Hochschulbildung. Denn wir müssen für eine wettbewerbsfähige Lehre an unseren Universitäten sorgen.
Von 18. bis 24. Juni werden weitere acht Lehrende aus der Ukraine für eine Trainingswoche an die HHN kommen. Was werden sie hier genau tun?
Die acht Lehrenden kommen ebenfalls im Rahmen des Projekts nach Heilbronn und sollen in dieser Woche u.a. einen Einblick bekommen, wie die Bereiche E-Learning und digitale Lehre an der HHN gelebt und umgesetzt werden. Dies soll dazu inspirieren, die eigenen Kompetenzen und Ideen im Bereich der Online-Lehre weiter auszubauen. Sie werden die Möglichkeit haben, eigene Videos in den Medienlaboren zu produzieren, die Standorte sowie verschiedene Projekte der HHN kennenzulernen und an einer Schulung zu den digitalen Tools teilzunehmen. Da ich selbst in der Ukraine unterrichte, kenne ich die Herausforderungen, mit denen die Lehrenden konfrontiert sind, aus erster Hand. So konnte ich bei der Organisation des Programms behilflich sein.
Möchten Sie zum Abschluss den Leser*innen noch etwas mitteilen?
Ich möchte mich bei der Hochschul- sowie Projektleitung für ihre Unterstützung und die Möglichkeit bedanken, trotz aller Widrigkeiten weiterarbeiten zu dürfen. Das ist heute für mich das Wichtigste. Mein Dank gilt natürlich auch dem Mittelgeber. Ich hoffe, dass wir das Projekt HHN-DITO II auch in Zukunft weiterführen können. Solche Projekte bringen sehr wichtige Ergebnisse. Und wir lernen nicht nur von unseren Kolleg*innen und verbessern nicht nur unsere Fähigkeiten, wir gewinnen auch neue, wichtige Erfahrungen, wir gewinnen neue Freunde und knüpfen neue Kontakte – das ist unbezahlbar. Dank solcher Programme gewinnen wir, die ukrainischen Pädagog*innen, neue Kraft. Wir bleiben nicht stehen, sondern wir erweitern unseren Horizont. Das ist von unschätzbarem Wert.